Experimente vor und hinter der Paywall

US-amerikanische Verlage suchen bezahlte Online-Geschäftsmodelle

Das Schlagwort vom „Paid Content“, bezahlter Inhalte, macht derzeit in den Medienhäusern Amerikas verstärkt die Runde. Allen voran die Zeitungs- und Magazinverlage, denen in den vergangenen Jahren vor allem durch kostenlose Onlineangebote immer weiter das Wasser abgegraben wurde, suchen nach neuen Geschäftsmodellen. Die Frage scheint nicht mehr darin zu bestehen, ob man anfangen soll, für seine Inhalte Geld zu verlangen, sondern wie man es am besten anstellt.

Vor allem im Zeitungsbereich steht den Verlegern das Wasser bis zum Hals. Die Umsätze aus dem Anzeigengeschäft verringerten sich von 2007 auf 2008 um nie dagewesene 14 Prozent, wenn auch die Hälfte davon den Auswirkungen der Rezession zugeschrieben wird. Martin Olausson von dem Medienforschungsinstitut Strategy Analytics meint: „Die Wirtschaftskrise und die schwindenden Werbebudgets haben die Aufmerksamkeit auf vom Kunden bezahlte Onlineinhalte in den letzten sechs Monaten weiter verstärkt.“
Ein Meilenstein wurde im Januar erreicht: Die New York Times kündigte an, ab 2011 ein limitiertes Zahlmodell einzuführen. Demnach haben die Nutzer kostenlosen Zugang zu einer noch unbestimmten Anzahl von Artikeln pro Monat und werden erst dann aufgefordert zu zahlen, wenn das Limit überschritten ist. „Dieses Modell ist genau richtig für die heutige Zeit“, sagte Times-Verleger Arthur Sulzberger Jr. auf einer Fachkonferenz. „Ob das in zehn Jahren auch noch so sein wird, weiß ich nicht.“ Die New York Times folgt damit dem Vorbild der Financial Times: Die Seite FT.com hat derzeit 126.000 zahlende Abonnenten, etwa ein Zehntel seiner Onlinenutzer insgesamt. Der Großteil des Contents ist hinter einer Paywall versteckt, doch die Zeitung stellt eine Auswahl aktueller Berichte kostenlos ins Netz. Der Chefredakteur, Lionel Barber, hat die Zeitungsindustrie aufgerufen, es ihm gleichzumachen. „Ich würde zu unserer Konkurrenz und dem Rest der Welt sagen, dass es allmählich Zeit wird. Wenn wir jetzt handeln können, wird uns eine blühende Zukunft sicher sein.“
Einer der Anführer der Paid-Content-Bewegung ist Rupert Murdoch. Der Medienmogul akquirierte 2007 das Wall Street Journal, eine der im Internet am besten funktionierenden Contentunternehmungen überhaupt: Das Journal ist bereits seit Mitte der 90er Jahre gebührenpflichtig und kann über eine Million zahlende Abonnenten vorweisen. Hiermit wird der Kern des Trends bereits angedeutet: Die Leser sind in der Regel bereit, für spezialisierten Content wie Wirtschaftsanalyse extra zu zahlen, nicht jedoch für generelle Information, wie sie eine Tageszeitung bietet.
Weil das Problem immer dringlicher wird, sind in den letzten Monaten mehrere Anbieter angetreten, die die Verleger auffordern, ihre Kräfte zu bündeln und gemeinsame Sache zu machen. Die wohl ausgefeilteste Strategie bietet ein Konsortium namens Journalism Online an, gegründet von dem Medienunternehmer Steven Brill und Gordon Crovitz, ehemaliger Verleger des Wall Street Journals. Es arbeitet schon seit längerer Zeit an einer einheitlichen Plattform, die im Laufe des Frühjahrs relauncht werden soll.
Mit Hilfe von Journalism Online erhält der Nutzer Zugang zu einer Vielzahl von Zeitungen, was den Vorteil bietet, dass auf diese Weise eine riesige Datenbank von Nutzerdaten für werbetreibende Kunden angeboten werden kann. Die Seite wird kostenlosen Content anbieten, jedoch spezielle Informationen für die loyalsten Leser hinter einer Paywall ver- stecken. Nach Angaben des Unternehmens haben sich international bereits über 1.000 Publikationen bereit erklärt, an dem Projekt teilzunehmen, darunter auch Verleger in Europa (siehe auch Interview mit Journalism Online-Gründer Gordon Crovitz).
Ob die vorgeschlagenen Modelle die nötige Resonanz finden werden, ist freilich offen. „Es gibt keine einheitliche Position der Verleger, was zu tun ist, ob man überhaupt Geld verlangen soll und wie man es machen soll. Viele Leute glauben, dass man mit der Errichtung einer Paywall jede Menge Leser abschreckt“, sagt Zeitungs-Consultant Alan Mutter, der die Branche in dieser Hinsicht berät. „Ich bezweifle, dass wir viele Unternehmen sehen werden, die eine Menge Geld für ein Bezahlsystem hinlegen werden, solange die Branche keine einheitliche Position gefunden hat“.
Satte 95 Prozent der Einnahmen der amerikanischen Zeitungsverlage kommen noch immer durch Anzeigen und Abonnementgebühren der Printausgaben herein, nämlich knapp sechs Milliarden Dollar im Jahr 2008. Onlineanzeigen generieren lediglich einen Bruchteil der Einnahmen, die Printanzeigen einnehmen: Eine Internetanzeige, die 1.000 Nutzer sehen, kostet wegen der immensen Auswahl an Konkurenzpublikationen weniger als einen Dollar, während eine Printanzeige in der gleichen Grössenordnung noch immer 20 Dollar kostet.
Dabei wird bisher kein Unterschied gemacht, wie intensiv sich so ein Nutzer mit den Inhalten bzw. der Anzeige in den verschiedenen Medien befasst. Ein Onlinenutzer, der sich hastig durch die Seiten klickt, ist monetär genauso viel wert wie der Leser einer Sonntagszeitung, der sich stundenlang in die Inhalte vertieft. Nach Angaben der Washington Post hielt sich ein durchschnittlicher Nutzer elf Minuten in Monat auf der Webseite der Zeitung auf – das sind deprimierende 21 Sekunden am Tag.
Die Verleger experimentieren derzeit auf allen Plattformen mit Paid Content. Sie fühlen sich von dem Erfolg der i-Phone applications ermutigt, mit deren Hilfe man Tageszeitungen bequem per Mobiltelefon lesen kann. Eine Reihe überregionaler Zeitungen wie das Wall Street Journal und die Los Angeles Times sind außerdem über den Amazon Kindle verfügbar, wo ein monatliches Abonnement 25 Dollar kostet. Der Kindle wie auch der neue Apple iPad, e-books, in die Bücher und Zeitungen in digitaler Form herunter geladen werden können, gelten in der Branche als Rettungsanker, weil er durch seine Zugehörigkeit zu Amazon.com niemals den Eindruck erweckt hat, die Inhalte seien kostenlos verfügbar. Darüber hinaus fallen auch hier Print- und Vertriebskosten weg, die bis zu 60 Prozent der Ausgaben einer Tageszeitung ausmachen können.

 Gerti Schön, New York 

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