Das Feuilleton in Zeiten von Nivellierung und Einheitssauce
Ist das Feuilleton am Ende? Auf einer Tagung des DeutschlandRadios zur Kulturberichterstattung in den Medien wurde kontrovers über die Perspektiven des Genres debattiert.
Franziska Augstein, Redakteurin der Süddeutschen Zeitung, sieht das Zeitungsfeuilleton als „Einrichtung, die sich auf dem Wege zu ihrer Abschaffung befindet“. In nicht so ferner Zukunft werde man Gegenstände wie Buchrezensionen „in Spezialzeitschriften suchen müssen“, sagte Augstein am 15. Oktober auf einer Tagung des Deutschlandradios Berlin zur Situation des deutschen Kulturjournalismus.
Die Hauptschuld an dieser Entwicklung trage das Feuilleton selbst. Es werde „Opfer seiner größten Erfindung der vergangenen 20 Jahre, des Politischen Feuilletons“, sagte Augstein. Die Kulturseiten hechelten dem politischen Tagesgeschehen zunehmend hinterher. Dagegen werde der eigentliche Gegenstand, die Künste, sträflich vernachlässigt: „Warum sollen angehende Journalisten sich mit den Feinheiten von Theater, Musik oder Bildender Kunst näher bekannt machen, wo es für den Kulturjournalisten doch offenbar ausreicht, zu wissen, wer Harry Potter, Christoph Schlingensief und Guido Westerwelle sind?“ Wo Nivellierung und Einheitssauce um sich griffen, würden Kulturjournalisten sich selbst überflüssig machen.
Auch Jens Jessen, Feuilletonchef der Wochenzeitung Die Zeit, begreift das Feuilleton in einer „Phase des Hochmuts oder des Niedergangs“. Der Siegeszug des Politischen Feuilletons sei ursprünglich ein „Sieg der literarischen Sprache über das formelhafte Abrakadabra der Politiker und politischen Journalisten“ gewesen.
Kulturteil für alles
Die „Inflation der neuen journalistischen Ware“ habe es jedoch in ein „Allzuständigkeitsfeuilleton“ verwandelt. Die Gefahr dieser „wuchernden Ausdehnung“ sei der Dilettantismus: „die Feuilletonisten sollen immer kühner und spektakulärer über Dinge schreiben, von denen sie nichts verstehen“. Kritik übte Jessen an der Unterwerfung vieler Medienschaffender unter die vermeintlichen Marktzwänge. Die Quotenfixierung laufe auf eine „Selbstenthauptung der Programmmacher“ hinaus. Unter dem „Dauerfeuer neoliberaler Agitation“ werde in den Medien „die Demokratie mit der Marktwirtschaft verwechselt“. Nichts sei mehr vor dem Feuilleton sicher, befand Peter von Becker, Feuilleton-Chef des Tagesspiegel. Von Hilmar Hoffmanns emanzipatorisch gedachtem Kampfruf „Kultur für alle“ sei man inzwischen beim „Kulturteil für alles“ gelandet: Vom Zahnersatz zu ökologisch bedenklichen Bremsbelägen, vom Schmelzen der Polkappen bis zu Geschlechtskrankheiten der Sänger im 17. Jahrhundert – kein Gegenstand bleibe von irgendwie kulturkritischer Betrachtung verschont.
Avanti Dilettanti: Weitgehend unbehelligt von kollegialen Einwänden, in der Regel sogar unterstützt von den Chefredaktionen („Warum haben wir das nicht im Blatt?“) trieben die Totengräber des Feuilletons ihr frevelhaftes Spiel. Relativierend Peter Korfmachers (Leipziger Volkszeitung) Einwand, in der Regionalpresse finde eher zu wenig Politisches Feuilleton statt. Grund: Dort sitze den Kollegen der „Terminjournalismus mit eiserner Faust im Nacken“. Die Krise des Feuilletons: Nur ein Luxusproblem der kulturjournalistischen Champions League?
Monika Griefahn, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, bekannte gelegentliche „Schwierigkeiten, einzelne Texte und Debatten in den Feuilletons nachzuvollziehen“. Ihr fehle manchmal die „Leitfunktion“ des Feuilletons: „Anregungen, Lust auf etwas Neues oder auch nur der Genuss des Lesens kommen zuweilen zu kurz.“ Die „hochkulturelle Beschäftigung mit Themen“ sei manchmal für ihren Geschmack „zu weit vom Subjekt weg“. Die“kleinliche Diskussion“ um die Rechtschreibreform, die monatelang die Feuilletonseiten bestimmt habe, erscheine ihr wie ein „verzweifelter Versuch, Bildungsbürgertum zu beweisen“. Demgegenüber komme der kulturelle Alltag zu kurz. Im Fernsehen greife immer mehr eine Häppchen-„Fastfood-Kultur“ um sich, bei der das Einbetten in Zusammenhänge auf der Strecke bleibe. „Muss uns eigentlich wirklich Michael Moore zeigen, wie man Zuschauer bringende Dokumentarfilme macht?“ fragte die SPD-Politikerin.
Angesichts der beklagten Misere fehlte es in Berlin nicht an Therapeuten, die in der Rückbesinnung aufs feuilletonistische „Kerngeschäft“ das Heil sahen. Rezensionen, die Lust auf ein Konzert, ein Buch, einen Film machten, seien doch nicht schlecht, postulierte Griefahn. Auch Gastgeber und Deutschland-Radio-Intendant Ernst Elitz bekannte sich zum „Nutzwert“ des Feuilletons, der wichtiger sei als die „Befindlichkeiten“ von Autoren. Das blieb unwidersprochen.
Journalistik-Professor Michael Haller warnte vor voreiligen Totenreden auf das Feuilleton. Das Feuilleton der Zukunft werde „kein Podium für eitle Selbstdarsteller“ mehr sein, sondern „Service im besten Sinne“. „Die Qualitätsblätter würden wieder „auf ihre Kernkompetenzen setzen“, auf ihr klassisches Zuständigkeitsfeld, die Veranstaltungskultur, „allerdings unter Einschluss der Pop- und Hochkultur ebenso wie der Medienwelt“. Künftige Feuilletonjournalisten sollten für ihr Publikum schreiben, „auf der Augenhöhe nicht der Kollegen und Kulturmacher, sondern derjenigen, die die potentiellen Nutznießer der Kulturproduktionen sind“. Wem das zur Befriedigung seiner Eitelkeit nicht reiche, tröstete Haller, der könne sich doch auch anders entfalten: durch „Bücher schreiben zum Beispiel“.