Studie untersucht Autoritätsverlust der Medien
„Ganz offensichtlich ist das Publikum lauter geworden, manchmal unangenehm laut, und meldet Ansprüche an”, stellt der Publizist und Medienkritiker Fritz Wolf in der Studie „Wir sind das Publikum!” fest, die gerade bei der Otto-Brenner-Stiftung erschienen ist.
Wenn die Antwort auf Politikverdrossenheit mehr Bürgerbeteiligung ist, dann sollte die Antwort auf die Medienverdrossenheit Partizipation und Mitwirkung sein. Das ist die Ausgangsthese der Studie, die sich überwiegend mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen beschäftigt. Die Umstellung der Rundfunkgebühr auf eine allgemeine Haushaltsabgabe verpflichtet nach Meinung der Mitwirkungswilligen die öffentlich-rechtlichen Sender zu einer erhöhten Verantwortung, Publikumsfragen und -beschwerden einzubeziehen, Nutzerkommentare zu rezipieren und zu beantworten.
Zwar gibt es auch bei den öffentlichen Telemedien Ansätze zur Publikumsbeteiligung, etwa bei der Tagesschau, die täglich rund 1.000 Publikumseinträge online verzeichnet. Insgesamt aber seien Printmedien im Dialog mit ihren Lesern weiter als die öffentlich-rechtlichen Fernsehmacher. Die „vernetzten Vielen”, die online über Sendungen diskutieren, sieht der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen als eine „fünfte Gewalt”, die die „Beziehungskrise” zwischen Nutzern und Medien zeige. Daher müsse sich der Journalismus einer „Verhaltenstherapie” unterziehen, die zunächst auf der Einsicht fußt, dass Journalisten nicht mehr die Gatekeeper der Informationen sind und sich die Situation nicht mehr auf vergangene, bequemere Zeiten zurückdrehen lässt. Oder, wie der Medienwissenschaftler Christoph Neuberger schon 2009 formulierte: „Die Einbahnstraße hat Gegenverkehr.”
Dass nicht alle Beschwerden gegen Sendebeiträge fundierte Kritik sind, dass sich in Foren vielfach Leute derselben Meinung versammeln und gegenseitig in ihrem Zorn auf „das Fernsehen” und „die Lügenpresse” hochziehen, ist richtig, aber die Verweigerung von Dialog wird beim Abbau des in Teilen der Gesellschaft inzwischen tiefsitzenden Misstrauens nicht helfen. Es gebe keine „Fehlerkultur” in den Medien, konstatiert die Studie und verweist auf die Möglichkeit, Ombudsleute einzusetzen, wie es das bei einigen deutschen Zeitungen inzwischen gibt – wenn auch nicht völlig unabhängig, sondern meist aus der Redaktion heraus (wie M 4/2013 berichtete). Ein Blick über den Tellerrand: Publikumsräte existieren in Österreich, der Schweiz und bei der BBC, zumindest bei den beiden letzteren ist ein gewisser, wenn auch nicht kodifizierter, Einfluss festzustellen
In Deutschland gibt es Rundfunkräte, die oft als zu parteipolitisch besetzt oder zu intransparent kritisiert werden. Als Antwort darauf haben sich – nicht zum ersten Mal in der Rundfunkgeschichte – externe Initiativen wie die „Ständige Publikumskonferenz” oder der „Publikumsrat” gebildet, die fordern, unabhängige Zuschauer in den Rundfunkräten zu beteiligen. Fraglich wäre dann allerdings das Verfahren, diese Mitglieder auszuwählen. Die Chance, dass diese von den Unzufriedenen auf Dauer als „ihre” Vertreter akzeptiert würden, ist nicht groß, da viele Initiativen sich als eher fragil erwiesen und sich monothematisch aufgestellt hatten.
Deshalb regt die Studie außer der Einführung von Ombudsleuten an, dass die Rundfunkräte eine Community um sich sammeln sollten, mit denen sie in engem Austausch stehen, und die Tagesordnungen der öffentlichen Sitzungen im Hinblick auf wachsende Attraktivität für Zuhörer gestalten. Einzuwenden ist hier ebenfalls, dass diese Communitys in den Augen nachwachsender Kritiker sicher bald, wie die oben vorgeschlagenen „freien” Mitglieder in den Rundfunkräten”, als Teil des institutionalisierten Systems begriffen würden.
Der Anspruch auf Teilhabe wird bleiben. Die Medien müssen reagieren, etwa mit neuen Berufsbildern wie Social-Media-Redakteuren oder Multimedia-Assistenten, die den Dialog als permanente Aufgabe bearbeiten. Mehr Raum für professionelle Medienkritik und mehr Publikumseinfluss bei der Weiterentwicklung der Leitlinien wären weitere Ziele. Allerdings verlangt Wolf: „Wer als mündiger Bürger behandelt werden möchte, soll sich auch so verhalten und dazu beitragen, dass der Diskurs auf einer sachlichen Ebene geführt werden kann.” Die weniger lauten Teile des Publikums sollten dafür sorgen, „dass Hate-Speech und „Lügenpresse”-Beschimpfungen im medialen Dialog keinen zu großen Raum einnehmen.” Auch das wäre Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, zufolge „sicher eine gute Form der Publikumsbeteiligung”.