Fairnesspreis: Es gilt a Mensch zu sein

Hans-Werner Meyer, Nadine Heidenreich, Christian Senger (im Hintergrund v.l.n.r.) und Pasquale Aleardi eröffnen den Deutschen Schauspielpreis 2020 im "Spindler & Klatt" mit einer Gesangseinlage, die in der von der Corona-Krise schwer gebeutelten Kulturbranche Zuversicht verbreiten soll.
Bild: Sebastian Reuter/La Maison

Die Filmemacherin und Schauspielerin Maryam Zaree wurde am Freitagabend für ihren Dokumentarfilm „Born in Evin“ mit dem Deutschen Fairnesspreis Film und Fernsehen geehrt. Der von ver.di und dem Schauspielverband BFFS ausgelobte Preis wurde zum zweiten Mal im Rahmen der Verleihung des Deutschen Schauspielpreises vergeben. Es war die neunte Ausgabe der „von Schauspielern für Schauspieler“ ins Leben gerufenen Auszeichnung, doch die erste unter Corona-Bedingungen. Und auch sonst war vieles anders.

„Wir geben nicht auf, machen alles für die Kunst. Es geht immer weiter mit uns“, verkündeten Nadine Heidenreich, Hans-Werner Meyer und Christian Senger in der traditionellen Gesangseinlage zur Eröffnung des Deutschen Schauspielpreises. Der fand in diesem Jahr nicht wie sonst im Berliner Zoo-Palast statt, sondern in einer alten Industriehalle neben dem Berliner Szenelokal „Spindler & Klatt“ direkt an der Spree-Promenade. Auch die traditionelle After-Show-Party musste coronabedingt ausfallen. Stattdessen gab es ein Gala-Dinner mit anschließendem Get-together, Zapfenstreich war um Mitternacht.

Kultur ist systemrelevant

Ob die Preisverleihung in diesem Jahr überhaupt würde stattfinden können, und wenn ja wie, stand lange in den Sternen. Ein Live-Stream oder ein Autokino waren im Gespräch. Doch dann habe man sich für eine Live-Veranstaltung entschieden, wenn auch in deutlich abgespeckter Form. Absagen sei nicht infrage gekommen, denn, so Schauspieler Hans-Werner Meyer, Mitgründer und Vorstandsmitglied der ersten Stunde der Gewerkschaft BFFS, „Kultur ist kein Luxus, auf den man auch verzichten könnte. Kultur ist systemrelevant, gerade in Krisenzeiten.“ So waren dann nur rund 250 Gäste geladen statt der wie sonst mehr als 1000. Statt Küsschen und Umarmungen gab es Abstand und Maske. Aber: „2021 sehen wir uns alle wieder hier in Berlin und dann wird gefummelt, was das Zeug hält“, versprach Co-Moderator Pasquale Aleardi, der mit Nadine Heidenreich durch den Abend führte.

Politisch und divers

Es dürfte mit Abstand die bisher politischste Preisverleihung gewesen sein und – mindestens, was die Auswahl der Preisträger*innen betrifft – wohl auch eine der diverseren. Themen, über die gesprochen werden musste, gab es, leider, reichlich. Und reichlich war denn auch die Fülle der emotionalen und berührenden Momente.

Kritik an stereotypen Rollenbildern übte Tua El-Fawwal, die mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnet wurde und sich eine Normalität wünscht, „in der wir nur für unsere schauspielerischen Leistungen bewertet werden“.
Bild: Sebastian Reuter/La Maison

Da war zum Beispiel die Dankesrede von Tua El-Fawwal, die für ihre Rolle in der Funk-Serie „Druck“ mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnet wurde. Es war ihr erstes Engagement als Schauspielerin, nachdem sie neun Monate lang keine einzige Agentur aufnehmen wollte. Denn El-Fawwal ist Muslima – und trägt Kopftuch. „Mit Kopftuch Schauspielerin zu werden ist genauso sinnlos wie ein Langstreckenläufer mit einem amputierten Bein“, habe man ihr bei der ersten Agentur gesagt, bei der sie vorstellig wurde. Für El-Fawwal, selbst zutiefst gerührt, sei allein schon die Nominierung und erst recht der Preis „ein wichtiger Schritt“. Doch sie wünsche sich noch mehr Veränderung. Die junge Schauspielerin appellierte an die Branche, Rollen zu schaffen, „die nicht ganze Menschengruppen stigmatisieren, und damit Gerechtigkeit für ein Zusammenleben zu schaffen, in dem niemand wegen seiner Religion, Sexualität oder Andersartigkeit benachteiligt wird“.

Fairnesspreis für Maryam Zaree

Um Gerechtigkeit ging es auch bei der Verleihung des von ver.di und dem BFFS ausgelobten Deutschen Fairnesspreises Film und Fernsehen, der in diesem Jahr zum zweiten Mal vergeben wurde. Mit ihm sollen Film- oder Serienproduktionen geehrt werden, die in besonderer Weise den Blick auf das Thema Fairness in all seinen gesellschaftlich relevanten Aspekten lenken. Das jährlich neu ausgerufene Motto lautete in diesem Jahr „Streitkultur“. Preisträgerin Mayram Zaree, die vielen als Schauspielerin aus der Serie „4Blocks“ bekannt sein dürfte, habe mit ihrem Dokumentarfilm „Born in Evin“ „einen wunderbar aufgebauten, tief zu Herzen gehenden und inspirierenden Film gemacht“, begründete Jurymitglied ChrisTine Urspruch die Wahl der Jury:

Christine Urspruch (BFFS) und Olla Höf (ver.di) aus der Jury des Deutschen Fairnesspreises.
Bild: Sebastian Reuter/La Maison

Maryam Zaree macht es sich nicht so leicht. Sie tut exemplarisch das, was wir alle tun sollten. Sie traut sich endlich ihre seelischen Narben anzusehen. Geboren in Evin, einem iranischen Gefängnis und einem der schlimmsten Orte der Welt, holt sich Zaree mit ihrem Mut aus der Sprachlosigkeit heraus zu kommen, Stück für Stück ihre Freiheit zurück. Für Sie. Für uns. Ausgehend von der privaten Frage nach der eigenen Geschichte weitet sie ihren und unseren Blick auf die politischen Zusammenhänge. Und Maryam Zaree trifft auf viele kluge und politisch aktive Frauen, die nicht schweigen und die sie einbetten in eine große Solidarität. Ein Film der Mut macht – die Wut auf unseren tief in uns drinsitzenden Schmerz viel weniger dem Gegenüber an den Kopf zu werfen. Sondern in die Eigenverantwortung zu gehen.

Eine Mensch zu sein und Menschlichkeit zu zeigen, falle vielen in diesen Zeiten schwer, sagte die deutsch-iranische Filmemacherin und Schauspielerin Maryam Zaree, die für ihren Dokumentarfilm „Born in Evin“ mit dem Deutschen Fairnesspreis Film und Fernsehen von ver.di und BFFS ausgezeichnet wurde.
Bild: Sebastian Reuter/La Maison

Für ihre Dankesrede hatte sich Zaree Gedanken über die Bedeutung des Wortes ‚Fairness‘ gemacht. Das Ergebnis ihrer Überlegungen: so einfach wie unabdingbar. Fairness bedeute für sie, „a Mensch zu sein“, wie man im Jiddischen sagen würde. Doch a Mensch zu sein, falle vielen in diesen Zeiten schwer. So sei es unfair, auf der einen Seite Demokratie und Menschenrechte zu behaupten, aber dann etwa an den Außengrenzen Menschen ertrinken oder in elendigen Camps im Stich zu lassen, obwohl man ausreichend Platz hätte. Kein Mensch wolle einfach so fliehen, sagte die gebürtige Iranerin, die mit ihren Eltern einst nach Deutschland geflohen war und hier dank des „Grundrechts auf Asyl“ ein neues sicheres Zuhause gefunden habe. Doch das Grundrecht auf Asyl, ein Menschenrecht, sei im Laufe der Jahrzehnte immer wieder eingeschränkt worden „und wo wir in Europa heute stehen, ist nicht nur in Moria zu sehen“. Zarees tiefe Solidarität gelte daher all „den Menschen, denen ein sicherer Zufluchtsort und ein menschenwürdiges Leben verweigert wird, all jenen, die für Menschenrechte und Freiheit kämpfen und denen dafür Verfolgung und die Todesstrafe drohen. Wir sind alle gefragt, konkrete Verantwortung zu übernehmen, individuell, kollektiv, in diesem Land ganz besonders, aber auch global, wenn es gilt, a Mensch zu sein.“


Der BBFS hat den Deutschen Schauspielpreis 2012 als Auszeichnung „von Schauspielern für Schauspieler“ ins Leben gerufen, um Personen und Institutionen zu ehren, die sich um die Entwicklung der Schauspielkunst und des deutschen Films als Kulturgut besonders verdient gemacht haben.

Alle Preisträger*innen des Deutschen Schauspielpreises der vergangenen Jahre sowie in Kürze dieses Jahres: https://www.schauspielpreis.com/preistraeger/

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »