Es podcastet sehr

Screenshot: Podcast in der ARD

Angela Merkel tut es, Jan Böhmermann auch. Radiosender sowieso, Verlage spielen mit, Journalisten, Influencer, Unternehmen. Der Podcast gilt als moderne Visitenkarte, lebendig und alltagstauglich. Die rasante Entwicklung der Angebote und ihrer Reichweiten weckt das Interesse von Radio-Vermarktern, Streamingdiensten und Hörbuchplattformen. Anders als in den USA, wo der Podcast gerade in Gänze durch die Decke geht, ist der deutschsprachige Markt vor allem mit hochwertigen Angeboten der Öffentlich-Rechtlichen besetzt. Aber das könnte sich ändern.

RadioEins-Chef Robert Skuppin soll richtig sauer gewesen sein. So viele Freiheiten soll er ihnen angeboten haben, und dann das. Über ihren neuen Brötchengeber Spotify ließen Jan Böhmermann und Olli Schulz im Frühjahr 2016 mitteilen, dass sie ihre Sendung „Sanft & Sorgfältig“ fortan nicht mehr als RBB-Radiosendung, sondern als Podcast-Angebot des schwedischen Streamingdienstes Spotify fortführen würden. Der Wechsel der sonntäglichen Plauderrunde zu Spotify entspricht dem gesteigerten Interesse an Podcast-Angeboten in Deutschland. Nur wenige Wochen zuvor hatten Böhmermann und Schulz noch in RadioEins den Streamingdienst Spotify weniger nett als „Scheißplattform“ bezeichnet, auf der Künstler kein Geld verdienten.

Was ist ein Podcast?

Podcasts sind Audiodateien, die kostenfrei oder gegen eine Gebühr abonniert werden können. Das Prinzip dieser etwa vor 10 Jahren im Internet entstandenen Medienform lässt sich mit Blogs vergleichen. Allerdings werden beim „Podcasting“ nicht Texte oder Bilder in regelmäßigen Abständen auf einer Website veröffentlicht, sondern Audiodateien wie der „Debatten- und Reflexionscast“ von Sascha Lobo oder „SWR2 Wissen“. Das Verzeichnis aller verfügbaren Dateien bzw. Sendungen nennt sich „Podcast Feed“, dabei handelt es sich meistens um einen RSS Feed.

Vergeben und vergessen. „Sanft & Sorgfältig“-Nachfolger „Fest & Flauschig“ ist der erfolgreichste deutschsprachige Podcast auf Spotify. Nach Schätzungen des Zeit-Magazins erreicht der Podcast mehrere 100.000 Hörer_innen. Laut Aussagen von Spotify ist „Fest & Flauschig“, ohne eigene Zahlen nennen zu wollen, mit seinem Talk über die Ereignisse der Woche sogar der weltweit erfolgreichste Podcast des Unternehmens. Nur wo die Sendung am häufigsten abgerufen wird, will der Streamingdienst verraten. Erwartungsgemäß hat „Fest & Flauschig“ am meisten Hörer_innen in den Großstädten, ganz vorne: Berlin, Hamburg und München.

Screenshot: „Fest & Flauschig“ von Jan Böhmermann und Olli Schulz

Im Plaudermodus

Der Podcast. Die Audiodatei für Großstädter, die man im Netz anhören oder herunterladen kann. Besonders beliebt inzwischen in den U- und S-Bahnen der Republik, im FlixBus oder auch beim Joggen und Spazieren. Vor allem das Format wöchentlicher Talks sticht aus dem inzwischen gut gefüllten Angebotsregal hervor. Seichte Kost mit Formaten wie „Sexvergnügen“ erweist sich als beständig und zeigt: Unterhaltung gibt es inzwischen auch von Nicht-Medien-Profis („Wir sind Leila Lowfire und Ines Anioli und wir schalten das Mikro an, wenn wir über Männer, Sex und uns sprechen.“). Nicht weniger breit ist das Angebot professioneller Akteure. Radio-Journalisten wie Philip Banse (Deutschlandfunk) betrachtet zusammen mit Verfassungsjurist Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, in „Lage der Nation“ die politischen Ereignisse – differenziert und ausführlich, allerdings in einem gewöhnungsbedürftigen Plauderton, den man sonst eher aus dem lokalen Privatradio kennt. 60.000 Abrufe erreicht der Podcast, der von der iTunes-Redaktion als bester „Politik-Podcast“ ausgezeichnet wurde, inzwischen pro Folge.

Podcast mit mit Philip Banse (links) und Ulf Buermeyer
Foto: Lage zur Nation

7,5 Mio. Podcast-Nutzer_innen in Deutschland

„Wir schauen auf phantastische Zahlen in den USA, dort werden jährlich 260 Millionen Dollar mit Podcasts umgesetzt. Davon sind wir in Deutschland zwar noch weit entfernt, weil wir eine andere Nutzung haben, aber die Potenziale sind noch lange nicht erschlossen. Wir stehen hier in Deutschland gerade erst am Anfang“, so Christoph Arras, AS&S Radio, Leitung Produktmanagement Digitale Medien. Die AS&S, bisher im klassischen Radio aktiv, vermarktet inzwischen Podcasts wie die „Lage der Nation“. Die Zahlen sprechen für sich. Waren es 2012 noch 2,1 Mio. Podcast-Hörer_innen, wuchs diese Zahl laut Statistik in nur vier Jahren auf 7,5 Mio. Nutzer_innen (2016).

Der Radiovermarkter AS&S hat von März bis April 2017 die Hörer_innen der Publisher befragt und einige Insights für den deutschen Podcast-Markt gewonnen, die die Werbebranche aufhorchen lassen. Fast 90 Prozent der befragten Podcast-Hörer_innen folgen ihrem Podcast meistens bis zum Ende. Der Podcast ist ein sehr persönliches Medium: 90 Prozent hören alleine und über Kopfhörer, die Botschaft geht direkt ins Ohr des Konsumenten. Die Nutzung findet unregelmäßig über den gesamten Tag verteilt statt, wobei – analog zum Radio – die Drive Time werktags die höchste Reichweite aufweist. Am Wochenende ist die Reichweite auf konstant hohem Niveau. Podcasts sind nicht nur „Nebenbei-Medium“, sondern werden auch ganz aktiv beim „Nichtstun“ gehört, was mit den Nutzungsmotiven wie Information und Inspiration zu tun hat.  Die Aufmerksamkeit gilt als außerordentlich hoch.

Nutzung vor allem via iTunes

Inzwischen hat der Podcast als neues Audio-Produkt Einzug in zahlreiche Medienhäuser gehalten. Nicht nur Hörfunksender wie der Deutschlandfunk oder detektor.fm bieten Teile ihrer zumeist wortstarken Sendungen als Podcast an. Vor allem Medien aus dem Printsektor sind auf den Zug aufgesprungen. Ganz aktuell die Süddeutsche Zeitung, aber auch der Spiegel, Bunte, 11 Freunde, Titanic oder Vice bieten ein journalistisch aufbereitetes Audio-Angebot über verschiedene Plattformen.

Screenshot: Neu auf dem Podcast-Markt Süddeutsche Zeitung

Wichtigster Distributionskanal für Podcasts ist dabei iTunes, noch vor der eigenen Publisher Website. iTunes bietet den Zugang zu vielzähligen Podcasts und liefert für die Nutzer_innen eine gute Usability. „Wir schauen derzeit auf eine wachsende Dynamik im deutschen Markt, sind aber von einem Umsatzvolumen wie in den USA von jährlich 220 Millionen Dollar weit entfernt. Deutschland ist ein gänzlich anders strukturierter Medienmarkt. Aber auch hier gibt es beachtliches Potenzial, das der Werbemarkt noch nicht erschlossen hat“, so Christoph Arras.

Was den Podcast für die Werbetreibenden besonders attraktiv macht, wird unter „Brand Safety“ zusammengefasst, das Ausspielen von Werbekampagnen auf markenkonformen Umfeldern im Internet. Das heißt, die Werbekunden fallen nicht versehentlich in einen Kontext, in dem sie gar nicht gesehen werden wollen.

Die automatisierte Vermarktung von Podcasts mit Audio-Spots analog Online-Audio-Inventar sei denkbar, die AS&S fokussiere sich aber darauf, die Werbung über eine andere Integrationsart einzubinden. „Wir wollen gemeinsam mit den Marken in den Markt hineinwachsen. Die aktuellen Podcast-Labels in unserem Portfolio sind nicht zufällig bei der AS&S Radio gelandet. Sie wissen, dass wir als öffentlich-rechtlicher Radiovermarkter mit unseren Marken sehr sorgfältig umgehen“, so Arras.

Mehrheit will werbefreie Podcasts

Screenshot: Podcast vermarktet von Audible

Alle Beteiligten weisen darauf hin, dass sie noch am Lernen seien. Automatisierte Vorlagen würden zu nichts führen. Dennoch, eine andere Zahl belegt ein Problem für die Werbevermarkter. 72 Prozent der Podcast-Nutzer_innen legen Wert auf werbefreie Podcasts. So besagt es zumindest die Studie eines weiteren neuen Players auf dem Spielfeld der Podcasts. Ende 2017 brachte sich Amazon mit seinem Hörbuch-Dienst „Audible“ ins Spiel, der nach seinen Erfahrungen auf dem US-Markt auch in Deutschland mit Podcasts Geld verdienen möchte. Die Nähe zwischen Hörbuch, Hörspiel und Podcast liegt auf der Hand. Insgesamt 16 Millionen Deutsche – und damit circa 1,6 Millionen mehr als noch 2016 – haben laut Audible in den vergangenen zwölf Monaten mindestens ein Hörbuch oder Hörspiel gehört. Ein wichtiger Wachstumstreiber seien vor allem die digitalen Hörbücher, die mittlerweile von 41 Prozent auf ihrem Smartphone oder Tablet (2016: 35 Prozent) konsumiert werden. Dies sind Ergebnisse des Audible Hörkompass 2017, einer Studie von Kantar Emnid zur Hörkultur in Deutschland mit mehr als 2.000 Befragten im Auftrag von Audible.

Vom Hörbuch zum Podcast

Auch der Anteil der regelmäßigen Hörer_innen ist gestiegen: Rund 13 Millionen hören mindestens einmal im Monat, 2016 waren es noch 11 Millionen. 9 Millionen tun dies sogar wöchentlich. „Der Audible Hörkompass 2017 zeigt, dass Hörbücher für Millionen Menschen in Deutschland zum Alltag gehören. Die Kultur des Geschichtenerzählens erfährt eine Wiedergeburt im digitalen Zeitalter, weil die mobile Nutzung von Hörbüchern auf dem Smartphone zunimmt. So wird das Warten in der Supermarktschlange oder das Pendeln zur Arbeitsstelle zu einer weiteren Möglichkeit, mehr großartige Geschichten zu erleben“, erklärt Nils Rauterberg, Geschäftsführer von Audible, den Erfolg der Hör-Medien. Erfreulich sei vor allem das weitere Potenzial, das die Erhebung aufzeigt: 14 Prozent der Befragten, umgerechnet etwa 10 Millionen Menschen in Deutschland, können sich vorstellen, zukünftig entsprechende Audio-Hörbücher und Hörspiele zu nutzen. 17 neue Podcasts setzt Audible für seine Abonnent_innen nun mit obendrauf. „Die Audible Original Podcasts sind ein logischer nächster Schritt in der Entwicklung unseres Angebotes und von nun an eine großartige Ergänzung zu Hörbüchern und Hörspielen“, so Paul Huizing, Director EU- Content Programming bei Audible. Dass es künftig noch mehr werden, vor allem eigenproduzierte, davon ist bei Audible und Streamingdiensten wie Spotify und Deezer stark auszugehen.

Angebote von ARD und Deutschlandfunk führend

Screenshot: Deutschlandfunk wirbt mit seinem Hörbuch-Angebot

Doch mit dem Referenzmarkt USA, wo die Podcasts „brummen“, lässt sich die Lage in Deutschland schwer vergleichen. Hier stehen ARD Hörfunk und Deutschlandfunk (DLF) seit vielen Jahrzehnten für professionell produzierte Hör-Angebote in den Bereichen Hörspiel, Talks, Doku und Feature. Den Weg zum Hören auf Abruf sind die Öffentlich-Rechtlichen bereits mitgegangen, auch hier steigt das Angebot der Inhalte als Podcast. Sowohl ARD-Hörfunk als auch Deutschlandfunk haben in diesem Jahr mit der „ARD Audiothek“ bzw. der „DLF Audiothek“ eigene Apps für ihre kurzen und langen Angebote auf den Markt gebracht. Sorge vor einer zu kleinen Nische jenseits von ARD und DLF haben die neuen Player aber nicht.

„Da ist noch viel Platz, aber natürlich nicht für „mehr vom Gleichen“, erklärt Huizing die Absichten bei Audible. „Deswegen haben wir mit erheblichem Aufwand –  detaillierte Datenanalyse, Kunden und Expertenbefragungen, umfangreiche Tests mit „Piloten“ – identifiziert, wie der Kundenbedarf aussieht. Dazu haben wir uns bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt starke Partner ins Boot geholt, mit denen wir gemeinsam an der Entwicklung des Podcast-Programms gearbeitet haben.“ Abrufzahlen einzelner Podcasts werden gern noch als Geheimnis behandelt. Doch auffällig oft tauchen auf Netzlisten der beliebtesten Podcasts zumeist die etablierten Produktionen von ARD Hörfunk, vor allem Produktionen wie „Radio-Tatort“, „SWR2 Wissen“ oder „WDR2 Kabarett“, auf. Auf der Top20-Liste der „besten Podcasts“ von podcast.de finden sich aktuell 16 Angebote der öffentlich-rechtlichen Radiosender. Allesamt vom Rundfunkbeitrag finanziert und daher frei abrufbar. Ohne zusätzliches Abo und ohne Werbung.

Privatsender testen alte Radioformate

Inzwischen sind auch die privaten Hörfunksender auf den Zug aufgesprungen und entwickeln neben ihren Radioangeboten zusätzliche Podcast-Angebote. Im Juni 2018 erschien z.B. die erste Folge des neuen Radio Hamburg-Podcasts „Hirsch will es wissen – der Radio Hamburg Interview-Podcast“. Die Produktion wird monatlich auf der Radio Hamburg-Website und bei iTunes veröffentlicht. Nachrichten-Leiter Rainer Hirsch spricht in dem knapp einstündigen Audioformat mit prominenten und interessanten Hamburger Persönlichkeiten über den Beruf. Erstaunlicherweise kommen mit der alten Radio-Darstellungsform „Langes Interview“ über Podcast genau jene Formate zurück, die im klassischen Privatradio fast ausgestorben sind.

Durch den Erfolg von “Fest & Flauschig” oder auch internationaler Podcasts wie “Serial” ist das Genre in den letzten Jahren immer populärer geworden. Viele Journalist_innen gehen das Projekt an, einen eigenen Podcast auf die Beine zu stellen, der ihnen mehr Platz einräumt, als die fest formatierten Sendezeiten im Radio es zulassen. Und neue Hobby-Podcaster treten auf den Markt wie der „Podcast zum Einschlafen„. Immer neue Seminare auf Medientagen der Republik geben Anregungen für die Produktion und Veröffentlichung von Podcasts, Hinweise zu Schnitt, Endproduktion und Vermarktung.

Screenshot: Geschichten zum Einschlafen, alle zwei Wochen ein neuer Podcast per App oder in iTunes abonnieren

Inhaltlich gibt es im Segment für Vermarkter und Plattformanbieter noch viel Luft nach oben. Viele Macher versuchen sich an Information, die meisten an individueller Unterhaltung, die wenigsten könnten der Kategorie „hochwertige Angebote“ zugeordnet werden. „Den Podcast-Markt zu erschließen, der seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, ist ein Stück weit Pionierarbeit“, beschreibt der AS&S-Vermarkter Arras die aktuelle Lage.

So gäbe es zwar eine sehr große Podcast-Vielfalt, aber das Ganze arbeite zum Teil noch mit sehr unterschiedlichen, teils nicht standardisierten Reichwerten bzw. Abrufen. Zudem sei auch nur ein kleiner Teil der Angebote zurzeit überhaupt in der Vermarktung.

Auch Google steigt ein

Das könnte sich aber bald schon grundsätzlich ändern. Denn vor wenigen Wochen hat auch Google die bunte Welt der Podcasts für sich entdeckt. Mit einer neuen App (derzeit nur für Android) sollen Podcast-Nutzer neue Themen, Formate, Shows entdecken. Vor allem aber erhofft sich Google, noch mehr Menschen für die Audio-Nutzung begeistern zu können und sie auch gleich in der eigenen App zu halten. Das Angebot von Google-Podcasts ist dabei recht umfassend, mehr als zwei Millionen Podcasts sollen verfügbar sein. Die aktuelle, schlichte Version soll nach Unternehmensangeben nur ein erster Schritt sein, wie immer hat man bei Google noch viel vor. In Zukunft soll der neue Dienst jede Menge smarter Features erhalten, die automatisch sämtliche Podcasts zu Textversionen transkribieren können.

Weiter sollen die Audio-Aufnahmen vollständig indizierbar werden, soll heißen, dass die Google-Suche künftig die passende Passage auch in einem Audio-Podcast als Ergebnis mit einem Link anbieten kann. Und nicht zuletzt ergäbe sich so auch die Möglichkeit, Podcasts automatisch zu übersetzen. Damit stünden dann die schon heute nicht mehr zählbaren Podcasts weltweit grundsätzlich auf allen Märkten in der jeweiligen Muttersprache bereit.

 

 

 

 

 

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