Fordern und fördern

Die Volontäre Patrick Schwemling (l.) und Hans-Georg Gottfried Dittmann (r.) mit ihrem Ausbilder Jan Henning Rogge (m.) im Mindener Tageblatt
Foto: Alex Lehn

Eine gute Ausbildung und das ständige Dazulernen im Umgang mit neuen digitalen Formaten und modernsten Techniken ist auch in Medienbetrieben ein dringliches Erfordernis. Dieser These wird öffentlich gern zugestimmt. Aber wie sieht die Realität aus in einer Branche, in der es nicht mehr uneingeschränkt hip ist, „irgendwas mit Medien zu machen“?

Er ist immer erreichbar für sie. Wenn der Schuh drückt, wenn sie sich übergangen fühlen. Er achtet darauf, dass sie eine inhaltlich gute Ausbildung erhalten und nicht an der Kaffeemaschine verheizt werden. Er tritt ihnen auf die Füße, um sie zu fordern und zu fördern. Sein Ziel ist es, sie fit zu machen für einen Job, der bedroht ist. Jan Henning Rogge ist Ausbildungsredakteur beim Mindener Tageblatt. „Ich mag Menschen“, sagt der 43-Jährige und das ist wohl die Grundvoraussetzung für einen guten Volo-Vater.

„Ausbildungsredakteur ist mein Hobby“, sagt der Mann, der den Volontären mit Respekt begegnet. Auch an diesem Morgen wird seine Haltung deutlich. Jan Henning Rogge, der Online-Redakteur, der crossmedial arbeitet und denkt, bittet die Volos, ihre Vorschläge für das Jahresthema „Leben im ländlichen Raum“ vorzutragen. Dabei sollen sie das große Ganze im Auge behalten: gutes Thema, gut aufbereitet, crossmedial gedacht. „Da habt ihr Gelegenheit zu zeigen, was ihr könnt. Video, Foto, Text“, sagt er ihnen.

Volontäre dürfen in Minden alles

Hans-Georg Gottfried Dittmann, der sein Volontariat bald beenden wird, schlägt eine lokale Bürgersprechstunde als Event vor: „Ein Get-Together mit Musikprogramm, bei dem die Leute Fragen, Sorgen, Anregungen loswerden können. Ich gehe von Tisch zu Tisch und höre zu.“ Er selbst möchte das Event moderieren. Rogge findet die Idee gut, lässt sich den Vorschlag erläutern, bittet noch darum, ihn abzustimmen mit dem Lokalen und auch die Band zu checken, „nachher will die keiner hören“. Mehr bekommt Rogge an diesem Morgen nicht vorgelegt. Grund: Der zweite Volontär Patrick Schwemling (30) ist erst seit vier Monaten in der Ausbildung und hält sich noch bedeckt. Der dritte Volo hat Spätdienst. Die Runde geht auseinander, die Arbeit ruft. Volo Dittmann geht ins Lokale, Volo Schwemling arbeitet in der Online-Redaktion. Hier lernt er, Themen zu werten, interessant zu teasern. Für das Mindener Tageblatt ist er auch als Video-Redakteur und auf Facebook unterwegs. „Wir dürfen und sollen alles“, berichtet der studierte Sprachwissenschaftler. „Volos dürfen alles, ihre Texte und ihre Videos werden aber von Redakteuren autorisiert“, ergänzt Rogge, der auch in diesem Jahr drei Volontäre betreut. Dass diesmal keine Frau dabei ist, sei Zufall, bestimmt keine Absicht.

In der Regel werden die Volontäre beim Mindener Tageblatt aus den Praktikanten rekrutiert, die nach ihrem Studium zum Praktikum in die Tageszeitung kommen. „Da sehen wir, wer sich eignet und wer nicht“, sagt Rogge, der zusammen mit dem Chefredakteur in der Auswahljury sitzt. „Das Handwerkszeug für unseren Job kannst du dir aneignen. Das Brennen für den Job und auch das Talent kannst du aber niemandem beibringen“, spricht der Redakteur aus Erfahrung.

Jan Henning Rogge hat „Bock“ auf seine Leute und manchmal geht er mit ihnen ein Bier trinken und erfährt im Gespräch, was gut läuft und was nicht – manchmal auch den privaten Grund für das eine oder andere, scheinbar nicht nachvollziehbare Verhalten. „Wir sind Menschen und es gibt für alles eine Erklärung.“ Dennoch zieht er Grenzen zwischen Privatem und Beruf, er muss. Denn spätestens, wenn ein Volontariat beendet ist und der Journalismus dem Broterwerb dienen soll, zählen allein Leistung, Können, Engagement. Für alles andere gibt es dann meistens kein offenes Ohr mehr.

Immer weniger junge Menschen bewerben sich um ein Volontariat. „Früher standen die Leute Schlange und mussten abgewiesen werden. Heute bist du froh, wenn sich jemand bewirbt“, sagt der Ausbildungsredakteur. Das alles liege an der mangelnden Perspektive. Medienhäuser fusionierten, Redaktionen würden geschlossen und Redakteur*innen entlassen. Doch obwohl man auch beim Mindener Tageblatt mit sinkender Auflage zu tun hat, scheint die Lokalzeitung ein Fels in der Brandung zu sein. Das Verlagshaus wurde modernisiert. Eine neue Druckerei wurde angeschafft. Die Zahl der Beschäftigten ist seit Jahren konstant und die Volontär*innen haben nach der zweijährigen Ausbildung gute Chancen übernommen zu werden.

Recht auf Fortbildung

„Dennoch hat die Branche einen Ruf, der zurzeit keine Zukunft verspricht“, kennt auch Rogge die Ängste jüngerer Menschen. Daher setzt er bei der Ausbildung ganz klar auf crossmedial. Der Online-Redakteur himself macht den Nachwuchs fit in Video, Schnitt, Kamera, Ton etc. „Das müssen die alles draufhaben und das Schreiben sowieso“. Das Recht auf Fortbildung einmal im Monat wird beim Mindener Tageblatt hochgehalten. Auch der Besuch von externen Fortbildungen ist eine Selbstverständlichkeit. Die Hospitanz in einem Medium ihrer Wahl wird den Volontär*innen ermöglicht. Allerdings beruht diese auf der Eigeninitiative der Volontär*innen: „Auch hier zeigt sich: Jeder ist seines Glückes Schmied. Aus diesem Volontariat kannst du wirklich was machen, wenn du willst.“ Rogge wünscht sich, dass es auch Fortbildungen für Ausbildungsredakteure gibt. „Gibt es aber nicht. Das ist kein Scherz.“ Er selbst wurde es, weil er sich auf die frei gewordene Position während seiner Elternzeit bewarb.

Zu dem Zeitpunkt war er bereits fünf Jahre Redakteur und hatte den ehemaligen Chefredakteur Christoph Pepper an seiner Seite. „Pepper war ein Pionier im Digitalen. Er hat die Notwendigkeit nie in Frage gestellt, eher im Gegenteil“, sagt Rogge, der auch mit seinem Hintergrund zu überzeugen wusste. Der studierte Kulturwissenschaftler und Kunstgeschichtler hatte neben seinem Studium für deutsche und italienische Film- und Fernsehproduktionen als Regieassistent gearbeitet. Kamera-, Videotechnik waren ihm bestens vertraut, auch weil er dort bei jeder möglichen Gelegenheit von den professionellen Cuttern gelernt hat. Die ab 1997 beim MT implantierten Online-Aktivitäten baute Rogge schon in der Volontärszeit crossmedial aus und entwickelte sie als Jungredakteur weiter. 2013 wurde er Ausbildungsredakteur.

In Zeiten, in denen Medien unter Generalverdacht gestellt werden und der verächtliche Vorwurf Fake News zu produzieren, salonfähig geworden ist, sei eine gute fundierte Ausbildung wichtiger denn je, betont der neue Chefredakteur des Blattes Benjamin Piel (33). „Sie ist die Zukunft, in die wir investieren. Nur so hat der Journalismus eine Chance“, sagt das Mitglied der Theodor-Wolff-Preis-Jury.

Rogges Engagement für das Cross-Mediale schlägt sich im täglichen Online-Produkt des MT nieder. Aktuelle Videos sind inzwischen selbstverständlich. Jüngst wurde das neue Videoformat „Fahrstuhlmusik“ eingeführt. Bis zu vier Künstler*innen, die in den Fahrstuhl des Verlagshauses passen, haben für die Dauer einer Fahrt nach oben 30 Sekunden Zeit, um zu musizieren und einen kreativen Minden-Bezug in ihren Texten zu liefern. Die Volontäre filmen das Ganze. „Diese Idee stammt von einem Volo“, freut sich Rogge.

Die weiteren Artikel mit dem Fokus Aus- und Weiterbildung und zu anderen Medienthemen finden sich hier

 

 

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