Guerilla im Kornfeld

Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft schickt Journalisten auf Deutschlandtour

Mit der Aktion Deutschland 24/30 will die Initiative auf „ehrliche Art und Weise das Thema Soziale Marktwirtschaft wieder in die Köpfe der Leute bringen“. Und erlebt dabei ein PR Desaster: Medien und Prominente distanzieren sich.

Sie möchte herausfinden „was ein paar der 82 Millionen Menschen über unser System denken, wie sie mit diesem Land und der sozialen Marktwirtschaft leben“. An sich ist Miriam Janke (30) eine umtriebige Journalistin. Sie studierte in Leipzig und Guadalajara/Mexiko und absolvierte als Stipendiatin der Süddeutschen Zeitung die Berliner Journalistenschule. Sie hat in Mexiko, Brasilien und Jamaika gelebt. Gearbeitet hat sie für die taz, das ZDF und Radio Multikulti. Dem vom RBB eingestellten Sender hält sie die Treue und beteiligt sich am Webradio multicult2.0 – mit „Herzblut und Verstand“, wie sie hofft. Und im vergangenen Jahr gehörte die junge Journalistin der Grimme-Jury an.
Und derzeit tourt Jahnke mit einer Kollegin und einem Kollegen für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) durch Deutschland. Das ist jene marktradikale Lobbyorganisation, die den Menschen die Staatsgläubigkeit austreiben soll. Guerillagleich wird an unterschiedlichen Fronten gekämpft. Jüngst wurde das Projekt „Deutschland 24/30“ aus der Taufe gehoben. Die INSM will „sehen, was aus der Sozialen Marktwirtschaft geworden ist“, und schickt „drei Menschen auf die Suche – 30 Tage, 24 Stunden am Tag“, so die Idee für das Vorhaben.
„Das Team soll auch in Talkshows auftreten und anderen Medien als Gesprächspartner zur Verfügung stehen“ heißt es in einem Schreiben, das von einer Casting-Agentur im Auftrag der INSM an Journalistenschulen und -büros verschickt wurde. Genannt werden: Neon, Zeit, Bild, „Anne Will“ und „titel, thesen, temperamente“. Als „mögliche Interviewpartner“ wurden neben vielen anderen Helmut Schmidt, Angela Merkel, Günter Grass, Erich Sixt, Kai Diekmann und Bascha Mika in Aussicht gestellt. Gegenüber der „Sozialen Marktwirtschaft und einem unternehmernahen Auftraggeber“ sollten die Bewerber „aufgeschlossen eingestellt“ sein. Hier muss der INSM bescheinigt werden, dass sie mit offenen Karten gespielt hat. Und weil Schummeln zum Handwerk einer jeden guten PR-Agentur gehört, sei es der Initiative verziehen, dass sie sich als „überparteiliche Plattform“ bezeichnet. Immerhin gibt sie in dem Schreiben zu, dass sie von den Arbeitgebern der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird.
Seit Anfang August kann im Internet bestaunt werden, was die drei Kundschafter – neben Miriam Janke sind da noch Sophie Bleich (24, Bild oben mitte) und Helge Oelert (41, Bilder oben und links) mit auf Tour – in Sachen radikale Journalistenwirtschaft so zu Tage befördern. Wobei bis zum Tag Elf – dem Zeitpunkt des Abfassens dieser Zeilen – Janke selten in Erscheinung trat. Dafür ist Oelert omnipräsent – mit Frau Bleich an seiner Seite, die auch mal eine Frage stellen darf. Während Bleich stets adrett gekleidet ist, versucht Oelert als Erfinder des Kostümjournalismus in die Geschichte einzugehen: in Arbeitsjacke, Gummistiefeln und mit neckischem Hut stapft er zu einem Landwirt, für Roland Berger zieht er sich ein feines Jackett über, für die Behindertenwerkstatt tuts eine Lederjacke und mit der Millionärin badet er – nein, nicht nackt – in formschöner Funktionswäsche im Waldsee.

Unsägliche Vermischung mit PR

In seinem richtigen Journalistenleben arbeitet Oelert für das Fernsehen von RBB und NDR. Aber „nur im Unterhaltungsbereich“, wie ein RBB-Sprecher betont. Gegenüber dem Spiegel sagt Oelert, ihm sei die unrühmliche Vergangenheit der Initiative nicht klar gewesen. Vertraglich habe er gegenüber der INSM auf journalistische Freiheit bestanden.
Derweil sitzt Frau Janke im bayerischen Landgasthof und mampft laut Blogeintrag Spätzle mit Hirschgulasch sowie Apfelstrudel mit Vanilleeis, Schlagsahne und Schokosoße. So gesättigt, schneidet sie mit Cutter Jimmy bis tief in der Nacht die Beiträge. Tagsüber muss sie Kollegenfragen beantworten. „Ich gebe mich nicht für PR her“, sagt sie zur taz, „das kann ich mir als freie Journalistin gar nicht erlauben.“ In ihrem Vertrag sei festgeschrieben, dass ihr die INSM nicht reinrede. „Ich kann mich hier journalistisch austoben.“
Korrekt hätte sie „mit einem Journalisten“ antworten müssen. Mit Oelert tobt sie nämlich durch „das malerisches Kornfeld. Ich hoffe, der Bauer verzeiht uns ein paar platt getrampelte Brote im Vorstadium – es war einfach zu verlockend, also sind wir einmal quer durchgerannt. Übrigens gar nicht so einfach bei hüfthohen Ähren“. Dieser Blogeintrag und das Video sind mit „Zwischenfazit im Kornfeld“ überschrieben.
Tags darauf wird in Jankes Geburtsstadt Station gemacht. „Ich bin in Freiburg aufgewachsen. 19 Jahre meines Lebens habe ich hier verbracht. Aber bis zu dieser Deutschlandtour hatte ich keine Ahnung, dass es Walter Eucken in meiner Heimatstadt gab“, bloggt sie. Hatte sie überhaupt eine Ahnung davon, dass es den Mitbegründer des Ordoliberalismus gibt? Pardon – zu kluge Journalisten sind für die INSM natürlich ungeeignet. Sie könnten womöglich den Begriff Soziale Marktwirtschaft hinterfragen und belegen, dass er zur Verniedlichung für den real existierenden Kapitalismus eingesetzt wird. Naja, und für ein 7.000 Euro-Monatshonorar drücken Journalisten auch mal beide Aufklärungsaugen zu.
Schade ist nur, dass die Einbettungsaktion nicht von Journalisten, sondern vom Verein LobbyControl aufgedeckt wurde. Dessen Sprecher Ulrich Müller kritisiert: „Die Vermischung von Journalismus und interessengeleiteter PR ist unsäglich und mit berufsethischen Grundsätzen nicht vereinbar.“ Von Neutralität und objektiver Berichterstattung könne keine Rede sein.
Unterdessen musste die INSM gegenüber dem NDR und Neon Unterlassungserklärungen abgeben. Zu keinem Zeitpunkt hätte man eine Zusammenarbeit mit der INSM in Erwägung gezogen. Auch Bild und Die Zeit distanzierten sich von der PR-Guerilla in Nadelstreifen. Und das Büro von Günter Grass ließ ausrichten, der Dichter gebe der INSM keine Interviews.

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