Über die Untiefen publizistischer Praktiken in der Affären-Berichterstattung
Etliche Heldengeschichten erzählen in diesen skandalträchtigen Zeiten davon, dass sich der deutsche Journalismus angeblich in Höchstform befindet. Niemals sei mehr und härter recherchiert worden in dieser Republik, behauptet der Münsteraner Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg. Selbst in kleineren Tageszeitungen, so will er ausgemacht haben, werde der investigative Journalismus groß geschrieben. Manche Medienmacher sind geradezu besoffen, über die vielen Aufklärer in ihrer Branche, die gegenwärtig vor allem von forschen Staatsanwälten und plaudernden Zeugen profitiert.
Das vernebelt den Blick dafür, dass die Affären in ihrem Kerngeschehen wie ehedem von einigen wenigen Enthüllern aufgedeckt werden, wie dem unermüdlichen Rechercheur Hans Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“). Neu ist indes, dass diese Geschichten in vielen Facetten nachgeschrieben werden – bis zum jüngsten Gerücht. „Schließt die Informationspflicht Gerüchte mit ein“, fragt „Zeit“-Autor Gunter Hofmann in einer ernüchternden Analyse über den Affären-Journalismus besorgt, „als wolle man das, was früher versäumt wurde, nämlich das unbequeme Fragen und Nachfragen, jetzt kompensieren?“
In Zeiten, in denen keine politische Skandalgeschichte mehr undenkbar scheint, können selbst gefälschte Faxe als seriöse Nachrichten Karriere machen. So schickten beinahe alle Agenturen die Blitzmeldung auf den Draht, Ex-Kanzler Helmut Kohl werde nun doch die Namen der von ihm bislang eisern verschwiegenen Parteispender nennen. Ein journalistischer GAU. Doch bis sich Kohls Büro mit einem Dementi meldete, war niemand auf die Idee gekommen, das von der Bonner CDU-Stadtratsfraktion abgeschickte Fax gegenzuchecken. Anfängerfehler in Zeiten der Hybris.
Statt dessen sendeten die TV-Nachrichten noch Stunden später Politiker-Statements, die aufgrund der Falschmeldung eingefangen worden waren. „Es sind die Verhältnisse, die uns zum Tanzen bringen“, schreibt „Zeit“-Autor Hoffmann über die journalistischen Heldentaten.
Die Parteispendenaffäre hat zweifelsohne die festen publizistischen Blöcke gesprengt. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik sind die Presseorgane nicht mehr säuberlich sortiert, die legendären Lager längst aufgelöst. „Es sind diesmal nicht mehr die üblichen Verdächtigen aus Hamburg und München, die mit Vehemenz dem System Kohl die Leviten lesen“, urteilt „SZ“-Edelfeder Herbert Riehl-Heyse. „Es ist, am einen Ende der Skala, auch die ,BildÔ-Zeitung, die plötzlich – das moralische Verdikt auf den Punkt bringend – die Schlagzeile bringt, bei der CDU werde Geldwäsche wie bei der Mafia betrieben. Und es ist am anderen Ende die FAZ, die mit Leitartikeln und Feuilletons-Essays von geradezu alttestamentarischer Strenge dafür hält, dass ein Staat vor die Hunde geht, wenn seine Lenker oder ehemaligen Lenker mit Gesetzen und Verfassung Schindluder treiben.“
Wenngleich die schwarzen Kassen in ihrer Dimension nicht mit den weißen Fliegern zu vergleichen sind, die die Düsseldorfer Genossen jahrzehntelang auf Kosten der Westdeutschen Landesbank (WestLB) charterten, so gibt es bei der hinhaltenden Aufklärung der beiden Affären durchaus Parallelen. Die sozialdemokratischen Filz-Flieger räumen immer erst dann etwas ein, wenn es die Medien aufgedeckt haben. Es läuft nach dem bekannten Strickmuster: Journalisten recherchieren – Politiker reagieren. In der Methodik des Lügens, des Vertuschen und des Täuschens der Medien gibt es bedrückende Berührungspunkte zwischen der Spendenaffäre in Berlin und der Filzaffäre in Düsseldorf.
Und auch in der Scheinheiligkeit der Akteure. Es werde „nicht mehr richtig recherchiert“, hat Bundespräsident Johannes Rau unlängst in einer seiner Sonntagsreden beklagt. Unter der Woche ist er derzeit damit beschäftigt, unangenehme Anfragen von Medien abzublocken, die aus seiner Zeit als NRW-Ministerpräsident nach dienstlich getarnten Privatflügen, Geburtstagsfeiern auf Staatskosten und seiner privaten Briefmarkensammlung im Tresor der WestLB fragen. In Wahrheit hat der Präsident für hartnäckige Rechercheure nichts als Verachtung übrig: Es seien journalistische „Wegelagerer“, echauffierte er sich im ZDF, die ihren „Obsessionen“ frönten.
Auch der gelernte Journalist Wolfgang Clement tut sich als Ministerpräsident im unbefangenen Umgang mit den Medien immer schwerer. Je entschlossener Journalisten in Nordrhein-Westfalen dem roten Filz nachspüren, desto ungehaltener wird Clement über seine ehemaligen Kollegen. Der wenige Monate vor der NRW-Landtagswahl durch immer neue Enthüllungen über den SPD-Filz in Bedrängnis geratene Regierungschef hat inzwischen zum Gegenschlag ausgeholt. Er rief den Deutschen Presserat an. Im Untersuchungsausschuss des Landtags hatten Zeugen ausgesagt, dass „Der Spiegel“ der Kronzeugin in der Flugaffäre, der Pilotenwitwe Sabine Wichmann, neben dem bereits gezahlten Informationshonorar in Höhe von 100 000 Mark noch einen zusätzlichen Bonus von jeweils 50 000 Mark zugesichert habe – für den Fall, dass sie dem Hamburger Magazin belastendes Material liefere, das zum Sturz von Clement und Rau führe. Dies sei „Kopfgeld“-Journalismus, erregte sich Clement. Und da hat er Recht.
Ein Beispiel dafür, welch brillianter Aufklärungsjournalismus ohne Scheckbuch möglich ist, lieferte „Tagesspiegel“-Reporter Jürgen Schreiber. Faszinierende Einblicke in das „Doppelleben“ der CDU-Politikerin Agnes Bürland eröffnete Schreiber mit der sorgsam recherchierten Milieustudie „Ein schwerer Fall“. Schreibers Report ist ein bestechendes Lehrbuchstück für Reporter und Rechercheure, die ohne Scheckbuch-Journalismus aufklären wollen. Eben Journalismus in Höchstform.