„Fuß fassen“ auf dem Wasser

Youth Media Convention 2005 – eine „schwimmende Tagung“ zur Journalistenausbildung für Volontäre und Studenten

Wie kann man ohne festen Boden unter den Füßen trotzdem Fuß fassen? Das wollten 150 Volontärinnen und Studierende sowie einige Schüler bei der Youth Media Convention vom 3. bis 5. Mai herausfinden – und bestiegen in Kiel die Fähre „Kronprins Harald“. Dort befragten sie in Diskussionsrunden und Seminaren Ausbildungsprofis: „Fuß fassen“ lautete das Thema der schwimmenden Tagung, bei der die Jugendpresse Deutschland diesmal mit der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) zum ersten Mal einen Mitveranstalter zur Seite hatte. Eine der nachhaltigen Folgen des dju-Hochschulprojekts in ver.di.

Dass die jungen Leute gut zugehört hatten, bewiesen die während der Fahrt entstandene Zeitung „politik orange“ sowie ein Videofilm. „Keine Routine, sondern eine eigene Perspektive finden“, hatte die Leiterin der Henri-Nannen-Schule, Ingrid Kolb, für die Reportage im Aufnahmetest geraten. So gab es im Film eine Stadtrundfahrt ohne einen einzigen Kameraschwenk aus den Fenstern des Busses und in der Zeitung eine Darstellung der Youth Media Convention aus der Sicht eines Bullauges. Mal was anderes.

Mit dem Volontärsausbilder des NDR, Otfried Krüer-Bürgermann, und seiner für die Organisation der Kurse zuständigen Kollegin Petra Brügmann diskutierten die Nachwuchsjournalisten, warum nur eine einzige Bewerbung beim NDR gestattet sei. Das schließe doch jede Weiterentwicklung aus. Von Martin Damerow aus der Politikredaktion der Nürnberger Nachrichten erfuhren sie, dass die Volos dort inzwischen eine Woche ins Büro des Chefs vom Dienst gesetzt werden, um mehr Einblick in die technischen Abläufe zu bekommen. Birthe Dannenberg von der Akademie für Publizistik schilderte die Grundkurse für Volos als Herzstück der Akademie in den schönsten Farben und Bild-Chefreporter Hans-Jörg Vehlewald, früher beim Spiegel tätig, zeigte sich überzeugt, dass „alle, die es verdient haben, einen Volontariatsplatz bekommen und übernommen werden!“

Ideale im Berufsalltag

Einigkeit herrschte in der Frage nach einem Studium vor dem Volontariat. Ja, war die einhellige Antwort, egal welches Fach, nur Publizistik müsse es ja vielleicht nicht sein, meinte zumindest der Bild-Reporter. „Warum soll ich eigentlich ein Volontariat machen, wenn ich vorher schon frei gearbeitet habe und hinterher sowieso wieder frei arbeiten muss“, lautet die Frage eines jungen Journalisten angesichts der selten gewordenen Übernahmen. Damerow verwies auf bessere Bewerbungschancen und höhere Honorare und Krüer-Bürgermann bemerkte schlicht: „Es gibt keine Alternative zum Volontariat.“

War der erste Tag der Youth Media Convention dem Berufseinstieg gewidmet, sollte der zweite Tag dem Überleben der Ideale im Berufsalltag gelten. Doch schon nach dem Vortrag von Vehlewald interessierten die jungen Leute so deutlich andere Dinge als die Ausbildung im Springer-Verlag, dass Moderator Jochen Markett das Publikum aufforderte, Fragen zum eigentlichen Thema zu stellen. Dass die am Journalismus Interessierten die geforderte Flexibilität aufbrachten, zeigten sie sofort: Fange die Frage mit dem Begriff Volontariat an um dann blitzschnell zum eigentlichen Interesse zurückzukehren, der (nicht)vorhandenen Berufsethik bei Bild.

„Wie schaffen Sie es eigentlich, die Volontäre in diesen Bild-Stil hineinzupressen?“, war eine der Fragen, auf die Vehlewald scheinbar erstaunt reagierte. Kampagnen wie die um „Florida-Rolf“ entstünden aus zwei ganz einfachen Mechanismen, erklärte der Bild-Chefreporter: „Journalismus und die Frage ‚Was machen wir morgen?‘ Unser Grundmuster ist: ‚Such den Konflikt‘. Mit diesem Grundmuster habe ich eine andere Keule in der Hand als das Mindener Tageblatt“, verglich Vehlewald seinen Arbeitgeber mit seiner Heimatzeitung. „Wir wissen, dass wir Diskussionen auslösen können, wir können sie aber nicht aus dem Boden stampfen.“

Bild hielte seine Leser unmündig, so der Vorwurf aus dem Publikum. „Sie haben gesagt, man muss den Lesern dort abholen, wo er steht. Bei Bild hat man den Eindruck, er steht ziemlich weit hinten.“ Für ihn heiße dies, so Vehlewald, er dürfe bei seinen Leser nichts voraussetzen: „Wenn Sie im Tagesgeschäft versuchen zu schreiben wie Thomas Mann, dann geht das in die Hose.“ Den Chefreporter der Bild-Zeitung kommentierte Michael Geffken vom Deutschen Institut für Public Affairs in Potsdam am nächsten Tag im Streitgespräch über die Beziehungen von Journalismus und Public Relations: „In seinen Ausführungen lag doch der Hilfeschrei an die PR: Bringt uns Stoff, damit wir brüllen können.'“

Wem nützt es?

Glaubwürdigkeit war das zentrale Thema während der Rückfahrt. „Glaubwürdigkeit ist alles, wenn Du freier Journalist bist“, unterstrich der britische Auslandskorrespondent Neil Barnett. Die Glaubwürdigkeit des redaktionellen Teils der Printmedien ist es, derer sich die PR mit ihren lancierten Texten bedienen wolle, rügte Manfred Protze, einer der dju-Sprecher und langjähriges Mitglied im Presserat. „Der Begriff PR-Journalismus ist eine Missgeburt. Beides hat nichts miteinander zu tun“, betonte Protze. Journalisten seien „Treuhänder des öffentlichen Interesses“, PR-Leute seien im Gegensatz zu Journalistinnen und Journalisten nicht unabhängig. Der These von der Unabhängigkeit der Journalisten setzte Peter Grabowski vom netzwerk recherche eine einfache Wahrheit entgegen: „Verlage sind Wirtschaftsunternehmen. Jeder in einer Tageszeitung oder Zeitschrift ist angestellt bei jemanden, dessen Ziel Gewinnmaximierung ist.“

Für Geffken sind nicht die eingeschmuggelten PR-Texte das Problem, sondern die politischen Kampagnen, bei denen man die Auftraggeber nicht identifizieren könne. Bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft sei es beispielsweise relativ transparent, dass die Metallarbeitgeber die Geldgeber seien: „Ein Journalist, der dass nicht mit zwei Clicks herausgefunden hat, ist sein Geld nicht wert“, sagte Geffken. Schon wesentlich unklarer sei zum Beispiel, wer hinter der Aktion „Bürgerkonvent“ mit dem Historiker Arnulf Baring stecke.

Wenn man mit witzigen PR-Ideen für ethisch vertretbare Zwecke keine „Artikel generieren“ dürfe, dann wären auch die Methoden von amnesty und Greenpeace nicht möglich, so Geffken. Die erste Frage des Journalisten müsse sein „Wem nützt es?“, wenn sie mit PR-Aktionen konfrontiert werden, forderte Grabowski. Wenn sie auf Kampagnen hereinfallen, zerstören sie das Image ihres Mediums und ihre Glaubwürdigkeit. Dass dies auch zu Leserverlusten führe, meinte Grabowski mit den sinkenden Auflagen von FAZ und Bild belegen zu können. Der Journalist stecke immer in der Zwickmühle, gab Geffken zu. Der Chef wolle eine tolle Geschichte, die Familie den sicheren Arbeitsplatz und zusätzlich lockten die kleinen Vergünstigungen und Rabatte. „Die schlimmere Verwirrung im Journalismus findet dann statt, wenn Journalismus und PR von ein und der gleichen Person gemacht werden“, stellte Grabowski fest. Er verwies allerdings auf die miesen Honorare bei Regionalzeitungen, die es den Freien unmöglich machten, ohne PR zu Überleben: „Da landet man als netzwerk recherche fast bei gewerkschaftlichen Forderungen!“

Am Ende der Seefahrt war das Resümée auf allen Seiten positiv: Die Referentinnen und Referenten hatten eine aufmerksame Zuhörerschaft gefunden. Bei den meisten Vorträgen, gab’s spannende Debatten, lobt auch Chef-Organisatorin Katrin Hünemörder die rege Teilnehmerschaft. Die Nachwuchsjournalisten hatten es genossen, dass ihnen die Referenten nicht davonlaufen konnten und auf dem Schiff immer ansprechbar waren. Jugendpresse und dju hatten viele neue Kontakte geknüpft und kehrten mit der Aussicht auf neue dju-Hochschulgruppen in den Kieler Hafen zurück.

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