Gegen Quotenangst

Auf eine Frau kommen zwei Männer. Frauen sind jung und Männer erklären die Welt. Das sind die zentralen Ergebnisse einer Studie zur Geschlechterdiversität in TV und Kino – im Jahre 2016! Die Senderverantwortlichen zeigen sich betroffen und setzen auf Bewusstseinsänderung. Engagierte Medienschaffende fordern eine Quote für mehr Vielfalt. Nicht neu: Doch den Worten müssen endlich Taten folgen!

Initiiert von Schauspielerin Maria Furtwängler haben Medienforscher_innen der Uni Rostock unter Leitung von Professorin Elizabeth Prommer im vergangenen Jahr Geschlechterdarstellungen in deutschen TV- und Kinoproduktionen mittels einer standardisierten Inhaltsanalyse unter die Lupe genommen. Stichprobenartig untersuchten sie über 3.000 Stunden Fernsehprogramm aus dem Jahr 2016 und alle 883 deutschsprachigen Filme, die seit 2011 in hiesigen Kinos gezeigt wurden. Nach über zwanzig Jahren liegt damit wieder eine umfangreiche repräsentative Studie vor.

„Dieses diffuse Gefühl, dass die Rollenangebote nach dem 51. Geburtstag weniger werden, haben wir alle“, sagte Furtwängler, alias die erfolgreiche Tatort-Kommissarin Lindholm, bei der Vorstellung der Studie. Sie hofft: „Fakten haben eine ganz andere Hebelwirkung und schaffen eine Grundlage für Veränderung.“ Das glaubten schon engagierte Medienfrauen vor vierzig Jahren, als sie Daten lieferten für ihre Diskriminierung, damit diese nicht länger als subjektives Gefühl einzelner „Emanzen“ abgetan werden konnte, so die Medienforscherin Elisabeth Klaus.

Besonders erschreckend sind die Befunde der Rostocker Studie, wenn man sie mit denen der  vorliegenden repräsentativen Untersuchungen zum Geschlechterbild vergleicht, die Monika Weiderer 1993 und Erich Küchenhoff 1975 vorlegten. Alle drei Erhebungen analysieren die Rolle von Frauen und Männern sowohl in fiktionalen und Unterhaltungsprogrammen als auch in journalistischen und dokumentarischen Beiträgen.

Erstes Ergebnis: Frauen sind unterrepräsentiert. Die Rostocker Forscher_innen resümieren: „Über alle Fernsehprogramme hinweg kommen auf eine Frau zwei Männer“ und „Es gibt eine Ausnahme! Nur Telenovelas und Daily Soaps sind repräsentativ für die tatsächliche Geschlechterverteilung in Deutschland.“ Auch nach den Befunden von Küchenhoff und Weiderer kamen Frauen auf etwa 30 Prozent der TV-Akteur_innen – im fiktionalen Programm etwas mehr und im non-fiktionalen etwas weniger. Sie stellten aber 80 Prozent der Showassistent_innen und Ansager_innen. Diese Zahlen verweisen auf das dominierende Frauenbild. 1975 stand neben dem „traditionellen Leitbild der Hausfrau und Mutter“ das „Leitbild der jungen, schönen und unabhängigen Frau (auf der Suche nach dem häuslichen Glück).“ An dieser Rollenzuweisung scheint sich wenig geändert zu haben. Für 2016 konstatieren Prommer und ihr Team: „Wenn Frauen gezeigt werden, kommen sie häufiger im Kontext von Beziehung und Partnerschaft vor.“

 

„Hervorstechendstes Merkmal“ weiblicher Akteur_innen sei ihre „äußere Attraktivität“, hieß es in der Küchenhoffstudie. Die TV- Frauen seien immer attraktiver und jünger als ihre Kollegen, stellte auch Weiderer fest. Nach der Rostocker Studie dominieren Frauen zwar bei den unter 30jährigen TV-Charakteren, danach klafft aber eine immer größere Lücke zwischen Männern und Frauen (20:80 bei 60+) – in allen TV-Formaten und im Kinofilm. TV-Moderatorin Birgit Schrowange bestätigte das in einem FR-Interview 2014: „Frauen dürfen vor der Kamera älter werden, aber sie dürfen nicht älter aussehen. Männer dürfen nicht nur grau sein. Sie können sogar schlechte Zähne haben.“

Dass Veränderungen möglich sind, zeigt die TV-Moderation. Während Weiderer 1990 einen Frauenanteil von einem Drittel bei Nachrichtenmoderationen feststellte, nähert sich das Geschlechterverhältnis 2016 mit  53 Prozent Männern und 47 Prozent Frauen jetzt einer Balance: Da gibt es Marietta Slomka oder Maybrit Illner beim ZDF, Caren Miosga oder Anne Will bei der ARD, Katja Burkard oder Ilka Eßmüller bei RTL. Ansonsten sieht es mit der Frauenpräsenz in der TV-Information aber auch düster aus. Bei den zu Wort kommenden Expert_innen machen sie nur 21 Prozent der Hauptakteur_innen aus. „Männer erklären die Welt“, resümieren die Rostocker Forscher_innen.

Das gilt auch fürs Kinderfernsehen, wo nur eine von vier Figuren weiblich ist. Elizabeth Prommer sieht das besonders kritisch, weil „die unterschiedliche Darstellung von Frauen und Männern in den Medien ein wichtiger Bestandteil der Sozialisation und Identitätsbildung junger Menschen ist. Die Bilder, die transportiert werden, beeinflussen, was von ihnen als möglich und als erstrebenswert angesehen wird.“

Betroffen von den Ergebnissen zeigten sich auch Verantwortliche der analysierten Sender und Institutionen, die neben Furtwänglers Stiftung MaLisa zu den Förderern der Studie zählen. ZDF-Intendant Thomas Bellut erklärte die erschreckenden Befunde mit den gesellschaftlichen Verhältnissen: „Das ist ein unbefriedigender Zustand, aber wenn sie für die Infosendungen am Abend Experten suchen, dann geben die Datenbanken kaum Frauennamen her.“ Das kann sich bald ändern, denn Furtwängler plant bereits ein weiteres Projekt: eine Datenbank mit den Adressen von Frauen, die im Fernsehen als Expertinnen befragt werden können – nach dem Vorbild der   Speakerinnen-Liste .

Alle setzen auf Bewusstseinsänderung statt Quote. MDR-Intendantin und ARD-Vorsitzende Karola Wille: „Die Veränderungen sind ein längerer Prozess, das braucht viel Ausdauer.“ Mögliche Quoten bezeichnete sie als „ das allerletzte Mittel, eine Krücke“. Petra Müller, Geschäftsführerin der Film- und Medienstiftung Nordrhein-Westfalen:„Alle schrecken im Moment vor einer Quote zurück.“

Auf der anderen Seite fordern Medienschaffende diese: „Es ist ärgerlich, darauf hinweisen zu müssen, dass Frauen keine dekorativen Kleiderständer sind“, kommentiert Antonia Götsch, stellvertretende Vorsitzende von ProQuote Medien, die Studienergebnisse. Die Journalist_innen-Initiative fordert alle Intendanten und Programmchefs auf, „endlich Strukturen zu schaffen, die Stereotypen und unbewusste Vorurteile bei der Auswahl von Moderatoren, Journalisten und Sprechern erkennbar außen vor lassen“. 50 Prozent der Führungsposten in den Redaktionen deutscher Medien sollen auf allen Hierarchiestufen von Frauen besetzt werden, denn: „Mehr Vielfalt auf Chefposten sorgt sicherlich auch für Vielfalt auf dem Bildschirm.“

Dass den Worten von der Bewusstseinsänderung jetzt endlich Taten folgen müssen, meint auch Barbara Rohm, Vorstand von Pro Quote Regie: „Zahlen haben wir jetzt genug und jede Studie ist nur so gut wie die Maßnahmen, die daraus resultieren. Ohne eine verbindliche Quote für die kreativen Schlüsselpositionen hinter der Kamera wird sich langfristig auch vor der Kamera nichts ändern.“

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

ARD-Krimis werden barrierefrei

Untertitelung, Audiodeskription, Gebärdensprache – das sind die so genannten barrierefreien Angebote, die gehörlosen oder extrem schwerhörige Fernsehzuschauer*innen gemacht werden. Die ARD sendet fast alle neu produzierten Folgen ihrer Krimireihen „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ auch mit Gebärdensprache. Beide Reihen seien „die ersten und aktuell die einzigen regelmäßigen fiktionalen Angebote mit Gebärdensprache in der deutschen Fernsehlandschaft“, erklärte die ARD.
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »

Pokerspiele der Süddeutschen Zeitung

Bei einer Betriebsversammlung des Süddeutschen Verlags am vergangenen Dienstag ruderte Geschäftsführer Dr. Christian Wegner etwas zurück. Er deutete an, dass der Stellenabbau in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung (SZ) nicht ganz so dramatisch ausfallen könnte wie bislang befürchtet. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass der Verlag in München für das laufende Jahr mit einem Abbau von 30 Vollzeitstellen plant. Die dju in ver.di kritisiert das Vorhaben scharf.
mehr »

Das Manifest für die Schublade

Schwein gehabt: Das „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“, (meinungsvielfalt.jetzt) wurde weder ein Fest für die Freunde einer völlig verstrahlten medienpolitischen Debatte, noch eines für die Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus dem konservativen, neoliberalen und rechts-außen Lager. Ein paar Aufmerksamkeitszeilen in den Medienspalten der Zeitungen und wenige Interviews im Radio – das war’s. Glücklicherweise ist das Manifest fast schon wieder in der Versenkung verschwunden. Dort gehören diese Halbwahrheiten und unausgegorenen Neustartvisionen für meinen Geschmack auch hin.
mehr »