Berufspolitische Fachtagung der IG Medien prüft multimediale Qualifizierungsanforderungen
„Sagen Sie uns, welche Perspektive die Druckvorstufe hat?“ wollte ein verunsicherter Mittelstandsvertreter von dem Medienforscher wissen, der auf dem Kongreß des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Berlin die Qualifikationsanforderungen in der Multimedia-Branche von morgen beschrieben hatte. „Hans Dampf in allen Netzen – Ausbildung noch gefragt?“ hieß die vorgeschaltete berufspolitische Fachtagung der IG Medien.
Beide Fragen geben der gleichen Sorge Ausdruck: Was bleibt von traditionsreichen Berufsbildern wie denen des Schriftsetzers oder der Tontechnikerin übrig, wenn durch Digitalisierung und Vernetzung die Branchengrenzen fallen und plötzlich die Quereinsteiger am Drücker sind? Haben die „Turnschuh-Leute“, die viel von Markt- und Kundenorientierung reden, außerdem auch Qualitätsansprüche an Produkt, Ausbildung und Arbeitsbedingungen? Die IG-Medien-Tagung war ein erster Versuch, die künftigen Chancen von dualer Berufsausbildung und verläßlicher Weiterqualifizierung in den Medien fachgruppenübergreifend auszuloten und betriebliche sowie tarifpolitische Konsequenzen zu ziehen*.
Betriebliche Ansätze
Gestaltungsrahmen und Hebel für gewerkschaftliches Handeln entwarf Ulrike Mast-Kirschning (Personalratsvorsitzende bei der Deutschen Welle und Mitglied im Bundesvorstand der Fachgruppe Rundfunk/Film/Audiovisuelle Medien). Ihre mit Blick auf die öffentlich-rechtlichen Sender formulierten Thesen passen auch für privatwirtschaftliche Medienbetriebe: Die Digitalisierung der Produktion kann unter der Prämisse „Rationalisierung“ umgesetzt werden oder aber mit dem Ziel „Qualitätssicherung“. Je nach Vorgabe hat das für Arbeitsorganisation, Qualifikationsanforderungen, für die Wahl von Hard- und Software und letztlich für den neuen Zuschnitt der Arbeitsbereiche unterschiedliche Folgen. Diese Gestaltungsfelder kann und muß der Personal- oder Betriebsrat beackern. Werkzeuge dafür liefern die EU-Richtlinie zum Gesundheitsschutz und die ISO-Norm 9241, Teil 2. In dem offenen Prozeß, „in dem es wenig gibt, was noch Bestand hat“, so Ulrike Mast-Kirschning, soll demnach der „Faktor Mensch“ Orientierungspunkt sein und in alle Planungen einbezogen werden. Ziel: das „Wohlbefinden“ am Arbeitsplatz, zu dem Auswahl und Beherrschung der Arbeitsmittel sowie die Arbeitsabläufe beitragen müssen.Wie schwierig das in der betrieblichen Praxis sein kann, zeigt sich am Beispiel Tontechnik im öffentlich-rechtlichen Rundfunk: In allen Anstalten herrscht absoluter Personalmangel; mit Nachwuchs ist so bald nicht zu rechnen, weil die Ausbildung an der Schule für Rundfunktechnik eingefroren wurde und die ersten, dual ausgebildeten Mediengestalter/innen frühestens 1999 fertig sind. Fort- und Weiterbildung des tontechnischen Personals an der neuen digitalen Technik fällt also wegen Unabkömmlichkeit im Alltagsgeschäft so gut wie aus. Wer aber soll in einer so angespannten Situation auch noch die Praxisanleitung für Azubis übernehmen? Der Notstand schreit nach einer Übergangslösung.
Präventives Handeln
Das Beispiel zeigt, wie sehr Aus- und Weiterbildung als Einheit gesehen werden müssen. „Das verlangt von Gewerkschaften und ihren betrieblichen Vertretungen ein der Entwicklung vorauseilendes Handeln“, verlangte Kerstin Witte, die als IG-Medien-Sachverständige das neue Berufsbild „Mediengestalter/in Bild und Ton“ mitentworfen hat. Für diese duale Ausbildung muß in den Sendeanstalten und privatwirtschaftlichen Produktionsbetrieben noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Ähnliches berichteten Ursula Höf für die Film- und Videoeditor/innen und Frank Wernecke für die Werbe- und Medienvorlagenhersteller/innen (Steckbriefe der drei Berufe in „M“ 5/96). Der Stand Mitte Oktober, soweit verfügbar: Für Mediengestalter/innen wurden bundesweit 150 bis 160 Lehrstellen angeboten, etwa jede sechste davon in einer ARD-Anstalt; für Film- und Videoeditor/innen sind ganze 15 Ausbildungsplätze bekannt; bei Werbe- und Medienvorlagenhersteller/ innen in der Fachrichtung Gestaltung gibt es ca. 200 bis 250 Azubis, in der neuen Fachrichtung Medienoperating erst zwischen 15 und 20.Die Berufsbildentwicklung geht unterdessen weiter: Bis zum Jahr 2000 sollen alle Berufe der Druckvorstufe – Schriftsetzer / Werbe- und Medienvorlagenhersteller / Reprohersteller / Reprofotograf – zusammengefaßt werden, eventuell mit Folgen für angrenzende Bereiche – vom Schilder- und Lichtreklamehersteller bis zum Mediengestalter. Namen wie „Mediendesigner“ oder „Mediendienstleister“ sind im Gespräch. Die zentrale Frage in diesem Prozeß lautet, so IG-Medien-Sekretär Frank Werneke: „Wieviele spezifische Module sind nötig und wie umfassend muß das übergreifende Wissen sein?“ Ausbildungsverbünde und ein höherer schulischer Anteil seien gefragt, wenn die Qualifizierung nicht nur momentane Interessen eines Betriebes abdecken solle.
Klare Qualifizierungsziele
„Ausbildungsanstrengungen der IG Medien sind nur dann sinnvoll“, betonte Werneke, „wenn sie auch den Bereich der Fort- und Weiterbildung umfassen.“ Dies setzt ein klar definiertes Qualifizierungsziel voraus, das für die gesamte Multimedia-Branche gilt, damit Beschäftigte auch den Arbeitsplatz wechseln können. Drei Beispiele für den Diskussionsbedarf auf diesem Weg:Teamarbeit ist nicht nur ein Modebegriff aller Unternehmensberater; tatsächlich lassen sich die Möglichkeiten digitaler Vernetzung nicht im Nebeneinanderher ausschöpfen. Beschäftigte in den öffentlich-rechtlichen Anstalten beobachten aber oft eine gegenläufige Tendenz, und zwar dort, wo die Digitalisierung pures Rationalisierungsinstrument ist: Statt wie früher kollegial an einem gemeinsamen, möglichst guten Produkt zu arbeiten, breiten sich Elite-Denken und berufsständische Konkurrenz in der Belegschaft aus.Kundenorientierung hat – von der Hard- und Software-Herstellung bis zur Gestaltung der Medieninhalte – als Qualitätskriterium ebenfalls Konjunktur. Und wer am Computer arbeitet, weiß, wie wichtig der aufgabengerechte Zuschnitt des rechnergesteuerten Geräts ist. Doch wer ist „Kunde“ – derjenige, der zahlt oder derjenige, der am System arbeitet? Wer ist „Kunde“. Die Zuschauerinnen und Zuhörer oder die Werbewirtschaft, die den Medien das Geld bringt?Gütesiegel für berufliche Qualifizierungsmaßnahmen scheinen auf einem von Wildwuchs gekennzeichneten Markt überfällig. Doch nicht nur im Multimedia-Bereich kontrollieren die Weiterbildungsträger und ihre Auftraggeber diese Maßstäbe oft selber – ohne die Interessen der Lernwilligen zu berücksichtigen.
Tarifpolitische Wünsche
Die bestehenden Berufsbilder und Tätigkeitsbeschreibungen erodieren – nicht nur in den öffentlich-rechtlichen Anstalten, aber vor allem dort. Die ersten Absolventen der neuen Berufe müssen bald eingestuft werden. Wer sich über learning-by-doing für die Anforderungen der digitalen Multimedia-Welt fit macht, möchte dies honoriert bekommen. Und wie werden anerkannte Weiterbildungsabschlüsse berücksichtigt? Paßt schließlich der alte „Stücklohn“ für Freie noch, wenn die technische Produktion dazukommt? Diese Fragen zwingen die IG Medien zu tarifpolitischem Handeln, wurde auf der Berliner Tagung deutlich. Deshalb forderten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die zuständigen Tarifausschüsse der Gewerkschaft auf, neue Vergütungs- und Eingruppierungsraster zu entwickeln. Die Kriterien sollen produkt-, bzw. programmbezogen sein und unter anderem die Qualität des Produkts, die Qualifikation der Beschäftigten, den Umfang von Funktionskopplungen und das Ausmaß der erreichten Enthierarchisierung berücksichtigen.Zudem muß die IG Medien mit den Arbeitgebern Verträge zur Qualifizierung verhandeln. Dabei, das zeigen die Erfahrungen der Druckindustrie, geht es nicht nur um Bedarfsermittlung. Genauso wichtig ist, daß ein Rechtsanspruch der Beschäftigten – auch der Freien – auf Weiterbildung und ein Qualifizierungsziel vereinbart werden. Bei ARD und ZDF böten sich Haustarifverträge an.Fazit: Duale Ausbildung hat auch in der Multimedia-Branche eine Zukunft, wenn gleichzeitig von den Tarifparteien verläßliche Eckwerte für die Weiterbildung vereinbart werden. Veränderte Aufgabenzuschnitte, Berufsbilder und arbeitsorganisatorische Abläufe haben tarifpolitische Konsequenzen. Die IG Medien muß in den genannten Bereichen schnell und vorausschauend handeln, wohlwissend, daß es in der Branche nicht immer handlungsfähige Arbeitgeberverbände gibt und daß viele Beschäftigte unorganisiert sind.