Für mehr Wertschätzung

Großes Interesse am 1. Symposium des Deutschen Fotorats, bei Debatten etwa um den Wandel des Berufsbildes und die Zukunft der Archive. Foto: Frank Berno Timm

Der Deutsche Fotorat beleuchtet die Fotografie aus vielfältigen Perspektiven

Die Hamburger Deichtorhallen für internationale Kunst, ein (leider abgedunkeltes) Auditorium, Stuhlreihen für an die 70 Besucher, davor eine kleine, möblierte Bühne: Das auf der Einladung des Deutschen Fotorats für sein Symposium am 1. Juni in Hamburg mit dem Titel „Fotografie – Das Auge der Gesellschaft” versehene Programm kommt ziemlich ambitioniert daher: Fünf Stunden Diskussionsrunden und Vorträge. Bemerkenswert: Die bestens besetzten Reihen lichten sich kaum im Lauf der langen Zeit. DieseAusdauer rechtfertigen auf jeden Fall vor allem zwei Personen, die mit auf der Bühne sitzen: der Fotograf Rudi Meisel, ein schlagfertiger Zeitgenosse mit gehörigem Humor, und die kluge Malin Schulz, Artdirektorin bei der letzten Hochburg steigender Printauflagen: der nur ein paar Schritte entfernt residierenden „Zeit“.

Aber wer hat hier eigentlich eingeladen? Im Deutschen Fotorat sind seit vorigem Jahr die Deutsche Fotografische Akademie (DFA), die deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh), der Berufsverband Freier Fotografen und Filmgestalter (BFF) und FREELENS, der mitgliederstärkste Verband freier Fotograf*innen in Deutschland, versammelt. Die Gründung des Verbands, hört man an diesem Nachmittag häufig, sei überfällig gewesen.

Und der Zeitpunkt für dieses Treffen – mitten in der Hamburger Phototriennale, der wichtigsten derartigen Veranstaltung in Hamburg mit zahllosen Fotoausstellungen, ist gut gewählt. Die Themen des Nachmittags: Wandel im Berufsbild des Fotografen, Zukunft der Archive, die Rolle der Fotografie in der Kunst und nicht zuletzt die Frage, wie Bildkompetenz demokratiefähig gemacht werden kann. Diskutiert wird nicht nur hoch kompetent, sondern stets genderpolitisch korrekt, was manchmal ein wenig bemüht wirkt.

Gegen Schubladendenken

Was tut sich beim Berufsbild Fotograf Simon Puschmann sagt, er leide unter dem Schubladendenken in seiner Branche. Zwar fotografiere er häufig Autos für die Werbung, sei aber eigentlich kein Autofotograf. Producerin Susanne Kastner sieht die zwei Berufsfelder Werbung und redaktionelle Fotografie: Während es in der Werbung mehr um Vorgaben geht, gibt es in der redaktionellen Fotografie mehr Freiraum und „andere Bezahlung“. Prof. Heike Ollertz von der University for Applied Sciene betont, der Fokus sei, bei den Student*innen Haltung zu erreichen. Die habe er, sagt Puschmann: „Ich fotografiere das, was mir Spaß macht.“ Die meisten Foto-

graf*innen wüssten, wo ihr Schwerpunkt liege, ergänzt Susanne Kastner. Das Gespräch mündet in Forderungen, die einem bekannt vorkommen: Gegen den „visuellen Analphabetismus“ in den sozialen Medien müsse der Wert der Fotografie hochgehalten und die Bezahlung verbessert werden.

Großen Raum an diesem Nachmittag nimmt die Frage nach dem fotografischen Erbe ein. Hier treten Fotograf Rudi Meisel und Sebastian Lux, Geschäftsführer der Stiftung F.C. Gundlach, zusammen auf. Meisel ist dabei, sein Archiv an die Fotothek in Dresden zu geben. Er wolle „eine sichere Aufbewahrung“ haben und die öffentliche Nutzung möglich machen. Die „Gurken“ – also „schlechte“ Fotos – sortiert Meisel aus. Sebastian Lux, der in seiner Stiftung mit mehreren Archiven umgeht und mit der Fotothek zusammenarbeitet, plädiert für dezentrale Archive. Er fügt hinzu: Das vorherige Aussortieren der Bilder, sei für ihn eine „heikle Frage“, Bildersammlungen sollten vollständig bleiben.

Deutlich wird, wie wichtig es ist, Fotos und Filme sorgfältig zu beschriften, um die Archivarbeit zu erleichtern. Geld scheint allerdings knapp: „Wir können nicht kaufen“, die Stiftung leiste einen „Service für die Zukunft“ und stelle die Bilder kostenlos zur Verfügung. Lux bekräftigt jedoch, die Stiftung wolle die Arbeiten „an die Wand bringen“, also ausstellen. Zum Thema Geld gehören auch die Rechte der Erben: Meisel berichtet, er habe in seiner Familie ausgeschlossen, dass Fotos nach seinem Tod verkauft würden.

Fotografie in der Kunst

Schließlich geht es um Fotografie in der Kunst: Barbara Hofmann-Johnson, Chefin des Fotografie-Museums in Braunschweig und Thomas Seelig, Leiter der Fotoabteilung bei Folkwang in Essen, sitzen auf der Bühne – Foto-Künstler*innen aber nicht. Interessant ist in dieser Runde der Hinweis, dass ursprünglich journalistische Bilder nach einigen Jahren durchaus den Weg in Museen und Kunst-Ausstellungen finden können. „Kunst ist Zweckfreiheit.“ Und es gebe in der Kunst überzeugende Konzepte, die immer historische Vorläufer hätten, sagt Expertin Hofmann-Johnson.

Auch die Vernetzung spielte eine Rolle in der Debatte. Seelig berichtet von einem Treffen mit 23 Museumsleiter*innen, das eine Premiere gewesen sei. Trotz digitaler Verfügbarkeit habe sich der Leihverkehr verdoppelt. Die Runde schaut in die Schweiz zur dortigen Photostiftung, nach Österreich zu den Bemühungen um ein Fotomuseum und auch in die Niederlande.

Das vierte Panel ist die erste, bei dem der Ukrainekrieg eine Rolle spielt. Miriam Zlobinski von der DEJAVU Gesellschaft für Fotografie und Wahrnehmung geht zunächst auf die aktuellen Entwicklungen ein. Sie macht darauf aufmerksam, dass es nicht nur die Arbeit der Kriegsfotograf*innen gibt, sondern dass auch Luftbilder und Privatfotos im Krieg eine Rolle spielten. Fotografien könnten Beweismittel, Fotograf*innen zu Zeugen mit entsprechender Verantwortung werden. Bildreporter*innen würden selbst prominent. Die Berichterstattung weist neue Formate wie Kriegstagebücher auf. Zugleich spielten „Selfie-Positionen“ eine Rolle, „es braucht keine Redaktion mehr“.

Malin Schulz ergänzt, jeder Krieg habe seine eigene Bildsprache, die aktuelle Auseinandersetzung sei auch ein „Social-Media-Krieg“. „Wir müssen ganz stark einordnen“. Und sie erzählt, dass in der Redaktion der „Zeit“ beispielsweise auch die Frage diskutiert worden sei, ob man Leichname zeigen solle. Für Schulz komme es darauf an, „würdevolle Bilder“ zu machen und zu veröffentlichen. Sie bekräftigt, visueller Journalismus sei eine eigene Disziplin – die sich durch den Krieg emanzipiere – und insgesamt weiter vorangetrieben werden müsse. Schulz berichtet, dass die „Zeit“ ein entsprechendes Budget für Fotoaufträge hat und kritisiert zugleich Formate anderer Medien, die nur Klickzahlen erzeugen wollten. „Wir machen keine Auflage mit krassen Bildern“. Vielleicht sei jetzt die „Stunde der Vielfalt“, indem anstelle einzelner herausstechender Bilder viele verschiedene Aufnahmen die Geschichte erzählen, so Malin Schulz. Beim Presserat seien im Zusammengang mit der Ukraine-Berichterstattung „sehr wenig Beschwerden“ eingegangen, informiert Miriam Zlobinski.

Zum Abschluss geht Juana Bienenfeld, die sich lange Jahre in der Kulturbehörde Hamburg um das Thema Fotografie kümmerte, mit auf die Bühne. Fotografen müssten „gemeinsam ihre Interessen durchsetzen“, beim Film klappe das schon, meint sie. Im Gespräch mit Julia Laatsch von FREELENS werden die Corona-Folgen, die Arbeitslosenversicherung und die Zeitpläne bei der Vergabe von Stipendien thematisiert. Man solle jedoch nicht alles auf einmal wollen, sagt Juana Bienenfeld, es sei „perspektivisch ein langer Atem notwendig“, Verteilungskämpfe würden auch in Zukunft „sicher nicht abnehmen“. Rudi Meisel fragt aus dem Publikum, warum es „keine Fotokritik“ gebe und erinnert daran, das der Künstler Otl Aicher schon früh dazu geraten habe, „einen Verein“ zu bilden, in dem sich Fotograf*innen zusammenschließen.

Eins ist nach diesen fünf Stunden in Hamburg klar: Fotograf*innen und ihre Verbände finden zusammen. Sie wollen nicht nur die Frage, wo ein Deutsches Fotomuseum aufgebaut wird, geklärt sehen, sondern auch für gute Bezahlung als Wertschätzung ihrer Arbeit, für Vielfalt und Kompetenz und den sorgfältigen Umgang mit Archiven eintreten. Den „asozialen Medien“ (Rudi Meisel) treten sie durchaus selbstbewusst entgegen. Alles in allem sind das gute Nachrichten.

 

 

 

 

 

 

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