Ein Statement auf dem Onlinekongress des Projekts „Journalismus macht Schule“ lautete: Lehrerinnen und Lehrer brauchen an den Schulen die Expert*innen mit ihrer Authentizität, weil Schülerinnen und Schüler Orientierung brauchen. „Nachrichtenkompetenz lehren – Medienkompetenz lernen“ war der Kongress überschrieben und machte Schwächen und Stärken im Bemühen deutlich, Schüler*innen zu kompetenten Akteuren einer demokratischen Öffentlichkeit zu machen.
Lehrer*innen, Journalist*innen und Forschende tauschten am 26. November Erfahrungen aus. Immerhin, so verdeutlichte es Kathrin Rothemund, Referentin für Medienkompetenz bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb), gelangten die eigenen Angebote seit 2019 an über 5.000 Schüler*innen, mehr als 200 Journalist*innen hätten sich dafür gemeldet. Allerdings: Sie erreichten eher das Gymnasium im Prenzlauer Berg.
Mit enormem Engagement sind viele Lehrer*innen wie auch Journalist*innen dabei, Nachrichten- und Medienkompetenz zu vermitteln. Die Ergebnisse seien teilweise ernüchternd, wie „Panorama“-Moderatorin Anja Reschke auf dem Onlinekongress einräumte. Sie registriere zwar „ein irre großes Bedürfnis nach Orientierung und Wahrhaftigkeit“. Ihre eigene Sendung liege im Altersdurchschnitt bei über 60 – „Panorama“, so die Mutter zweier Teenager, sei weit weg von der realen Welt der Zielgruppe.
Vertrauen in Fakten schaffen
Im täglichen Durchrauschen der Nachrichten bleibe oftmals nicht mehr die Zeit zum Sortieren und zur Einordnung, was stimme und was nicht. Die NDR-Programmbereichsleiterin Kultur und Dokumentation appellierte, kontinuierlich Vertrauen in Fakten zu schaffen. Was kann ich glauben, wo ist Misstrauen angesagt? Vieles sähe professionell aus und auch Journalist*innen täten sich manchmal schwer, das zu unterscheiden.
Aber gerade deswegen bräuchten die Schulen Experten, erklärte Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV). So seien Schüler zu begeistern, sie schätzten die Authentizität der Journalistinnen und Journalisten. Wie die Schüler suchten aber auch die Lehrer Orientierung. Auch sie wüssten nicht in jedem Detail, was Fake News seien, wie Nachrichten entstehen. Das Projekt bringe außerdem Vorbilder an die Schulen. Schülern werde so gezeigt, da könne man mitmischen.
Die stellvertretende Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, Alexandra Föderl-Schmid, schlug vor, dass Schüler Fälle an die Journalisten vor Ort herantragen, bei denen sie sich nicht sicher sind. Ihre Redaktion arbeite mit ein paar hundert Schulen zusammen. Die Frage bleibe, wie und wo die Schüler abzuholen seien. Dafür müssten aus ihrer Sicht auch die Eltern mit ins Boot geholt werden. Zugleich räumte Föderl-Schmid ein, „TikTok beherrschen wir nicht mehr so“.
Einfache Sprache bei TikTok
Einen Einblick in diese Welt gaben zwei Journalistinnen: Die „Tagesschau“ kann bei TikTok immerhin auf eine Million Follower verweisen. Die Videos hier seien zwischen 15 und 60 Sekunden lang, erzählte Antje Kießler, die 2019 den TikTok-Account der „Tagesschau“ mit aufbaute. Und da das Wischen bei den jungen Nutzer*innen unheimlich schnell gehe, käme es darauf an, gleich im ersten Satz das Entscheidende zu vermitteln. Sie erklärte, dass Wichtiges abgebildet werde, ohne dass der Kanal einer Chronistenpflicht nachkomme. Sehr viel werde über Sprache nachgedacht. Zum Beispiel werde erklärt, was ein Diktator ist oder Korruption bedeutet. Nichts voraussetzen, nennt auch Isabell Beer vom öffentlich-rechtlichen Jugendangebot „funk“ eine wichtige Herangehensweise. Sie arbeitet seit 2019 als Investigativjournalistin in der Recherche-Unit von funk. Man müsse eben auch die Daten zum Ersten oder Zweiten Weltkrieg hinzufügen. Sonst schließe man viele Schüler*innen außerhalb der Gymnasien aus. Beer riet zu Protagonisten aus der Zielgruppe. Die interessiere sich im Übrigen auch für den Weg: was denken und fühlen Reporter.
Medienkompetenz in jedem Fach vermitteln
Fleischmann sprach sich gegen ein extra Fach Medienkompetenz aus. Vielmehr sollte diese in jedem Fach zum Thema gemacht werden. Ein Weg sei es für sie, wenn die Schüler*innen selbst zu Medienmachern würden, wenn sie selbst produzierten. Dann würden sie am ehesten verstehen, wie Medien funktionierten. Gleichzeitig störte sich Fleischmann an der durchgängigen Leistungsorientierung mit Zensuren. Sie hält es für wichtiger, Demokraten zu erziehen.
Im kommenden Jahr werde in Österreich die Vermittlung von Medienkompetenz als Fach eingeführt, erzählte Föderl-Schmid. Sie forderte von der eigenen Zunft mehr Transparenz, nicht nur gegenüber den Jüngeren, sondern auch gegenüber den Älteren. Sie verwies darauf, dass die „Süddeutsche Zeitung“ einen kostenlosen Zugang für Schüler*innen zum digitalen Angebot biete. Allerdings wisse sie nicht, wie nachhaltig das sei.
Nüchtern sieht auch Tobias Albrecht von der Hamburger Helmuth-Hübener-Stadtteilschule die Sache mit der Medienkompetenz: „Papier ist bei den Schülern tot.“ In der neunten Klasse können man anfangen, sich mit der Sprache in der „Tagesschau“ auseinanderzusetzen. Gleichwohl würden viele Kollegen die Angebote von „Journalismus macht Schule“ gar nicht kennen. Föderl-Schmid plädierte dafür, mehr Social-Media-Leute in solche Angebote einzubinden.
Journalist*innen der „Süddeutschen Zeitung“ gingen seit 2016 vor allem im Großraum München regelmäßig zu „Werkstattgesprächen“ in die Schulen und erklärten, wie sie recherchieren und redigieren, wie elektronische und gedruckte Zeitungen entstehen. Daraus entstand die bundesweite Initiative „Journalismus macht Schule“. Sie will helfen, Erfahrungen und Unterrichtsmaterialien zu bündeln und Unterrichtsbesuche von Journalist*innen zu vermitteln. Beteiligt sind Journalist*innen der „Süddeutschen Zeitung“, der „Zeit“, von ARD-Anstalten, des ZDF, von CORRECTIV, der Reporterfabrik, der Lie Detectors, des Netzwerks Recherche, von Journalistenschulen und Universitäten sowie Akteure der Lehrerfortbildung und Medienpädagogen, von Medienanstalten und Institutionen der politischen Bildung. Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler zu kompetenten Akteuren in der demokratischen Öffentlichkeit zu machen.