Dr. Michael Maier, Chefredakteur der „netzeitung“ pocht auf publizistischen Anspruch
Im Frühjahr 2000 als erste deutsche Tageszeitung mit Vollredaktion gegründet, die nur im Internet erscheint, lebt die „netzeitung“ immer noch – trotz Krise der New Economy. Nach zwei Besitzerwechseln ist das von Nettavisen, den norwegischen Pionieren des Online-Journalismus, initiierte Projekt nun Teil der Fachverlagsgruppe BertelsmannSpringer.
»M«: Ist die „netzeitung“ eine „normale“ Zeitung oder was zeichnet dieses reine Online-Medium aus?
Michael Maier: Ich würde die „netzeitung“ als klassische Zeitung bezeichnen, die sich aber den Aufwand der traditionellen Produktion und des herkömmlichen Vertriebs umweltschonend spart. Statt dessen nutzen wir den schnellsten, aktuellsten Weg zum Leser – das Internet. Wir sind Journalisten mit einem publizistischen Anspruch, wie auch in anderen Medien, nur: Unser Angebot wird permanent aktualisiert. Unser Selbstverständnis ist im übrigen für jeden im „Redaktionellen Kodex“ nachzulesen.
»M«: Das Internet zeichnet sich aber dadurch aus, dass es multimedial ist. Warum kreieren sie nicht aus Texten, Fotos, Grafiken, Tönen und bewegten Bildern ein völlig neues, multimediales Produkt?
Michael Maier: Die „netzeitung“ ist vorrangig text- und damit leseorientiert. Andere Elemente wie Fotos und Grafiken setzen wir auch ein, besonders unter Cartoon gibt es politische Karikaturen in einer dem Internet adäquaten, multimedialen Form. Audio- und Video-Dateien benutzen wir eher sparsam, etwa die bewegenden und bewegten Bilder vom 11. September 2001. Wir wollen nicht die bisherigen Hör-, Seh- und Lesegewohnheiten der Nutzer negieren oder etwa umkrempeln. Außerdem ist das Wichtigste für jedes publizistische Objekt, damit es seine Freiheit bewahren kann: Es muss sich finanziell rechnen. In einer wirtschaftlich angespannten Situation wie jetzt im Medienbereich sind wir gehalten, schlank zu bleiben und uns auf das zu fokusieren, was die Kunden wollen.
»M«: Ist Online-Journalismus ein besonderer Journalismus, wodurch zeichnet er sich im Vergleich zu Print, Radio und TV aus und was hat er mit anderen „Journalismen“ gemeinsam?
Michael Maier: Online-Journalismus gleicht eher dem Radiojournalismus. Denn im Vergleich zu Print steht der Online-Journalist immer unter Strom, hat keinen Redaktionsschluss und damit einen anderen Rhythmus. Das erzeugt eine Art Wachheit, die sich vom klassischen Journalismus in anderen Medien unterscheidet. Dazu kommt noch, dass er besonders schnell und zugleich exakt sein muss, denn es fehlt eine Korrekturebene. Und er muss stärker, direkter auf den Leser zuschreiben in einer kurzen, prägnanten, korrekten Sprache.
»M«: Und was ist mit Essentials des klassischen Journalismus wie Recherche oder investigativem Arbeiten?
Michael Maier: Die gelten auch für Online. Wir haben in der netzeitung durchaus schon eine Woche an einem Thema recherchiert, sind öfters mit enthüllenden News oder Hintergründen die Ersten, die sie veröffentlichen. Dann werden wir auch von anderen zitiert. In diesem publizistischen Mehrwert liegt eine geschäftliche Chance, die wir bei der netzeitung u.a. mit den neuen Online-Abos nutzen wollen.
»M«: Eine gedruckte Zeitung entsteht in arbeitsteiliger Kooperation von Journalisten, Fotografen, Layoutern etc und sichert dadurch auch Qualität, weil jede Profession in ihrem Bereich fit ist. Ist das auch bei der „netzeitung“ so?
Michael Maier: Bei uns arbeitet der Journalist eher umfassend, macht im Prinzip fast alles selbst. Wir haben schlanke Hierarchien und zwischen dem Redakteur und dem Leser ist nur der Desk als eine Art Qualitätskontrolle. Fotos, Grafiken kommen von Agenturen oder auch anderen Quellen, und das Layout ist standardisiert, so dass der Journalist in definierte Plätze hineinschreibt. Selbst unsere Web-Designer haben einen journalistischen Background. Außerdem gibt es noch eine kleine Gruppe in der netzeitung, die sich um Leserbetreuung kümmert, wozu auch Fragen der Handhabbarkeit und der Navigation gehören.
»M«: Und was ist mit E-Commerce und Content-Syndication bei der netzeitung als Ergänzung zu klassischen Werbe- und Abo-Einnahmen?
Michael Maier: Anzeigen, Banner und bezahlte Elemente sind wie bei jedem klassischen Medium klar gekennzeichnet. Die Redaktion betreibt keinen E-Commerce. Dagegen ist die Kooperation mit Partner bei der Verwertung unserer Inhalte ein sich entwickelndes Standbein. Die Kunden sind nicht nur andere Web-Seiten, Online-Angebote oder mobile Dienste, sondern auch klassische Medien. So nutzt Radio Liechtenstein unser Redaktions- und Content-Management-System. Seit Anfang Dezember beliefern wir das bundesweite Klassik-Radio mehrmals täglich mit gesprochenen Nachrichten.
Das Gespräch führte Holger Wenk