Fotojournalisten weltweit in Existenznot

Foto: Hermann Haubrich

Studie gibt Auskunft über Arbeits- und Lebensbedingungen

Fotojournalist_innen sind fast immer männlich, können von ihrem Einkommen kaum leben, sehen sich großen körperlichen Risiken bei ihrer Arbeit ausgesetzt, sind aber dennoch relativ zufrieden mit ihrem Beruf. Das sind Befunde einer Studie über Fotojournalist_innen weltweit, die von den Universitäten Stirling und Oxford in Zusammenarbeit mit der World Press Photo Foundation im September 2015 veröffentlicht wurde. Was sagt eine solche Studie über die Zustände in Deutschland aus? Der Versuch einer Einordnung.


Im Rahmen der Online-Umfrage gaben 1.556 Fotograf_innen aus mehr als 100 Ländern Auskunft zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen. Alle befragten Fotograf_innen hatten am World Press Photo-Wettbewerb 2015 teilgenommen. Über die Hälfte lebt in Europa, die kleinsten, fast vernachlässigbaren Fallzahlen finden sich in Afrika und Australien. Aus Deutschland nahmen 63 Fotograf_innen teil. Die 1.500 Befragten sind nicht nur ein kleiner Ausschnitt der Fotograf_innen weltweit. Es ist auch nur ein geringer Teil derjenigen Fotograf_innen, die am World Press Photo Award teilgenommen haben. Denn da haben 5.692 Fotograf_innen Bilder eingereicht, aus Deutschland 240.

Männerdominierter Fotojournalismus

85 Prozent der Fotografen sind männlich, so eine Erkenntnis der Studie, deren Macher daraus eine fundamentale Unausgewogenheit des Geschlechterverhältnisses im Fotojournalismus weltweit ableiten. Ob dieser Schluss richtig und ob er auf Deutschland übertragbar ist, ist aber fraglich. Denn Rolf Nobel, Professor für Fotografie an der Fachhochschule Hannover schildert eine andere Realität:

Rolf Nobel, Professor für Fotografie an der Fachhochschule Hannover. Foto: privat
Rolf Nobel, Professor für Fotografie an der Fachhochschule Hannover. Foto: privat

Als relativ ausgewogen beschreibt er das Verhältnis von männlichen und weiblichen Studierenden an seiner Hochschule und auch im Beruf gibt es nach seinem Eindruck nicht so wenig Frauen wie es die Studie suggeriert. Zwar hätten es Männer in dem Beruf oft leichter, weil er durch starkes Einzelkämpfertum geprägt sei, wofür ein selbstbewusstes Auftreten wichtig wäre. Frauen erlebe er oft als defensiver, selbst wenn ihre Leistungen dafür keinen Anlass böten.

Der geringe Anteil von Frauen in der Studie legt aber auch eine andere Vermutung nahe, als die, dass Frauen generell im Fotojournalismus unterrepräsentiert sind: Männer nehmen häufiger an hochkarätigen Wettbewerben wie dem World Press Photo Contest teil, sind eher bereit, sich mit anderen zu messen. Und tatsächlich: Unter den 240 Fotograf_innen aus Deutschland, die Fotos für den World Press Photo Award einreichten, befanden sich nur rund 40 Frauen. Nobel ist mit Blick auf die Studentinnen seines Studiengangs aber optimistisch. In 20 bis 30 Jahren würden sich auch unter den Spitzenfotografen weltweit weit mehr Frauen finden, denn die Möglichkeiten für Frauen, in diesem Beruf Fuß zu fassen und sich zu etablieren, seien besser geworden.

Beruf mit Lebensgefahr

Insbesondere unter den Männern ist laut der Studie die Angst, bei Ausübung der Arbeit verletzt zu werden oder zu sterben, verbreitet. 40 Prozent von ihnen nannten das als größte Gefahr in ihrem Beruf. Dieser Befund – durchaus nachvollziehbar etwa für einige Regionen Südamerikas – gilt nicht nur weltweit, sondern auch für die deutschen Befragten. „Mit der Realität deutscher Fotograf_innen hat das herzlich wenig zu tun“, kommentiert Rolf Nobel. Abgesehen von den Fotograf_innen, die in Krisengebieten unterwegs seien, müsse keiner Angst um Leib und Leben haben. Und von Kriegsberichterstattung träumten zumindest unter seinen Studierenden nur wenige. Viel näher an der Wirklichkeit deutscher Fotograf_innen sei die unter den Frauen laut der Studie am meisten verbreitete Sorge: die vor unregelmäßigem Einkommen. Die fehlende soziale Absicherung, unzureichender Versicherungsschutz und Existenznot sind nach Nobels Einschätzung die wesentlich größeren Gefahren.

Gefahren, denen Fotojournalist_innen weltweit ausgesetzt sind. Die Studie zeichnet ein düsteres Bild von den Arbeitsbedingungen: Geringes Einkommen, wenig Festanstellungen, viel Unsicherheit und eine weit verbreitete unerlaubte Nutzung von Bildern. Und zumindest was das angeht, kann Rolf Nobel den Befunden nicht widersprechen. Im Gegenteil. Die meisten Zahlen sind für Deutschland noch dramatischer.

Schlechte Arbeitsbedingungen

Laut der Studie arbeiten 60 Prozent der befragten Fotograf_innen selbständig. Für Deutschland gelte das so nicht, gibt Rolf Nobel zu Bedenken. Denn hier müssten die Zahlen viel höher sein. Mangels Festanstellungen sind hierzulande nahezu alle Fotojournalistinnen und -journalisten Freiberufler.

Das Einkommen von drei Vierteln der Befragten weltweit liegt unter 40.000 USD im Jahr, ein Drittel verdient sogar weniger als 10.000. Viele gaben deshalb in der Studie an, das durch Fotografie erzielte Einkommen reiche nicht zum Leben. Auch in Deutschland bestätigt sich dieses Bild. „Man kann niemandem mehr empfehlen, davon zu träumen, dass man allein von journalistischer Fotografie leben kann“, sagt Rolf Nobel. Die meisten nehmen zusätzlich Aufträge im PR-Bereich an oder geben Fotografie-Kurse. Denn neben den sinkenden Honoraren ist auch die große Konkurrenz ein Problem: Es gibt wesentlich mehr Fotograf_innen als Aufträge. Zwar ist der Andrang nicht immer so groß wie beim World Press Photo-Wettbewerb, bei dem Tausende Fotograf_innen auf eine Handvoll Preise hoffen. Aber auch im Alltag gelte, so Nobel: „Der einzige Weg in den Job führt darüber, anderen den Job abzunehmen.“

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