Fuß fassen in deutschen Redaktionen

Khalid Alaboud im Aufnahmestudio beim RBB
Foto: Privat

Mit einem Traineeprogramm für geflüchtete Journalistinnen und Journalisten wollen die Neuen Deutschen Medienmacher 25 Exiljournalist_innen die Möglichkeit geben, in deutschen Redaktionen Fuß zu fassen und ihren alten Job auch in der neuen Heimat auszuüben. Einer der Trainees ist Khalid Alaboud. Er ist aus Syrien geflohen, war zunächst zwei Jahre Reporter in Jordanien und lebt seit Ende 2014 in Deutschland.

Der Anteil der Menschen mit Einwanderungsgeschichte beträgt in Deutschland rund 20 Prozent. Tendenz: steigend. In deutschen Redaktionen bilden Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund allerdings noch immer eine Minderheit von zwei bis drei Prozent. Dies führe einerseits dazu, dass es bestimmte Geschichten und Themen gar nicht erst in die Medien schaffen. Andererseits würden Geschichten von Menschen oder Gruppen mit Migrationshintergrund falsch erzählt oder stimmten nicht, weil schlicht und einfach die Expertise fehle, beklagt Ebru Tasdemir von den Neuen Deutschen Medienmachern (NdM) in einem Interview gegenüber der „drehscheibe“. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Rebecca Sumy Roth ist Tasdemir für die Umsetzung des NdM-Traineeprogramms verantwortlich.

Für Journalist_innen mit Einwanderungsgeschichte

Bereits seit 2009 setzt sich der Verein mit zahlreichen Projekten für mehr Vielfalt in den Medien ein und gilt als deutschlandweit einziges Netzwerk und Ansprechpartner für Journalist_innen mit Migrationshintergrund. Zu diesen Projekten zählt seit nunmehr fünf Jahren das Mentoringprogramm für Nachwuchsjournalist_innen aus Einwandererfamilien, das jungen Journalist_innen den Weg in den Beruf erleichtern soll. Die Erfahrung habe gezeigt, dass das Programm auch in die andere Richtung wirke, so die NdM in der Projektbeschreibung. Durch die zumeist ehrenamtliche Tätigkeit der Mentor_innen sei eine interkulturelle Öffnung in den Redaktionen selbst entstanden. Auf der NdM-Bundeskonferenz im Herbst 2015 wurden dann gemeinsam mit themennahen Organisationen und exilierten Journalist_innen die konkreten Bedarfe eines Traineeprogramms für Geflüchtete diskutiert und formuliert. Der Startschuss für das „Traineeprogramm für Journalist*innen mit junger und älterer Einwanderungsgeschichte“ war gefallen. Zusätzlich zu den 25 Nachwuchsjournalist_innen mit Migrationshintergrund sollten nun noch einmal 25 geflüchtete Journalist_innen als Trainees gefördert werden. Hauptfinanziert wird das Programm aus dem Etat von Staatsministerin Aydan Özoguz. Darüber hinaus unterstützen zahlreiche Kooperationspartner, darunter auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten (dju) in ver.di, das Projekt mindestens mit einem Stipendium in Höhe von 4000 Euro.

Die Sprache: ein großes Hindernis

Das 18monatige Traineeprogramm pflastert den exilierten Medienschaffenden mit Workshops, Redaktionsbesuchen und Mentor_innen den Weg in die deutschen Redaktionen. Ein großes Hindernis: Die deutsche Sprache. Davon kann auch Khalid Alaboud ein Lied singen. Der 32jährige hat an der Universität von Damaskus arabische Literatur studiert und in seiner Heimatstadt Deraa als Lehrer und Journalist für eine Jugendzeitung gearbeitet. Nach seiner Flucht aus Syrien war er zunächst in Jordanien als Reporter für zwei Radiosender unterwegs. Seit 2014 lebt er in Deutschland. „Das Leben ist nicht lang genug, um die deutsche Sprache zu lernen“, sagt er mit einem Lachen. Für ihn bedeutet das Traineeprogramm der NdM vor allem Hilfe bei der Überwindung dieser Sprachbarriere: „Die Neuen deutschen Medienmacher erleichtern mir den Zugang zu den Redaktionen und den Kontakt zu deutschen Journalisten.“ Darüber hinaus erfahre er durch das Projekt, wie das deutsche Mediensystem funktioniert. Denn die Unterschiede gegenüber dem französischen, mit dem er sich am besten auskenne, oder dem amerikanischen Mediensystem seien signifikant. Entscheidend sei für geflüchtete Journalisten, so Khalid, ob sie in ihrem Heimatland bereits mit westlichen Medien gearbeitet hätten. Dann fiele der Wiedereinstieg in den Journalismus auch im Gastland leichter. Für ihn, auf den das nur zum Teil zutreffe, sei das NdM-Programm jedoch eine Chance, wieder den Beruf ausüben zu können, den er sich erträumt.

Von Syrien über Jordanien nach Deutschland

Nachdem Khalid 2012 aus Syrien geflüchtet und nach Jordanien gekommen war, arbeitete er als Reporter für den jordanischen Radiosender al-Balad und für das syrische Radio Rozana, das aus Paris sendet. Doch war Jordanien für ihn keine längerfristige Option. Die Angst sei ständiger Begleiter gewesen – Angst davor, ohne Papiere von der Polizei aufgegriffen und zurück nach Syrien geschickt zu werden. Was die polizeiliche Willkür betreffe, unterscheide sich Jordanien nicht von seinem Heimatland, sagt Khalid mit Bitterkeit in der Stimme.

So wandte er sich an Reporter ohne Grenzen (ROG). Mit deren Hilfe bekam er ein Visum, mit dem er im November 2014 nach Deutschland einreisen konnte. Die französische Regierung hatte ihm zuvor ein Visum verwehrt. In Deutschland hingegen bekam er eine Aufenthaltserlaubnis nach dem § 23 Abs. 2 AufenthG für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und andere (Bürger-) Kriegsflüchtlinge, die alle zwei Jahre erneuert werden muss.

Wiedereinstieg in den Journalismus

Khalid Alaboud
Foto: privat

Als Journalist in Deutschland Fuß gefasst hatte Khalid schon, bevor er von dem NdM-Traineeprogramm erfuhr. Die taz-Journalistin Alke Wierth – wie Khalid selbst im Verein Salam-Kulturclub ehrenamtlich für geflüchtete Menschen engagiert – vermittelte ihm zunächst verschiedene Workshops und einen Auftrag für die taz, später den Kontakt zum RBB, wo man auf der Suche nach einem Kollegen mit Khalids Profil war. Dies war für ihn die Chance, auf die er gewartet hatte. Der syrische Neuberliner hat dann als freier Journalist mit seinem Kollegen Chadi Bahouth, einem Alt-Berliner mit palästinensisch-libanesischen Wurzeln, 15 Radioreportagen über die unterschiedlichsten Themen aus der Berliner Kultur, Politik und Gesellschaft produziert. Dank der Unterstützung von Alke und als ausgesprochen aufgeschlossener Mensch sei er nun „bekannt wie ein bunter Hund“, erzählt er lachend. Er habe viele Kontakte nicht nur zu Journalist_innen knüpfen können.

Khalid Alaboud als umtriebig zu bezeichnen, wäre maßlos untertrieben. Schon als er noch in Syrien lebte, hat er als Gärtner, in einer Spaghettifabrik, als Lehrer und als Journalist für eine Jugendzeitung gearbeitet. Im Moment kämpft er mit Hilfe von Reporter ohne Grenzen darum, einen Pass zu bekommen. Ohne den Pass kann er nicht an Workshops im Ausland teilnehmen oder für Storytelling-Projekte auf Reisen gehen. Mit neun Kolleg_innen aus Syrien, Afghanistan, Ägypten und dem Iran hat er inzwischen die Website amal.de aufgebaut, die auf Arabisch und Farsi über Politik, Kultur und Gesellschaft in Berlin berichtet und am 2. März online gegangen ist. Das Internetportal ist eine Fortführung des Projektes „Amal, Berlin!“ der Evangelischen Journalistenschule für geflüchtete Journalistinnen und Journalisten, das im September 2016 mit einem zweimonatigen Workshop gestartet war. Mitte März beginnt Khalid auch noch einen Deutschkurs. Perspektivisch würde er gerne auch in Berlin, so wie ehemals in Syrien, als Lehrer für Arabisch arbeiten. Arabisch würde hierzulande meist nur im nicht-akademischen Umfeld gelehrt, in Moscheen etwa. Das müsse sich ändern, findet er. Und er schreibt natürlich – für mehrere „Al Jazeera“-Blogs, für „Amal, Berlin!“ und für verschiedene deutschsprachige Medien. Für Zeit online erklärte er kürzlich in einen Beitrag zum Valentinstag die Unterschiede zwischen deutschem und arabischem Liebesgeflüster.

Vermittler zwischen den Welten

Überhaupt möchte er mit seiner Arbeit als Journalist der deutschen Gesellschaft erklären, wer diese Menschen sind, die da zu Hunderttausenden in ‚ihr’ Land kommen. Besonders wichtig sei ihm dabei, mit Klischees aufzuräumen und auch auf Sensibilitäten in der Sprache aufmerksam zu machen. Mit dem Begriff „Flüchtling“ etwa habe er immense Probleme und bevorzuge stattdessen die Bezeichnung „Newcomer“, also Neuankömmlinge. Ebenso wenig mag er das Verb „sich integrieren“. Soll er seine Kultur verleugnen und vergessen, nur weil er hier leben möchte? Soll er deshalb ‚deutsch’ werden? Und was bedeute das eigentlich: ‚deutsch sein’? Mezut Özil sei deutsch, Frauke Petry sei deutsch, Frank Walter Steinmeier ebenso. Und welche dieser Arten von deutsch solle er werden, wenn er sich integriert? Die Absurdität dieser Frage verdeutlicht für Khalid die Absurdität der Forderung, Ausländer_innen beziehungsweise Flüchtlinge sollten sich anpassen. Er spricht stattdessen lieber von „teilen“: „Was ich habe, gebe ich Dir und nehme mir, was ich brauche, von dir.“ Offenbar schmerzt es ihn, wenn er das Gefühl hat, von den deutschen (Mit-)Bürger_innen allein auf die Kategorie ‚Flüchtling’ reduziert zu werden. Denn verbunden mit dem Menschen Khalid und verbunden mit seiner Heimat Syrien sind nicht nur Krieg und Flucht, sondern auch eine jahrtausendealte, reiche Kultur und Geschichte. Etwas, das nur allzu oft vergessen wird. Etwa, wenn ein Theaterplakat mit dem Hinweis auf „Flüchtlingsschauspieler“ wirbt. Die syrischen Akteure seien zuallererst Schauspieler_innen, die nicht nur Goethe und Nietzsche kennen, sondern auch die arabische Literatur – anders als sicherlich ihre meisten deutschen Kolleg_innen – merkt Khalid an. Dennoch würden sie in der Ankündigung des Theaters allein über ihren Status als Flüchtling definiert. Die Vermarktung des Andersartigen. Auch das sei eine Seite der Medaille ‚Willkommenskultur’.

Dem Fremdsein mit Humor begegnen

Aktuell lebt Khalid im ehemaligen Notaufnahmelager Marienfelde, welches vor dem Mauerbau und dann erneut nach der Wende als Übergangslager für Menschen aus der DDR diente und seit 2010 als Übergangswohnheim für Flüchtlinge und Asylbewerber_innen genutzt wird. Hier, in seinem Museum, wie er es liebevoll nennt, fühle er sich sehr wohl. Auch, weil ihn die Geschichte des Ortes ein bisschen an seine eigene erinnere. Im Wohnheim fühle er sich außerdem sicher, aufgrund der Präsenz des Security-Personals. Ein paar Mal, so wie Ende letzten Jahres, sei es schon vorgekommen, dass rechter Mob sich um das Gelände versammelt und etwa islamfeindliche Parolen an die Bushaltestelle geschmiert habe. Khalid erzählt das bei einer Tasse heißen Tees mit viel Zucker in Berlin. Mit der Februarkälte draußen mag er sich immer noch nicht recht anfreunden. Ansonsten sei Berlin die großartigste Stadt, die er kenne. Daran habe auch der Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 nichts geändert. Misstrauen gegenüber vermeintlich arabisch aussehenden Männern habe es vorher schon gegeben. Die Frage, ob er sich hier von Anfang an willkommen gefühlt habe, bleibt einige Minuten unbeantwortet. Teils, teils, meint er dann. Seit dem Anschlag bleibe er allerdings in vollen U- und S-Bahnen lieber in der Tür stehen. Andere Fahrgäste sollen nicht aus Angst aufstehen, wenn er sich neben sie setzt. Wie er auf den Berliner Anschlag reagiert hat, beschreibt er in einem Artikel, den er gemeinsam mit drei syrischen Kollegen für Zeit Online verfasst hat. Doch selbst solche Dinge erzählt er nie ohne ein Lächeln, Ärger oder Traurigkeit lässt er nicht erkennen. Im Gegenteil: Als in Berlin und anderswo die Angst vor den Horror-Clowns umging, riet er einem Freund, sich mit der Losung „Allahu akbar“ zu verteidigen, sollte er attackiert werden. Der Clown würde dann von allein das Weite suchen, meint er laut lachend.

In Berlin möchte Khalid gern bleiben. Aber einen Pass brauche er trotzdem – um seine Schwester in Jordanien zu besuchen oder seinen Bruder in England. Die Beerdigung seiner Mutter hat er bereits verpasst, sie ist vor wenigen Monaten gestorben.


 Programm 2016/17

Im Traineejahr 2016/17 absolvierten die Teilnehmer_innen zwei ganztägige Seminartage und drei halbtägige Redaktionsbesuche:

Der erste Besuch am 23.9.2016 in Berlin galt der taz. Nach einer Führung hatten die Trainees die Möglichkeit, mit taz-Redakteur_innen zu sprechen.

Am 10. Oktober 2016 besuchten die Trainees den Deutschlandfunk in Köln und haben in einer öffentlichen Debatte über Vielfalt im Journalismus gesprochen. Danach gab es ein Treffen mit Redaktionsmitgliedern.

Seminartage am 5./6. November 2016

Als nächstes steht das crossmediale Projekt in Kooperation mit Spiegel-Online zum Thema Freiheit auf dem Plan. Enden wird das Programm am 15. Juli 2017. Etwa einen Monat vorher werden Trainees und Mentor_innen von Staatsministerin Aydan Özoguz ins Bundeskanzleramt eingeladen, um von ihren Erfahrungen zu berichten, unter anderem in einem zehnminütigen Abschlussfilm, in dem das Projekt aus Sicht der Teilnehmer_innen bilanziert wird.


NdM-Glossar

Worin unterschieden sich die Begriffe „Einwanderer“, „Zuwanderer“ und „Migrant“? Und wie können Journalistinnen und Journalisten möglichst wertfrei, korrekt und präzise berichten? Diese Fragen beantworten die Neuen Deutschen Medienmacher mit ihrem Glossar „Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland“, das als Hilfestellung für die tägliche Redaktionsarbeit dienen soll.

 

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