Jenseits von Gut und Böse

Hochkarätig besetztes Podium debattierte, wie sich Medienmacher zur Sache und den Adressaten verhalten

Es flogen keine Fetzen: Zur Abschlussdebatte „Dürfen und sollen sich Journalisten mit einer Sache gemein machen?“ überwog auf dem Podium eloquente Geschmeidigkeit. Die stellvertretenden Chefredakteure von Bild und ZDF-Hauptstadtstudio ließen sich weder vom Thema noch von konkreten Fragen oder Einwänden erkennbar berühren oder gar aus der Deckung locken. In vielem einig, warfen sie sich gegenseitig Bälle zu. Die dazwischen platzierte test-Chefredakteurin durfte über weite Strecken nicht mitspielen. Eine missglückte Debatte? Nicht vollends. Sie vermittelte auch Einsichten.

Thomas Walde, Moderator Uli Röhm, Anita Stocker (Stiftung Warentest) Nikolaus Blome (Bild) -v.l.n.r. Foto: Christian von Polentz
Thomas Walde (ZDF), Moderator Uli Röhm, Anita Stocker (Stiftung Warentest) Nikolaus Blome (Bild) -v.l.n.r.
Foto: Christian von Polentz

Zunächst offenbarte die Diskussion, dass die Frage, wie sich Medienmacher ihrem Thema und Recherchegegenstand einerseits sowie Lesern oder Zuschauern andererseits annähern sollen, durchaus nicht entschieden ist. Während es Anita Stocker (Stiftung Warentest) „zu pauschal“ schien, dass Journalisten in ihrer Arbeit, speziell in kurzen Berichten oder Meldungen, „Partei ergreifen“, bezeichnete es Springer-Mann Nikolaus Blome in der heutigen Zeit „immer wichtiger“, dass Zeitungen und Zeitschriften „eine Position beziehen, Haltung haben“ und sich gar „als Akteur ins Spiel bringen“. Als „nicht sinnvoll“ sah es Thomas Walde vom ZDF, „als Medium eine Haltung vorzugeben“. Damit beschneide man sich in der Arbeit selbst, schränke sich ein bei der Aufgabe, „der Wahrheit, so gut es geht, nahezukommen“. Walde prägte den Begriff der „Äquidistanz“ von Journalisten zu Geschehnissen und Akteuren. Sie schütze vor Voreingenommenheit und ermögliche es, aus gleichgroßem Abstand Demokraten und Diktatoren professionell zu begegnen. Legitim sei es hingegen, im Verlaufe der Bearbeitung eines Themas eine Haltung zu entwickeln. Mitunter helfe es aber, bewusst die Gegenposition einzunehmen. Das erhöhe die Glaubwürdigkeit – „das wichtigste Gut in unserem Gewerbe“. Immer von einer gleichen Warte aus zu berichten, unterfordere die Rezipienten und sei letzten Endes „auch langweilig“, so der TV-Mann.

Unternehmensgrundsätze

Die Frage von Moderator Uli Röhm, ob die Vorgabe politischer Grundsätze und ideologischer Leitlinien in Staatsvertrag, Redaktionsstatuten oder Arbeitsverträgen die journalistische oder gar die Pressefreiheit einenge, wurde von Blome und Walde gleichermaßen verneint. „Jede Zeitung hat ihre Haltung“, so der Bild-Vize. Es sei nicht so, dass sich „Tausend Journalisten täglich von den Unternehmensgrundsätzen gegängelt“ fühlten, sondern umgekehrt markierten sie eine Grundhaltung, die auch die Journalisten verträten und umsetzten. „Das heißt, wenn Sie immer schon mal schreiben wollten, dass Kapitalismus grundfalsch ist und die soziale Marktwirtschaft eine Ausbeutung der kleinen Leute, dann sind Sie möglicherweise im Springer-Verlag falsch.“ Auch beim ZDF wisse jeder Journalist um die Programmrichtlinien, es sei „mitunter ganz hilfreich“, sich ihrer zu vergegenwärtigen. Solche Grundsätze seien jedoch „nicht in Stein gemeißelt“ und müssten der Entwicklung standhalten, so Walde.
Anita Stocker betonte für die test-Redaktion ihre „absolute Unabhängigkeit“ und die Besonderheit, dass in ihrem Haus die Inhalte, über die berichtet werde, zuvor in Testreihen selbst generiert würden. Dennoch gebe man nach umfangeichen Auswertungen am Ende Qualitätsurteile, also Wertungen ab. Es entspreche ihrer Grundüberzeugung als Journalistin, dass „am Beginn einer Recherche immer eine Ausgangsfrage stehen soll“. Erst auf der Basis von Recherche und Faktensammlung könne man eine „These entwickeln“, die der Leser „mittragen“ oder sich „auch dagegenstellen“ könne.
Auch die „gute Sache“ stand erneut zur Debatte. „Eingeschränkte“ Zustimmung signalisierte Nikolaus Blome gegenüber der Forderung, dass Medien die Position der Schwachen in der Gesellschaft stärken und sich zu deren Anwalt machen sollten. „Bild kämpft für Sie“ sei zwar ein Rubrik, in der sich die Redaktion zum Sachwalter von Leseranliegen mache, generell gelte aber: „Nur weil jemand schwach ist, hat er noch nicht Recht oder die besseren Argumente“. Er habe auch „nicht das Gefühl, dass die Schwachen in unserer Gesellschaft keine Stimme haben“, so Blome. Auf Dauer sei es nicht zu halten, sich zu sehr „auf eine Seite zu stellen“, pflichtete Walde bei. Das Publikum merke das sofort. „Ich habe alle Seiten angemessen und fair zu behandeln. Ich muss versuchen, Schwachstellen in der Argumentation aufzudecken – egal, bei wem.“ Objektivität im grundsätzlichen Herangehen gebe es nicht, es sei kaum vorab festzulegen, „wer die Starken sind und wer die Schwachen und im Moment schützenswert“, ergänzte Stocker. Medien hätten „die gesamte Gesellschaft im Blick zu haben“.
Und dann ging es sozusagen ans Eingemachte: Einigkeit demonstrierten die Herren auf dem Podium auch in der Frage, ob Journalistinnen und Journalisten selbst Mitglieder von politischen Parteien oder Gewerkschaften sein dürften. Es sei „zwar kein Ausschlusskriterium“, sich als Mitglied einer Organisation in den demokratischen Prozess einzubringen, doch er würde es „keinem raten“, erklärte Blome. „Loyalitäts- und Interessenkonflikte“ machte Walde aus. Er hielte es etwa nicht für zielführend, einen gewerkschaftlich engagierten Journalisten zur Berichterstattung über einen Tarifkonflikt zu schicken. „Alles schwierig. Wer das mit sich vereinbaren kann, ist charakterlich gefestigter als ich.“ Journalisten müssten „kein Neutrum“ sein, aber notfalls „alle Seiten gleichermaßen hart anfassen“, so Walde. Eigenständigkeit und kritisches Denken seien hilfreich. Es gehöre auch dazu, „dass man Standpunkte hat“, räumte er etwas später ein.

Mediale Selbstbilder

Schließlich setzten die Podiumsgäste Schlaglichter erhellender professioneller Selbstreflexion: Auf Publikumsnachfragen zum Agenda-Setting und der Befeuerung des journalistischen Mainstreams hielt Nikolaus Blome der Bild-Zeitung zugute, die „echte Gefahr für den Euro“ durch Griechenland frühzeitiger als andere problematisiert und diese Position konsequent vertreten zu haben. Im Übrigen sei ein solches Thema wie „jede politische Geschichte auf der Titelseite ein Non-Verkäufer“. Damit ließe sich kein Geld verdienen, mit dem Dschungelcamp dagegen „leider schon“. Auch Zuspitzung oder Personifizierung im Stile „Merkel schlägt Monti“ führe „nicht automatisch zur Verflachung“. Vielmehr ließen sich komplizierte politische Vorgänge so „gut erklären und gut erzählen“.
Das Postulat einer übermächtigen Einflussnahme der Bild-Zeitung, der alle anderen Medien hinterherliefen, bestritt Thomas Walde als Verschwörungstheorie. „Niemand hat die Macht, schon gar nicht im Alleingang.“ Allerdings gelte: „Im sicheren Strom schwimmt es sich leicht“, vom journalistischen Mainstream abzuweichen, schaffe dagegen „Legitimationsdruck“. Leser wollten sich an Positionen auch „reiben“, sie suchten Orientierung und Argumente, aber nicht, indem Journalisten versuchten, ihnen „etwas überzustülpen“, meinte Anita Stocker. Sie vermisse mitunter Tiefgang und klare Argumentation. „Das Minus an Recherche wird nicht ausgeglichen durch ein Plus an Meinung.“ Sie sah das weniger als Vorwurf an einzelne Autoren als an die „Systeme, unter denen sie arbeiten“. Blome schätzte, dass Leser heute mehr „nach Bewertung und Einordnung suchen“, vieles sei komplexer geworden. „Wir machen auch Fehler“, räumte Thomas Walde ein. Manche Experten-Zitate würden womöglich gewählt, um eine gewünschte Position zu stärken. Doch habe „keiner das Gute gepachtet“, es sei ratsam, sich niemandem anzudienen. „Wenn Politiker mir nach einem Interview sagen‚ war doch nett’“, habe er etwas falsch gemacht, so der ZDF-Mann. „Die Regierung kann mir jederzeit auf die Mailbox sprechen“, meinte der stellvertretende Bild-Chef. Auch für einen angemessen-professionellen Umgang mit Beschwerden von Lesern oder politischen Akteuren bekäme er schließlich sein Geld.


Fragen und Statements aus der Diskussion:

„Sie haben gesagt, politische Themen verkaufen sich nicht. Bedeutet das, dass Bild politische Schlagzeilen deshalb noch aggressiver formuliert oder noch mehr zuspitzt?“
Max Biederbeck, München


„Wie halten Sie es mit der sozialen Verantwortung? Wenn ich mir anschaue, dass Sie in einer politischen Dunsthaube in Berlin sitzen, sich um Politiker kümmern und nach dem EU-Gipfel Überschriften generieren wie ‚Merkel schlägt Monti’, dann frage ich mich, warum Sie nicht ‚Schlappe für Erwerbslose’ oder ‚Niederlage für griechische Sozialhilfeempfänger’ titeln?“
Franz-Josef Hanke, Marburg


„Wir stellen uns hier ausschließlich die Frage, ob wir uns mit einer guten Sache gemein machen dürfen. Sollten wir uns nicht auch diskutieren, wie es sich mit einer schlechten Sache verhielte? Und: Wäre ich ein Grieche, ein Spanier oder Franzose, dann müsste ich mit Blick auf die deutschen Medien doch permanent fragen: Wissen die wirklich alles besser? Müssten wir Journalisten uns nicht mehr in die Situation der Länder und der betroffenen Leute hineinversetzen?“
Frank Bell, Bielefeld


„Ich wundere mich, dass Bild und ZDF hier unisono Gewerkschafts-Bashing betreiben. Beide agieren doch wie die Gewerkschaften auf dem Boden des Grundgesetzes. Man würde freilich keinen Gewerkschaftsfunktionär über eine Tarifauseinandersetzung berichten lassen, ebenso wenig eine Bischöfin über den Kirchentag…“
Sami Atwa, Hambrug


„Wenn ich nachrechne, so gibt es in Deutschland nach Ihrer Meinung schon mal 60 000 Journalisten, die für Gewerkschaftsthemen nicht einsetzbar wären. Ich würde es umdrehen: Wenn öfter mal ein gewerkschaftlich engagierter Journalist losgeschickt würde, gäbe es vielleicht weniger derart ahnungslose Berichte über Tarifverhandlungen, Betriebsratsarbeit oder demokratische Willensbildungsprozesse in Gewerkschaften.“
Gundula Lasch, Leipzig


„Ich glaube Thomas Walde nicht, dass es ein Problem mit der Unabhängigkeit gibt, wenn junge Kollegen in die Gewerkschaft gehen. Denkt dran, Ihr seid Arbeitnehmer! Wenn Ihr aber noch viele unbezahlte oder schlecht entlohnte Praktika machen wollt, dann bleibt draußen. Ansonsten gehört Ihr rein!“
Klaus Schrage, Nürnberg


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