Journalisten aus dem arabischen Raum lernen bei Amal Berlin

Julia Gerlach, Samer Masouh und Gamal Abdelnasser (v.l.n.r.) Foto: Herman Haubrich

„Amal Berlin – Hoffnung Berlin“ steht an der Pinnwand im Seminarraum des Gebäudes der Evangelischen Kirche in der Berliner Jebensstraße, gleich neben der Eingangstreppe. In diesem großzügigen Haus aus der Gründerzeit hinter dem Bahnhof Zoo sind mehrere evangelische Institutionen beheimatet, darunter die Evangelische Journalistenschule. Und deshalb sitzen hier elf Journalistinnen und Journalisten im Alter zwischen Mitte 20 und Anfang 40 aus Syrien, Afghanistan, Iran und Ägypten. Zwei Monate lang lernen sie das deutsche Politik-, Rechts- und Mediensystem kennen – und das sehr nah an der Praxis.  

„Was ist Amal Berlin“, so die Frage an der Pinnwand. Ein „Newsservice from Berlin“, steht auf einer der blauen Papierellipsen, ein „Service for Newcomer“ ist eine andere Antwort. Fernes Ziel des Seminars: Ein Online-Portal mit Nachrichten aus Berlin für arabische und persischsprachige (Neu)Berliner, das sich wirtschaftlich behaupten kann. Doch im Moment hat niemand einen Blick für die Stellwand mit den bunten Papierzetteln und dem Ausschnitt aus der Schwäbischen Zeitung, die auch schon über sie berichtet hat. Die arabischsprachigen Kolleginnen und Kollegen besprechen ihre Reportagen für ein geplantes zweisprachiges Sonderheft von „Chrismon“, der evangelischen Beilage in etlichen deutschen Zeitungen und Zeitschriften. Sie soll auf Deutsch, Persisch und Arabisch erscheinen.

Zusammen mit Gamal Abdelnasser von der Deutschen Welle und Julia Gerlach, lange Zeit Korrespondentin in Kairo, besprechen sie die Texte für die „Chrismon“-Ausgabe – auf Arabisch. Die Übersetzung kommt später. Anis Khabir, ein junger Syrer, gestikuliert lebhaft bei seinen Ausführungen, andere kommentieren eher ruhig. Für Fotograf und Reporterin sind nur Wortfetzen verständlich, etwa „Smartphone“ oder „Internet“.

Wie im Deutschen haben sich die englischen Begriffe auch im Arabischen durchgesetzt. Das sei auch im Persischen so, erklärt die junge Iranerin Mahdis (Nachname ist der Redaktion bekannt). Zwar versuche die Regierung, eigene persische Begriffe für neue Technologien zu etablieren, gewänne damit aber eher den Spott der Bevölkerung als Akzeptanz für die Neuschöpfungen.

Cornelia Gerlach Foto: Hermann Haubrich
Cornelia Gerlach
Foto: Hermann Haubrich

Ins Leben gerufen wurde „Amal Berlin“ von Julia Gerlach und ihrer Schwester Cornelia Gerlach, die seit Jahren an der Evangelischen Journalistenschule als Dozentin tätig ist. In der Evanglischen Kirche Deutschland fanden sie den Finanzier für ihre Pläne. Beider Spezialität ist die Reportage: Julia Gerlach hat bis vor einem Jahr aus dem arabischen Sprachraum unter anderem für die „Berliner Zeitung“ berichtet, auch aus Syrien, hat den „Arabischen Frühling“ in Kairo direkt vor der Haustür mitbekommen. Eine arbeitsreiche Zeit, über die sie inzwischen ein Buch geschrieben hat.

Norullah Rahmani Foto: Hermann Haubrich
Norullah Rahmani
Foto: Hermann Haubrich

Die elf Kolleginnen und Kollegen, die an dem Kurs teilnehmen, sind aber auch nicht ohne journalistische Erfahrung. Teils haben sie schon zuhause bei einheimischen Medien gearbeitet wie Norullah Rahmani aus Afghanistan oder haben als „Stringer“ ausländischen Korrespondenten zugearbeitet. Rahmani war beim privaten Fernsehen, als Reporter und zuletzt als News Producer in seinen Sprachen Persisch oder Daré, der Verkehrssprache in Afghanistan, und Paschtu. „In Afghanistan sind eigentlich alle Bewohner zweisprachig, sprechen Paschtu, Turkmenisch, Usbekisch, aber Daré verbindet alle.“

Rahmani hat nach seiner Ankunft 2012, als ihn Taliban in der Heimat wegen seiner Berichte bedrohten, zunächst zwei Jahre für die Deutsche Welle gearbeitet. Doch mit dem Abzug der deutschen Soldaten wurde auch die Nachfrage nach Berichten über ihre Aufbauarbeit dort geringer. Der Vater von vier Kindern, die fließend Deutsch sprechen und sich auch nicht scheuen ihn zu korrigieren, wie er lächelnd berichtet, hofft auf neue Berufschancen durch den Kurs in der Evangelischen Journalistenschule.

Khalid Alaboud und Amloud Alamir Foto: Hermann Haubrich
Khalid Alaboud und Amloud Alamir
Foto: Hermann Haubrich

Auch andere Teilnehmer des Kurses fahren mehrgleisig, versuchen verschiedene Chancen zu nutzen. Die blonde Amloud Alamir, der ernst blickende Samer Masouh, Khalid Alaboud mit seinem Zopf und Abdoulrahman Omaren, der erst zum Mittagessen nach einem Zahnarztbesuch mit geschwollener Backe zur Gruppe stößt, haben bei der Ausgabe des Tagesspiegels vom 15. Oktober 2016 mitgemacht, die unter dem Motto stand „#jetztschreibenwir“. Omaren beschäftigte sich mit der Liebe der Deutschen zu ihren Hunden. Doch er drehte die Perspektive in dem lesenswerten Beitrag um: Warum sind Syrer so herzlos gegenüber Hunden?

Samer Masouh beschäftigte sich in seinem Beitrag mit der zerstörten syrischen Wirtschaft, Amloud Alamir mit Glaubenszweifeln und Khalid Alaboud mit den Plänen für einen Wiederaufbau Syriens „wie die Trümmerfrauen“ in Berlin und der Sonnenallee, die für ihn ein Stückchen Heimat geworden ist. Alaboud entdeckt Berlin systematisch, „Vom Abgeordnetenhaus bis zur Eckkneipe“ als Teil eines deutsch-arabischen Reporter-Tandems für den RBB.

„Reportage“, erklärt Julia Gerlach mittags in der Kantine, „ist im arabischen Journalismus keine übliche Stilform“. Aber auch die Formulierung von Nachrichten, berichtet Cornelia Gerlach lebhaft, löse bisweilen große Diskussionen im Seminarkreis aus. Wieviel Service ist gefragt, was ist wirklich neu? Noorullah Rahmani weist dezent auf die andere Erzählweise in Afghanistan hin, das eigentliche Thema werde sehr viel langsamer angesteuert. Und wie lange müsse man einen Artikel in Daré lesen, bis man zum eigentlichen Thema komme? Rahmani lacht und meint verschmitzt: „Na, bis zur Hälfte schon.“ Und gibt es einen Unterschied zwischen persichsprachigem und arabischem Journalismus? Cormelia Gerlach schüttelt etwas ratlos die langen grauen Locken, Rahmani schaut verdutzt hinter seiner Brille hervor. „Gute Frage! Der werden wir nachgehen.“

Doch es geht es nicht nur um journalistische Genres, sondern auch um Wörter, um falsche Wörter. Alaboud, Omaren und Muhamad Abdi, alle drei aus Syrien, diskutieren eifrig, wechseln vom Englischen ins Arabische und wieder zurück. Sie ärgern sich, dass in europäischen Medien vom „Bürgerkrieg in Syrien“ die Rede sei. Es sei ein Krieg der Regierung gegen Oppositionelle, ein Krieg mit zahlreichen ausländischen Akteuren, einfach ein „Krieg“, aber kein „Bürgerkrieg“. Viele Berichte über Bomben auf Aleppo, über Kampf in Homs, über die Stadt Daraa, wo der Widerstand begann, wie Alaboud nicht ohne Stolz auf seine Heimatstadt anmerkt. Und das Leben in Damaskus? „Alles normal!“, kommt es bitter von allen Seiten des Tisches, zumindest, wenn man sich mit dem Assad-Regime arrangiert.

Und die Zukunft für Syrien? Alaboud, der wegen dieser Frage in der Kantine zurückgeblieben ist, als die anderen schon wieder in ihren Seminarraum gehen, wird lebhaft: Ein föderaler Staat, nur das könne die Lösung sein. Es gebe so viele Ethnien und Religionsgruppen in Syrien, die alleine alle zu klein seien, um sich international zu behaupten. Deshalb ist für ihn das zusammenwachsende Berlin und das föderale Deutschland so wichtig. Ein Erfahrungsschatz, von dem er ausgiebig lernen möchte. Denn irgendwann, so seine Hoffnung, bauen sie Syrien wieder auf, „wie die Trümmerfrauen in Berlin“. Und dann muss auch er wieder zurück zur Besprechung der Reportagen für das Sonderheft von „Chrismon“.

 

 

 

 

 

 

 

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