Fünf Jahre „Mediensalon“

Mediensalon im taz-Haus in Berlin 2019: „Der Fall Relotius und die Folgen für die Glaubwürdigkeit des Journalismus“. Auf dem Podium: Karsten Kammholz, Hajo Schumacher, Bascha Mika, Alina Leimbach, Tina Groll, Brigitte Fehrle, Katharina Dodel und Holger Stark (v.l.n.r.) Foto: meko factory/Henrik Andree

Flexibilität bei Themen und Format – Debatte auf Augenhöhe

Der Berliner „Mediensalon“, die gemeinsame Veranstaltungsreihe von Deutscher Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di, Deutschem Journalistenverband DJV Berlin-JVBB und meko factory, der gemeinnützigen „Werkstatt für Medienkompetenz“, geht jetzt in ihr fünftes Jahr. Vom taz-Café in die taz-Kantine oder schippernd auf der Spree, vom Präsenzformat zur hybriden oder reinen Online-Veranstaltung: Flexibilität hat der Medien-salon nicht nur bei den zur Diskussion gestellten Fragen bewiesen. Mit im Boot sind – je nach Thema – Kooperationspartner wie die Otto-Brenner-Stiftung und Landau Media. Bei der Reihe „Jugend, Politik und Medien” waren auch die Jugendpresse Deutschland, die Berliner Landeszentrale für politische Bildung und Alex TV dabei. Vor Bundestags- und Berliner Wahlen wurde diskutiert über das Wahlalter, das Bild Jugendlicher in den Medien, ihre politischen Einflussmöglichkeiten und Ziele.

Entstanden ist die Reihe, so erinnert sich Tina Groll, ZEIT-Redakteurin und Vorsitzende der dju in ver.di, „als Revival der Stammtische vom Netzwerk Recherche“, die es schon seit 2008 gab. 2017 traf sie sich mit Johannes Altmeyer und Christoph Nitz und sie „kamen auf die Idee, das Format auf breitere Füße zu stellen und unterschiedliche Journalismus-Organisationen zu beteiligen“, berichtet Groll. Eine Plattform schaffen, von Journalist*innen für Journalist*innen, beschreibt es rückblickend Altmeyer, Leitender Redakteur bei Business Insider: „Wir wollten Diskussionen organisieren, die lebendig sind, praxisnah, offen für einen Austausch auf Augenhöhe. und natürlich Mehrwert bieten.“ „Für mich stand fest“, so Groll, „die dju darf hier nicht fehlen, denn es ist ein attraktives Format, um medienpolitische Themen nicht nur mit Menschen aus der Branche, sondern auch Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren.“ Christoph Nitz, Gründer der meko factory, fasst zusammen: „Mit den Jahren entwickelte sich der Mediensalon zu dem Debattenforum für Journalismus in Berlin.“ In der ersten Veranstaltung des neuen Mediensalons, im Februar 2018, ging es „gleich ums große Ganze, nämlich um die Zukunft des Journalismus“, sagte die damalige dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Berger zur Begrüßung. Mit dem „komplizierten Verhältnis: Journalisten und ihr Umgang mit der AfD“ fasste der Mediensalon in der zweiten Diskussion gleich ein heißes Eisen an. Die Beschäftigung mit „Rechten Populisten“, dem „Hass im Netz“, mit „Medien, Virologen und Aluhüten“ und den von Trump kreierten „Fake News“ folgten. Die Urheberrechtsreform, der Erfolg der Podcasts, #MeToo, Gendern, Influencer oder die Frage „Wer gibt den Takt an?“, die Politik oder die Medien, das alles ist schon Thema im Mediensalon gewesen.

Der „Fall Relotius“ mit den lange nicht als Fälschungen erkannten Reportagen bot wiederholt Anlass zur Beschäftigung mit den dunklen Seiten des journalistischen Metiers, zuerst im Februar 2019: „340 Anmeldungen, so viele wie noch nie. Der Saal in der ‚taz-Kantine‘ im neuen Verlagshaus überfüllt, viele Gäste sitzen auf dem Boden oder bleiben stehen“, schrieb Monique Hofmann, damals für „M – Menschen Machen Medien“ im Einsatz, heute dju-Bundesgeschäftsführerin. Unabhängig voneinander nennen alle drei diese Veranstaltung als ihre ganz besondere Erinnerung: „Es war die erste Veranstaltung nach Bekanntwerden des Skandals – und wir hatten ein hochkarätiges Podium mit vielen prominenten Vertretenden aus der Branche“, blickt Groll zurück. „Das Interesse, auch bei den Nicht-Medienschaffenden, war riesig. Es gab sehr viel aufzuarbeiten.“ Auch für Altmeyer war die Claas-Relotius-Diskussion im neuen taz-Gebäude ein „persönliches Highlight. Gäste-Auswahl, Zeitpunkt, Moderation, Atmosphäre: Das war ein perfekter Abend, der viel zur Popularität der Mediensalon-Reihe beigetragen hat.“

Bei den Themen für die Zukunft wünscht sich Groll eine Beschäftigung mit der Rolle der Medien in der Pandemie: „Haben wir wirklich alle Fakten richtig vermittelt? Haben wir es geschafft, uns nicht vor den Karren der Politik spannen zu lassen? Haben wir es uns in den Medien zu einfach mit den Schwarz-und-Weißbildern gemacht?“ Ein zweites wichtiges Thema sind für sie die zunehmenden Repressalien gegen Journalist*innen in vielen Ländern. Altmeyer erklärt: „Die Planungen für die nächsten Diskussionen laufen bereits auf Hochtouren. Das Organisations-Team hat immer das Ziel, die neuesten Entwicklungen in der Branche aufzugreifen.“

Und wie sieht die Zukunft des Veranstaltungsformats Mediensalon aus? War online nur ein Corona-Notnagel oder ist hybrid das neue „Diskussions-Normal“? Nitz sagt ja: „Hybrid wird das neue Normal, da wir so auf allen Ebenen flexibler sind. Podiumsexpert*innen und Gäste können mit einer Zuschaltung teilnehmen – das erweitert das Spektrum der Meinungen.“ Und der Mediensalon könne so auch als Video-On-Demand zeitversetzt angesehen werden. Altmeyer sieht in der hybriden Form ebenfalls das Format der Zukunft: „Was nicht heißt, dass wir uns nicht wieder auf unsere Gäste freuen. Der lebendige Austausch vor Ort gehört zum Mediensalon dazu.“ Aber die Corona-Pandemie habe gezeigt, „dass die Reihe flexibel genug ist, um solche technisch durchaus anspruchsvollen Hybrid-Formate zu ermöglichen.“ Altmeyer verbindet das mit einem doppelten Dank: „Ohne die Veranstaltungsexpertise von Christoph Nitz wäre der Erfolg der Mediensalon-Reihe unmöglich gewesen. Er und sein Team haben das Format auf ein neues Niveau gehoben. Gleichzeitig bin ich der „taz“ dankbar, dass wir dort bereits seit so langer Zeit diskutieren dürfen.“

Auch wegen der Reichweite setzt auch Tina Groll für die Zukunft des Mediensalons auf hybrid: „Ich glaube, es ist gut, beides zu haben.“ Ideal sei eine Veranstaltung vor Ort, „bei der im Anschluss auch das Networking wichtig ist“, und die gleichzeitig durch Streaming digitale Beteiligung möglich macht, unterstreicht Groll: „Denn ansonsten konzentriert sich sehr viel in der Hauptstadt Berlin. Aber kluge Journalistinnen und Journalisten gibt es in ganz Deutschland.“

 

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