Filmbranche: Nicht nur Symptome behandeln

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
Karikatur: Kostas Koufogiorgos

Mit den Vorwürfen gegen Regisseur Dieter Wedel setzt sich die von #metoo ins Rollen gebrachte Debatte auch im neuen Jahr unvermindert fort. Dabei bleibt der Blick auf das Thema oft verengt. Denn: Betroffen sind längst nicht nur Schauspielerinnen. Und: Sexuelle Belästigung ist nur ein Symptom der strukturellen Diskriminierung von Filmfrauen. Doch es bewegt sich was. Die Branche rückt zusammen und sucht nach Lösungen. In Berlin wurde Pro Quote Film gegründet. Eine Beschwerdestelle soll eingerichtet werden.

Anja Schellmann* ist Innenrequisiteurin, Szenenbildassistentin – und schwanger. Dass sie trotzdem noch im siebten Monat arbeiten kann, verdankt sie einer Szenenbildnerin, die sich für sie einsetzte und ihr einen Job für einen TV-Film des ZDF verschaffte. Zuvor war Schellmann zwei Mal der Job abgesagt worden, in einem dritten Fall hatte sich die Produktionsleitung einfach nicht mehr gemeldet. Der erste Job für eine öffentlich-rechtliche Serie schien bereits so gut wie sicher, sie hatte sogar schon die Gage ausgehandelt. Als sie daraufhin jedoch dem Szenenbildner mitteilte, sie sei schwanger, meldete sich dieser irgendwann zurück und verkündete ihr, sie würde nun doch nicht angestellt werden. Die Begründung: Da sie schwanger sei, dürfe sie bestimmte Sachen nicht machen. Schellmann ließ sich von der ver.di-Rechtsabteilung beraten, entschied sich daraufhin gegen eine Klage und versuchte es stattdessen weiter bei einer anderen Produktion.** Beim zweiten Job handelte es sich um eine Position als Szenenbildassistentin, vermittelt durch eine Szenenbildnerin, die sie schon seit mehr als elf Jahren kennt. Die beiden trafen sich, alles schien bereits in Sack und Tüten. Doch als Schellmann der dreifachen Mutter erklärte, sie sei schwanger, ruderte diese zurück. Sie müsse es sich erst nochmal überlegen und würde sich melden. Das tat sie auch, allerdings nur per SMS, mit einer kurzen Absage. Begründung: Sie brauche jemanden, „der fit ist“.

Geschlechterdiskriminierung: Brennpunkt Filmbranche

So wie Schellmann berichten 9,2 Prozent der im Rahmen der Studie „Die Situation von Film- und Fernsehschaffenden 2015“ Befragten von häufigem und sehr häufigen Auftreten von Diskriminierungen. Für die im Auftrag des Vereins „Die Filmschaffenden“ von LANGER MEDIA research & consulting durchgeführte Untersuchung haben zwischen Oktober und Dezember 2015 bundesweit 3.827 Film- und Fernsehschaffende an einer Online-Befragung teilgenommen. Unter den Formen der Diskriminierung nannten die Betroffenen die Geschlechterdiskriminierung als die verbreitetste. Viele Frauen hätten demnach von Mobbing und Diskriminierung bis hin zu sexueller Belästigung berichtet. Aber auch die schlechtere Bezahlung von Frauen, besonders von jüngeren Kolleginnen, werde von vielen Betroffenen als Diskriminierung wahrgenommen.

Tatsächlich ist die Filmbranche durch eine eklatante Ungleichverteilung der Geschlechter gekennzeichnet, die den perfekten Nährboden für die strukturelle Diskriminierung von Frauen bereitet. Für die von der Filmförderungsanstalt (FFA) herausgegebene Studie „Gender und Film“ wurden alle Spiel- und Dokumentarfilme aus den Jahren 2011 bis 2015 nach Geschlecht der Leitungspositionen untersucht. Demnach übernahmen in den meisten der kreativen Schlüsselpositionen mehrheitlich Männer die Leitungspositionen. Sehr unausgewogen zu Gunsten der Männer war das Geschlechterverhältnis dabei in den Bereichen Regie, Drehbuch und Produktion. In den Bereichen Kamera und Ton arbeiteten sogar in 85 Prozent bzw. 91 Prozent der Fälle ausschließlich Männer an den Filmen und in 10 Prozent bzw. 4 Prozent ausschließlich Frauen. Dem gegenüber steht die Geschlechterverteilung unter den Studierenden an Filmhochschulen. Sie befindet sich über alle Studiengänge mit 40 Prozent Frauen und 60 Prozent Männern in einem relativ ausgewogenen Verhältnis.

Begründet liegen diese beschriebenen Ungleichgewichte laut der Studie in branchenspezifischen Barrieren, die zwar Hürden für die Karrieren beider Geschlechter bildeten, doch für Frauen stärker wirksam seien. Dazu gehöre etwa die branchenimmanente Risikoaversion. Sie führe zum Rückgriff auf Bewährtes, vor allem auf bewährte Netzwerke in der Auswahl und Besetzung der Schlüsselpositionen. Aber auch die fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie gepaart mit den prekären Arbeitsbedingungen in der Branche begünstigten die strukturelle Ungleichheit von Frauen am Filmset.

Pro Quote – Contra Diskriminierung

In diesem ungleichen, männerdominierten Universum sehen die Gründerinnen von Pro Quote Film e.V. die Ursache nicht nur der strukturellen Diskriminierung, sondern auch der sexuellen Diskriminierung von Frauen aller Gewerke in der Filmbranche: „Ein entmischtes System, in dem Männer vorwiegend allein entscheiden, wird irgendwann disfunktional. Da haut man gern auch mal kollektiv einer Frau auf den Arsch, solche Dinge verselbstständigen sich“, sagte Regisseurin und Mitgründerin Bettina Schoeller-Bouju im vergangenen Oktober, als die #metoo-Debatte gerade am Hochkochen war.

Die Gründung von Pro Quote Film wurde heute in Berlin bekanntgegeben. Die Aktivistinnen des 2014 gegründeten Vereins Pro Quote Regie haben sich dafür erweitert und engagieren sich ab sofort nicht mehr nur für die Regisseurinnen, sondern für die Gleichstellung aller Filmschaffenden in den Gewerken Regie, Kamera, Ton, Filmkomposition, Produktion, Drehbuch & Dramaturgie, Schnitt, Szenenbild und Kostüm sowie Schauspiel. Ziel der Gründerinnen ist die Öffnung des geschlossenen Systems Filmbranche mittels der Durchsetzung einer Frauenquote von 50 Prozent. Außerdem fordern die Frauen die paritätische Besetzung aller Gremien, ein kontinuierliches Gender-Monitoring und Workshops in Sachen Genderkompetenz für Führungskräfte in den Sendern, den Filmförderanstalten und Filmhochschulen. Pro Quote Film begreift die Schaffung von Diversität als gesellschaftliche Aufgabe, von deren Gelingen letztlich auch die gesamte Gesellschaft profitieren wird. Denn eine gerechte Geschlechterverteilung in den Filmcrews verändert auch die Filme und das darin vermittelte Frauenbild. Oder wie es die Drehbuchautorin Dorothee Schön ausdrückte: „In diesem selbstreferentiellen männlichen System fördern die männlichen Entscheider nur die Stoffe, die ihr Narrativ stützen.“ Ein Teufelskreis.

Dass der große Saal im Berliner Kino International, in dem die Gründung des Vereins verkündet wurde, fast bis auf den Anschlag gefüllt war, kann wohl auch als Statement für die Bedeutung verstanden werden, die das Thema Geschlechtergerechtigkeit im Filmbusiness mittlerweile erlangt hat.

Was den meisten Heldenreisen fehlt ist die Heldin

Unterstützung auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung bietet etwa das Mentoring-Programm „Into the Wild“. Initiatorin Isabell Šuba möchte die Inhalte und Ideen von Pro Quote Film an die Studentinnen der Filmhochschulen weitergeben. „Ich habe mich nach langen Diskussionen gefragt, was ich eigentlich selbst tun kann, um etwas zu verändern, anstatt immer nur darüber zu reden. Und da lag es nahe, ein Programm auf die Beine zu stellen, das alles beinhaltet, was mir während und nach der Uni-Zeit gefehlt hat“, dachte sich die Regisseurin und startete das Projekt, das junge Filmemacherinnen aller Filmhochschulen in Deutschland schon in der Endphase des Studiums bzw. kurz nach dem Studium mit zukünftigen Arbeitskolleginnen aus dem Filmbusiness vernetzt. Šuba und ihre Partnerinnen wollen so nicht nur den Anteil der Filmemacherinnen in der Branche deutlich erhöhen, sondern auf diese Weise langfristig auch das Frauenbild modifizieren, wie es derzeit noch in den allermeisten Filmen vermittelt wird. Das Programm beinhaltet eine zehntägige Stoffanalyse mit dramaturgischer Beratung, drei intensiven Wochenend-Workshops, die von etablierten Filmemacherinnen geleitet werden und endete am 24. Januar mit dem „Pitching Salon“ auf dem Filmfestival Max-Ophüls-Preis. Außerdem hat jede Teilnehmerin ihre persönliche Mentorin zugewiesen bekommen. 15 Filmemacherinnen haben am ersten Jahrgang „Into the Wild“ teilgenommen. „Das Programm soll nun weitergehen“, sagt Šuba, wie genau, das müsse man allerdings noch mit allen Partnerinnen klären.

Auf Empowerment für Medienfrauen setzt auch der Verein WIFT (Women in Film an Television Germany). „Wir unterstützen Frauen dabei, ihre Sichtbarkeit zu vergrößern, ihre Ressourcen und Stärken zu erkennen und sich selbstbewusst zu präsentieren“, sagt die Vorstandsvorsitzende des Vereins Nicole Ackermann, die als geschäftsführende Gesellschafterin bei den Mouna GmbH Film & Media Studios tätig ist. WIFT sei ein Geschäftsnetzwerk von Frauen in der Film- und Medienindustrie und als solches auch mit zahlreichen weiteren Initiativen und Verbänden aus dem Medienbereich vernetzt. Darunter auch auch Pro Quote Regie/Pro Quote Film. Die Zusammenarbeit beinhalte etwa die Entwicklung gemeinsamer Forderungen, aber auch gemeinsame Veranstaltungen wie beispielsweise die Media Women Connect auf den Medientagen München. „Außerdem bieten wir als Netzwerk Weiterbildungsangebote für unsere Mitglieder an“, ergänzt Ackermann, „beispielsweise zum Thema ‚Verhandeln‘, um unsere Mitglieder auch ganz praktisch in ihrer Arbeit zu unterstützen.“

Eine Beschwerdestelle für die Filmbranche

Während eine Quote oder Empowerment-Programme eher mittel- bis langfristig Verbesserungen schaffen könnten, will eine weitere Initiative Frauen bei der konkreten Durchsetzung ihrer Rechte nach dem 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) unterstützen. Unter Führung des Bundesverbands Schauspiel (BFFS) arbeiten zahlreiche Branchenverbände, darunter auch ver.di, die Produzentenallianz und Pro Quote Film, an der Einrichtung einer überbetrieblichen Beschwerdestelle. Denn: „Das Problem ist, dass die Betriebe bei uns oft sehr klein sind, und es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen“, sagt BFFS-Vorstandsmitglied und Schauspieler Heinrich Schafmeister im Interview mit dem WDR. Eine betriebliche Beschwerdestelle, wie sie vom AGG vorgesehen ist, mache hier wenig Sinn. „Auf Grund dieser spezifischen Beschaffenheit im Filmwesen wollen wir eine überbetriebliche Beschwerdestelle schaffen – also eine, die für die ganze Branche da ist und sich auch mit den Spezialitäten im Filmbetrieb auskennt“, erklärt Schafmeister.

Eine solche Beschwerdestelle könnte etwa in Fällen wie denen von Maskenbildnerin Ronja Hartwig* helfen. Herabsetzende Kommentare empfindet sie in ihrem Job als Normalität. „In meinem Gewerk arbeiten fast ausschließlich Frauen, in den anderen Gewerken so gut wir nur Männer. Da passiert es ständig, dass man als die kleine Süße betitelt und leider nicht wirklich ernst genommen wird.“ Aber auch weitergehende Anzüglichkeiten bis hin zur penetranten Belästigung durch einen Produktionsleiter habe sie schon erlebt. Bieten lassen sie sich das jedoch nicht. Den Mann habe sie offen konfrontiert, woraufhin die Übergriffigkeiten aufgehört haben. Sie sagt aber auch: „In so einer Situation muss man schon abwägen, ob man sich das erlauben kann. Im Fall einer Maskenbildnerin ist es zum Beispiel wichtig, dass die Schauspieler_innen einem vertrauen und man einen guten Stand bei ihnen hat. Ansonsten läuft man Gefahr, den Job zu verlieren, wenn man aufmuckt.“

Da nachhaltige Veränderungen allerdings nur durch einen tiefgreifenden Kulturwandel herbeigeführt werden können, wollen die beteiligten Verbände außerdem einen Verhaltenskodex für die Branche entwickeln. „Dieser Kulturwandel ist erforderlich, um die Themen sexuelle Übergriffe und problematische Machtverhältnisse in der Filmwirtschaft dauerhaft und nachhaltig an der Wurzel zu packen und zu beseitigen, sagt dazu Cornelia Haß, Leiterin des ver.di-Fachbereichs Medien und Publizistik.

*Namen von der Redaktion geändert


** Richtigstellung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Artikels hieß es: „Schellmann wandte sich daraufhin an die ver.di-Rechtsabteilung, wo ihr Anwalt Norbert Lippok jedoch nicht viel Hoffnung machte. Für eine Klage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) müsse ein schriftlicher Beweis vorliegen, dass der Grund für die Absage ihre Schwangerschaft gewesen sei. Sie entschied sich gegen eine Klage, versucht es stattdessen weiter bei einer anderen Produktion. “

Dazu Norbert Lippok: „Diese Aussage habe ich nie getätigt.“

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