Ein Artikel über die jüdische Vorgeschichte einer Freiburger Firma im Wochenend-Magazin der Badischen Zeitung (BZ) sorgte im vergangenen Sommer für Aufsehen. Allerdings weniger aufgrund seines Inhalts als vielmehr deshalb, weil der Beitrag nicht wie sonst üblich auch online veröffentlicht wurde. Der Autor wandte sich daraufhin an die Öffentlichkeit. Nun hat die Zeitung die Zusammenarbeit mit ihm beendet. Grund: Ein fehlendes Vertrauensverhältnis.
Was war geschehen? Im Oktober 2017 hatte die Freiburger Firma Betten Striebel zu ihrem 80jährigen Jubiläum in der BZ eine 10seitige Werbebeilage platziert, in deren Umfang auch ein kurzer Abriss der Firmengeschichte enthalten war. Bernd Serger, bis 2011 Mitglied der BZ-Chefredaktion und seit seinem Ruhestand BZ-Autor, der hauptsächlich über die Geschichte der jüdischen Kauf- und Warenhäuser in Freiburg schreibt, fiel auf, dass weder dort, noch auf der Website der Firma ein Hinweis auf die Gründungsumstände von Betten Striebel zu finden war. Das Unternehmen war 1937 aufgrund der „Arisierung“ des jüdischen Kaufhauses Julius Marx entstanden, die Inhaber Ernst und Lotte Rothschild mussten die Firma deutlich unter Wert verkaufen und flüchteten anschließend in die USA. Serger recherchierte mehrere Monate zur Geschichte des Kaufhauses und übergab das Ergebnis, eine 37seitige Dokumentation, der heutigen Inhaberfamilie Hamer, die Betten Striebel in den 80er Jahren übernommen hatte. Stellung beziehen oder Fragen dazu beantworten wollte diese allerdings nicht. Stattdessen habe Hans Hamer ihm, so erinnert sich Serger, in einem Telefongespräch strikt untersagt, die Inhalte zu verwerten.
Nach weiteren erfolglosen Versuchen der Gesprächsaufnahme publizierte Serger schließlich am 21. Juli 2018 im Wochenendmagazin der BZ den Artikel „Jubiläum aus dem Nichts – Das Freiburger Bettenhaus Striebel feiert sein 80-jähriges Bestehen – ohne die jüdische Vorgeschichte der Firma“. Darin wundert er sich über den „merkwürdigen“ Umgang der heutigen Firma Striebel mit dem Thema, habe doch die Familie Hamer mit der „Arisierung“ des Kaufhauses Julius Marx gar nichts zu tun gehabt. Den Großteil des Artikels widmet Serger aber den Umständen des Unternehmensverkaufs 1937 und der Geschichte von Ernst und Lotte Rothschild bis zu ihrem Tod.
Unmittelbar danach ordnete BZ-Chefredakteur Thomas Fricker an, den Beitrag weder online zu veröffentlichen noch Leserbriefe dazu zu drucken. Einem Leserbriefschreiber, der sich danach an Serger wandte, habe Fricker mitgeteilt, dass man damit weiteren Schaden von der Firma abwenden wolle und man die Firma nicht zur Erinnerungsarbeit zwingen könne. Nach mehreren erfolglosen Protesten beim Badischen Verlag, dem Herausgeber der BZ, entschied sich Serger, diesen Fall auf Facebook öffentlich zu machen. Auch seinen in der Printausgabe erschienenen Beitrag verlinkt er dort, in einer von ihm selbst gelayouteten Version, die er auf Google Drive zugänglich macht, damit jeder „selbst urteilen“ könne, „was davon zu halten ist“.
Über die Angelegenheit berichteten dann etwa die taz und das Branchenportal Meedia, die auf den Fall via Facebook aufmerksam geworden seien und ihn kontaktiert hätten, sagt Serger gegenüber M. BZ-Chefredakteur Fricker sieht das anders und spricht auf Anfrage von verschiedentlichen Berichten über diese Angelegenheit, „wohl auf Betreiben von Herrn Serger“. Gegenüber beiden Redaktionen begründet Fricker seine Entscheidung, den Beitrag nicht online zu veröffentlichen, mit „journalistischen Mängeln“, die er erst nach dem Druck entdeckt habe, weil er den Artikel vorher nicht gelesen habe. So würden unter anderem „Meinung und Darstellung grob vermengt“. „Der Autor gebärdet sich wie ein Richter, er will von der Inhaber-Familie öffentliche Erinnerungsarbeit erzwingen, womit er seine Kompetenzen meines Erachtens weit überschreitet“, wird Fricker auf Meedia zitiert.
Man könne darüber diskutieren, wie man mit der Erinnerung an die Vorgeschichte der Firma umgehe, doch diese „völlig zu verschweigen, aber mit großem Aufwand das Jubiläum zu feiern, das ist nicht zu akzeptieren. Schon gar nicht in der heutigen Zeit“, findet dagegen Serger und tut dies auch seinen Leserinnen und Lesern im inkriminierten Artikel kund. Seiner Meinung nach, so sagte er der taz, stehe es nicht im Belieben der Firma, „wie mit der Geschichte umgegangen wird, auch in Zeiten der AfD“.
Wenige Monate später hat die Angelegenheit für Serger nun ein unerwartetes Nachspiel. Als er der BZ einen Beitrag über die Verbindungen des jüdischen Kaufhauskönigs Max Emden mit Freiburg anbietet, wird ihm nach anfänglicher Zusage mitgeteilt, dass man die Abmachung canceln müsse, weil der Chefredakteur ihn nicht mehr im Blatt sehen wolle. Nach erneuten Protesten beim Badischen Verlag wendet sich Serger am Montag nun wieder auf Facebook an die Öffentlichkeit. Gegenüber M zitiert er aus einer Mail des stellvertretenden Chefredakteurs Holger Knöferl, der ihm vorwirft, mit seinen Unterstellungen in den sozialen Netzwerken branchenweit eine Kampagne gegen die BZ und Chefredakteur Fricker geführt zu haben. Dies sei für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit keine Basis mehr.
Auch Fricker selbst bedauert gegenüber M, „dass ein ehemals leitender Redakteur unseres Hauses, der sich schon etliche Jahre im Ruhestand befindet, offenkundig eine Kampagne gegen unser Haus und mich persönlich fährt“. So sei die BZ kritischem Journalismus verpflichtet und werde dies auch in Zukunft bleiben. Als Grund für die Beendigung der Zusammenarbeit nannte auch er das nun „fehlende Vertrauensverhältnis“, ergänzte aber, dass die Gründe dafür „weit über die ursprüngliche Kontroverse über einen aus unserer Sicht journalistisch mangelhaften Beitrag vom Juli 2018“ hinausreichten. Welche weiteren Gründe dies waren, dazu wollte sich Fricker auf Nachfrage allerdings nicht näher äußern.
Serger jedenfalls bedauert den Umgang der BZ-Chefredaktion mit der Angelegenheit. „Eine Zeitung mit dem Ruf der Badischen Zeitung kann sich das eigentlich nicht leisten“, sagt er gegenüber M. Ebenso bedauert er die Aufkündigung der Zusammenarbeit. Auf Facebook zitiert er aus seinem Protestschreiben an den Badischen Verlag: „Sie werden verstehen, dass ich über diesen Schritt schockiert bin. Und Sie werden vielleicht auch verstehen, dass ich mir dies nicht gefallen lassen kann. Umso weniger, als es mit diesem Verdikt für mich angesichts der Monopolstellung des Badischen Verlags kaum mehr möglich ist, in Freiburg journalistisch etwas zu meinem Forschungs-Komplex zu veröffentlichen.“ Zu seinen historischen Forschungen veröffentlichen – das kann Bernd Serger nun vorerst nur noch auf Facebook tun:
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