Gendern – Frage von Macht und Kreativität

Rebecca Beerheide (l.) und Caren Marks starteten am 28. Juni 2019 das Portal „genderleicht".
Foto: Henning Schacht/berlinpressphoto.de

Trotz breiter Akzeptanz werden Gendersternchen und andere geschlechtergerechte Formulierungen immer noch als „Verhunzung der Sprache“ kritisiert. Wie man diesen Vorwürfen mit Aufklärung und  Kreativität begegnen kann, demonstrierte der Journalistinnenbund (JB) auf seiner Jahrestagung am Wochenende in Berlin und startete das Portal „genderleicht“. Auch über die Verleihung der Hedwig-Dohm-Urkunde an Franziska Becker wurde diskutiert.

„Wir sind keine Sprachpolizei. Wir wollen anregen, am eigenen Sprachgebrauch zu arbeiten.“ So stellte JB-Vorsitzende Rebecca Beerheide den neuen „Werkzeugkasten“ des Netzwerks vor. Sie startete das Portal „genderleicht“ per feierlichem Knopfdruck zusammen mit Caren Marks vom Bundesfrauenministerium, das dieses Projekt fördert. „Genderleicht“-Teamleiterin Christine Olderdissen: „Wir geben Empfehlungen und machen dabei einen ziemlichen Spagat zwischen dem  Sprachgebrauch in FAZ und queer-feministischem Spektrum.“ Die meisten Medien realisierten gendergerechte Sprache bisher durch geschlechtsneutrale Bezeichnungen, dem Spiel mit Doppelformen und kreativen Neuerungen wie Gendersternchen.

Über die „Tipps und Tools“ für den Alltagsgebrauch diskutierte eine Podiumsrunde. Der Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch sagte, die Akzeptanz von Gendersternchen und Co habe „die kritische Masse erreicht“ und nun sei es Zeit, Vorschriften zu erlassen, wie es die Stadt Hannover im Januar 2019 mit einem Leitfaden gemacht habe. Doch es bestehe die Gefahr, dass durch solche Regeln Kreativität verloren gehe. Da sei der Journalismus gefordert, der einen stärkeren Einfluss auf die Sprachentwicklung habe als Behördenrichtlinien.

Marieke Reimann von ze:tt ist überzeugt vom gendern.
Henning Schacht/berlinpressphoto.de

Wie Medien geschlechtergerechten Sprachgebrauch in ihren Redaktionen umsetzen, erzählten die Frauen in der Runde. Marieke Reimann, Chefin von ze:tt, dem jungen Onlineportal der ZEIT, versicherte, dass sie es „an keinem Tag bereue“, 2016 das Gendern eingeführt zu haben – selbst wenn anfangs im Haus und selbst im Team „schlechte Lesbarkeit“ kritisiert wurde. Aber die Zielgruppe betrachte die Welt als divers und eine gendersensible Sprache sei für sie Normalität.

Die Redaktionsleiterin „Kultur heute“ beim Deutschlandfunk Karin Fischer berichtete, dass der DLF sich auf Initiative des Intendanten Empfehlungen zu gendergerechter Sprache gegeben habe, wobei die Mitarbeitenden selbst entscheiden, ob und wie sie diese anwenden. Beim Jugendradio DLF Nova höre man mittlerweile „relativ flächendeckend“ die Sprechpause, die das Gendersternchen markiert. Anstoß seien das Verfassungsgerichtsurteil zur dritten Geschlechteroption und die MeToo-Debatte gewesen. Kritik habe es vor allem von Schriftsteller*innen gegeben, die eine „Verhunzung der Sprache“ beklagten, aber auch empörte Hörer meldeten sich, besonders aus den östlichen Bundesländern. Hier reagierten auch einige Frauen mit Unverständnis, weil sie sich wegen ihrer „anderen DDR-Emanzipationsgeschichte“ bei Formulierungen wie „Redakteur“ mitgemeint fühlten.

Sprache als Ausdruck von Machtverhältnissen

Das Aufbrechen eingeschliffener Sprachmuster wie die Pluralbildung mit dem generischen Maskulinum, das Ausdruck patriarchalischer Dominanz ist, sei der „erste Schritt, um unser Denken zu verändern“, so Stefanowitsch. Er kritisierte den Umgang des Rates für deutsche Rechtschreibung mit dem Sprachwandel, der nach Auskunft von Ratsmitglied Anja Pasquay durch Analyse von Texten ermittelt wird, um dann Empfehlungen auszusprechen. Gendern sei danach in Deutschland „noch kein Thema“. Nach Stefanowitsch ist das kein Wunder, denn „in den Textkorpus sind Machtstrukturen eingeschrieben“, wenn einflussreiche Zeitungen wie FAZ und Süddeutsche  zugrunde gelegt werden, nicht aber alternativer „Wildwuchs“ wie etwa „Links unten“ des Göttinger Medienkollektivs.

Diskussion mit Karin Fischer, Abteilungsleiterin Aktuelle Kultur Deutschlandfunk; Staatssekretärin Caren Marks, BMFSFJ; Marieke Reimann, Chefredakteurin ze:tt; Anatol Stefanowitsch, Sprachwissenschaftler und Anja Pasquay, BDZV (v.l.n.r.) Moderation: Teresa Bücker (3.v. l.)
Foto: Henning Schacht/berlinpressphoto.de

Stefanowitsch erläuterte, Genderkritik sei weniger politisch motiviert, sondern „bei den meisten steckt Frauenfeindlichkeit dahinter“, denn für die Kritiker sei Gleichberechtigung kein Grundrecht, sondern lediglich „eine politische Position“. Es störe, „dass nicht mehr der Mann dominiert“. Sprachlich zeige sich das am Beruf der „Hebamme“, der lange Zeit nur von Frauen ausgeübt wurde. Sobald Männer hier arbeiteten, änderte sich die Bezeichnung in „Geburtshelfer“. Doch eine gendergerechte Sprache sollte nicht nur Männer und Frauen sichtbar machen, sondern auch trans- und intergeschlechtliche Menschen. Das geschieht mit dem Gendersternchen oder der Gendergap. Bei Verwendung von geschlechtsneutralen Formen wie etwa „Musizierende“ statt Musiker und Musikerinnen oder Musiker*innen denken die meisten aber an Männer als „gesellschaftlichen Normalfall“, gab Stefanowitsch zu bedenken.

Vertiefte sprachwissenschaftliche Argumente fürs Gendern lieferte Germanistikprofessorin Gabriele Diewald. Sprachwandel vollziehe sich auf zwei Ebenen. Es gebe variable Gebrauchsnormen – etwa die Begrüßung mit „Guten Tag“ oder „Moin“. Auch Sprachsysteme erlebten Normverschiebungen. So wurden die Artikel im Englischen im Laufe der Zeit neutralisiert. Aber „es gibt keine Normen für geschlechtergerechte Sprache“, so Diewald. Richtig sei ein situationsangemessener und inhaltlich korrekter Sprachgebrauch. Das generische Maskulinum sei lediglich eine Gebrauchsform, keineswegs eine grammatische Regel. Es sei auch nicht besonders alltagstauglich, weil es Frauen benachteiligt, denn sie wissen nie, ob sie angesprochen sind, während Männer immer adressiert werden. Die Maskulinform gebe es nur wegen des Patriarchats, so Diewald, die für den Sprachgebrauch empfahl: „Vermeide das generische Maskulinum, wo immer du kannst!“

Gleichberechtigte Sprache durch mehr Vielfalt

In verschiedenen Workshops der Fachtagung wurde diskutiert, wie mit Kreativität eine angemessene und individuelle Form für geschlechtergerechte Sprache gefunden wird, die alle Geschlechter einschließt und damit gesellschaftliche Vielfalt abbildet. Vorreiter*innen sind da vor allem junge Onlinemedien, deren Publikum Diversity in der Berichterstattung erwartet. Edition-F-Chefredakteurin Teresa Bücker: „Das Vertrauen in Journalismus sinkt, wenn Menschen sich nicht  abgebildet fühlen.“ Erster Schritt auf dem Weg zu einer vielfältigen Berichterstattung, die alle Themen durchzieht, sei die Reflexion der eigenen Vorurteile, um sie nicht unbewusst weiterzugeben. Bücker empfahl den Selbsttest „Project Implicit“.

Bento-Nachrichtenchefin Katharina Hölter erläuterte, bei dem Spiegel-online-Angebot für 18- bis 30-Jährige gehe es nicht nur um Diversität in der Berichterstattung, sondern auch in der Redaktion. Bei Konferenzen würden Themen in Kleingruppen besprochen, damit „alle zu Wort kommen“. Franzisca Zecher von Nova, dem „jungen Infoprogramm“ des DLF verdeutlichte, dass die gesprochene Lücke bei Sternchen und Unterstrich im Radio noch gewöhnungsbedürftig ist. Bei einem Pilotprojekt in der Nachrichtenredaktion kamen „Meldungen mit Gendergap nicht so gut an wie die mit allen Varianten gendergerechter Sprache.“

Kontroversen um Franziska Becker

In einem Workshop unter Leitung der Autorin Erica Fischer wurde recht kontrovers über die Preisverleihung an die Karikaturistin Franziska Becker diskutiert. „Missy-Magazin“-Autorin Sibel Schick warf ihr auf Twitter Rassismus und Islamfeindlichkeit vor und löste damit heftige Diskussionen aus. Tenor der JB-Gesprächsrunde: Beckers Cartoons und Zeichnungen werden unterschiedlich rezipiert – abhängig vom zeitgeschichtlichen Kontext und der Sensibilität für Rassismus in der deutschen Gesellschaft.

Mit Bezug auf die Karikatur einer verhüllten Erzieherin inmitten von Kindern, die mit Suicide Truck und Büchern übers Gebetsteppichknüpfen spielen, kritisierte Video-Kolumnist Tarik Tesfu: „Die Bilder reproduzieren das, was muslimische Frauen heute erleben: Ausgrenzung als Erzieherin.“ Andere interpretierten die Karikaturen als Religionskritik, mit der Becker in den 1980er Jahren die katholische Kirche aufs Korn nahm: „Als katholische Frau habe ich auch einiges von Franziska Becker abbekommen. Es gibt auch Konvertitinnen, die Kopftuch tragen, nicht nur Migrantinnen.“ Fischer meinte, was sich im Laufe der Zeit geändert habe, sei die Sensibilität der jungen Frauen und der nicht sehr diverse Journalistinnenbund müsse empfindsamer werden gegenüber allen, die nicht weiß und deutsch sind.

Letztendlich verlieh der JB die Hedwig-Dohm-Urkunde an die 69jährige Karikaturistin Franziska Becker für ihr Lebenswerk, „das auch Ambivalenzen haben kann“, so Vorsitzende Rebecca Beerheide. Im Herbst soll es eine Veranstaltung geben, um die gegenseitigen Positionen „im offenen und wertschätzenden Dialog“ auszutauschen.

 

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