Innovationsschub

Foto: Shutterstock/HobbitArt

Stiftungen fördern Projekte im Wissenschaftsjournalismus

In jeder Krise liegt eine Chance: Durch die Corona-Pandemie hat der Wissenschaftsjournalismus nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung einen neuen Schub bekommen, sondern auch in der innovativen Szene und bei geldgebenden Stiftungen. Gefördert werden neben neuen Entwicklungen solide, professionelle Projekte als Korrektiv für Desinformationen. Die Lage von Wissenschaftsjournalist*innen bleibt dennoch prekär.

Die Wissenschaftspressekonferenz WPK, in der Fachjournalist*innen zusammengeschlossen sind, nutzte den Schub durch Corona, um Mitte Mai einen Innovationsfonds einzurichten. WPK-Geschäftsführer Franco Zotta berichtet im Gespräch mit M, dass sechs Stiftungen drei Jahre lang 300.000 Euro jährlich zur Verfügung stellen, um damit zukunftsweisende journalistische Projekte zu fördern. In der ersten Ausschreibungsrunde können sich bis zum 15. Juli Antragstellende für zwei Förderrichtlinien bewerben: 10.000 Euro für Einzelprojekte und 75.000 Euro für größere Vorhaben.

Angesprochen werden sollen nicht nur hauptberufliche Journalist*innen, sondern auch IT-Fachleute oder Menschen aus anderen Professionen, die eine Idee für journalistische Innovationen haben. „Wir wollten den Trichter nicht eng machen und haben das Verständnis von Innovation sehr offen für unterschiedliche Dimensionen gehalten“, so Zotta. Als Beispiel für eine Organisationsinnovation nennt er Correctiv, das investigative Recherchen „unter einem anderen Dach“, nämlich Spenden finanziert, kostenlos anbietet. Auf den innovativen Transfer von wissenschaftlichen Inhalten zielen etwa Formatentwicklungen für junge Leute oder Communityaufbau. Innovationen könne es in Redaktionsabläufen geben oder bei technischen Problemlösungen. Wer von den Antragstellenden den Zuschlag erhalte, entscheide letztlich eine von der WPK unabhängige siebenköpfige Jury.

Praktisches Experimentierfeld

Der Innovationsfonds sei ein „praktisches Experimentierfeld“. Er werde laufend evaluiert von Christopher Buschow, Juniorprofessor im Fachbereich Medienmanagement an der Bauhaus-Universität Weimar – und bei Bedarf umgestaltet, etwa bei Förderkriterien oder Jury-Zusammensetzung. Die Ergebnisse des Projektes, das vom Bundesforschungsministerium finanziert wird, sollen einfließen in künftige Konzepte der Journalismusförderung. Geld von privaten Stiftungen sei „immer eine Herausforderung“, sagt Zotta auf Nachfrage. Unabhängigkeitsrisiken ließen sich aber durch Transparenz lösen. Kritisch sieht er Themenpartnerschaften mit Stiftungen. Man müsse immer fragen, welches Interesse hat der Partner, etwa Klimadiskussionen über grünen Wasserstoff in der medialen Öffentlichkeit anzustoßen. Das Agenda Setting berühre „die Herzkammer des Journalismus“ und sollte immer eine redaktionelle Entscheidung sein. Ähnliche Risiken für redaktionelle Unabhängigkeit gebe es aber auch bei herkömmlicher Finanzierung durch Abos, Werbung oder Gebühren, über die Politiker*innen entscheiden. Jede Finanzierung berge „blinde Flecken“, die ausgeleuchtet werden müssten.

„Recherchen verschenken“

Die WPK diskutiere schon länger über Stiftungskonzepte und andere Ideen, wie mit dem Druck umgegangen und die Transformationsprozesse im Wissenschafts- und Datenjournalismus aktiv gestaltet werden können, so Zotta. Ein „Versuch, eine kluge Antwort auf immer weniger Leute und Zeit bei wachsenden Aufgaben im Journalismus zu finden“, sei die Gründung des Science Media Centers SMC gewesen, das „Recherchen verschenkt“ und Journalist*innen bei ihrer Arbeit entlastet – was in der Coronakrise angesichts erodierter Wissenschaftsredaktionen besonders hilfreich war.

Die Klaus Tschira Stiftung KTS ist Mitgesellschafter und Hauptfinancier des SMC. Die Stiftung möchte die Wertschätzung von Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik in der Gesellschaft steigern – durch „Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation“. Sie fördert auch fachjournalistische Projekte, erläutert Isa Fünfhausen, Referentin in der Abteilung Kommunikation, auf M-Nachfrage. Als ein Beispiel nennt sie etwa das „Science Notes Magazin“, das „regelmäßig mit freien Wissenschaftsjournalist*innen zusammenarbeitet“ und sich bei seiner Gründung 2018 als „Testballon“ verstand für stiftungsfinanzierten Wissenschaftsjournalismus.

Mitte 2021 startete an der FU Berlin das von der Klaus Tschira Stiftung geförderte MIP.Labor. Diese „Ideenwerkstatt für Wissenschaftsjournalismus zu Mathematik, Informatik und Physik“ lasse „Wissenschaftsjournalist*innen neue Formate der Kommunikation entwickeln“, so Fünfhausen. Bereits zum vierten Mal schrieb die KTS im Oktober 2021 ihre „Tiefgang”-Talentförderung für Studierende der Deutschen Journalistenschule DJS aus, um den journalistischen Nachwuchs mit naturwissenschaftlicher, mathematischer oder technischer Expertise zu fördern. In einem M-Interview berichtete DJS-Leiterin Henriette Löwisch, die Schule habe „jetzt auch mehrere Kursmodule zur Wissenschaftsberichterstattung“ ins Curriculum eingebaut: „Da hat uns die Pandemie beflügelt.

„Besonders in diesen Pandemie-Zeiten besteht ein enormes Bedürfnis an verlässlichen Informationen, nicht zuletzt, um kursierenden Verschwörungserzählungen etwas entgegen zu setzen“, sagt Carsten Könneker, Geschäftsführer der Klaus Tschira Stiftung. Deshalb unterstützt sie freie Wissenschaftsjournalist*innen in ihrer Corona-Berichterstattung über die Riff freie Medien gGmbH. Diese wirbt Gelder ein und verteilt sie an freie Autor*innen. Die Entscheidung fällen die Gesellschafter der gemeinnützigen GmbH, die 2018 entstand, „damit guter Journalismus dem demokratischen Gemeinwesen dienen kann.“

Christian Schwägerl, einer der Initiatoren und Geschäftsführender Gesellschafter der gemeinnützigen Riff freie Medien gGmbH erklärt im Gespräch mit M, die Genossenschaft RiffReporter habe er bereits ein Jahr zuvor zusammen mit anderen gegründet – allerdings „mit dem Ziel, Geld zu verdienen“. Auf einer gemeinsamen Multimedia-Plattform vermarkten etwa 100 freie Wissenschaftsautor*innen ihre Beiträge. Die über die Riff gGmbH gemeinnützig geförderten journalistischen Projekte, die „nicht unbedingt innovativ, sondern vor allem solide und professionell“ sein sollten, werden dort frei zugänglich publiziert.

Journalistische Profis gewinnen

Mit Mitteln der Tschira Stiftung wurden drei Projekte zum Thema Corona auf der RiffReporter-Plattform gefördert. Eines ist der Podcast „Pandemia – Die Welt. Die Viren und wir“. „Wir wollten journalistische Profis gewinnen, die das Bewusstsein dafür schärfen, dass Covid 19 Teil eines größeren Pandemiegeschehens ist“, so Schwägerl. Wissenschaftsjournalist Kai Kupferschmidt habe schon 2013 gewarnt, dass die nächste Pandemie von chinesischen Fledermäusen übertragen werden könne. Zusammen mit Laura Salm-Reifferscheidt und Nicolas Semak bringt er seine langjährige Epidemien-Expertise in den Podcast ein und diskutiert bereits seit April 2020 auf „viertausendhertz“, welche Lehren wir aus früheren Seuchen und Krisen in verschiedenen Ländern der Erde ziehen können. So gilt Ägypten beispielsweise als Paradebeispiel für die langfristige Bekämpfung des Hepatitis-C-Virus.

Das Projekt #50Survivors lief von Sommer bis Ende 2020 bei RiffReporter. Dort berichtete das Team von tactile.news, das auf den Dialog mit der Community setzt, „extrem früh über Long-Covid“, so Schwägerl, denn etwa zehn Prozent der Genesenen litten unter Spätfolgen. Das Innovative am Podcast sei der „erstmalige Feldeinsatz“ der Dialog-Software 100eyes gewesen, die Redaktionen dabei hilft, gleichzeitig mit vielen Menschen in Kontakt zu bleiben. Für #50survivors begleitete das vierköpfige tactile.news-Team 50 Menschen, die Corona überstanden hatten, über Monate hinweg in ihrem Alltag. Der Kontakt lief über den Kanal ihrer Wahl – E-Mail oder Telegram – und ermöglichte den Austausch in der Gruppe. Das Projekt habe frühzeitig zum Bewusstsein für die Corona-Spätfolgen beigetragen, so Schwägerl.

Einen anderen Zugang zu Long Covid – über visuelle Eindrücke – wählte der Fotograf Patrick Junker in seinem Fotoprojekt zu Long-Covid. Von Februar bis April 2021 begleitete er zwölf Patient*innen mit seiner Kamera im Alltag und zeigt ihren Schmerz und „wie es sich anfühlt, von Long Covid betroffen zu sein“, so Junker. Unter dem Titel „Es ist nicht vorbei“ veröffentlichte die „Süddeutsche Zeitung“ seine Fotoserie. „Long Covid wird immer noch verdrängt und die Betroffenen selbst sind oft zu schwach, sich selbst Gehör zu verschaffen“, erklärt Christian Schwägerl, und da sei es wichtig, „ihnen Stimme und Gesicht zu geben“ – auch angesichts nicht verstummender Corona-Leugner*innen.

Die Klaus Tschira Stiftung unterstützt die Riff freie Medien gGmbH nun mit einer zweiten Förderrunde. Das Pandemia-Podcast-Team habe sich auf die Ausschreibung beworben und im März den Zuschlag für eine Fortsetzung ihrer Reihe bekommen, so Schwägerl. Insgesamt könnten Recherche und Qualitätssicherung für sechs Projekte aus den Mitteln gefördert werden – etwa über seelische und körperliche Gesundheit von jungen Menschen, über Therapien bei Long Covid, zum Leben mit der Pandemie von Indigenen im Amazonasgebiet, über die Entstehung der Corona-Einträge auf Wikipedia und zu aktuellen Fragen des Infektionsschutzes in der Pandemie. Schwägerl betont: „Gerade jetzt, wo viele meinen, die Pandemie sei vorbei, sollten wir uns gegen den Trend stellen und das Thema weiter stärken!“

Die Riff freie Medien gGmbH bekommt auch von anderen Stiftungen Mittel für die Corona-Berichterstattung. Trotz all dieser Förderungen bleibe die Arbeitssituation freier Wissenschaftsjournalist*innen prekär, der ökonomische Erosionsprozess des Qualitätsjournalismus gehe weiter – solange bis „mehr Menschen dafür bezahlen wollen“, so Schwägerl. Insbesondere vermögende Menschen sollten sich fragen, ob sie es hinnehmen wollen, dass sie mit Desinformationen zu Corona-Pandemie, Ukrainekrieg oder Klimawandel geflutet werden und der Qualitätsjournalismus ausblutet.

 

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