Das lokale Online-Magazin hh-mittendrin ist dicht dran an den Menschen
Es ist noch nicht die berühmte Tellerwäscher-Geschichte, aber ein Beispiel dafür, dass „Underdogs” den Etablierten Beine machen können. Wer in Hamburg-St. Georg einmal persönlich bei hh-mittendrin vorbeischaut, begegnet einem Low-Budget-Journalismus moderner Prägung mit alten Tugenden, und muss dem mutigen Handeln junger Medienaktivisten Respekt zollen.
„Mittendrin ist das Online-Nachrichtenmagazin für den Bezirk Hamburg-Mitte” – so wirbt das Portal für sich selbst. Es erfreut sich inzwischen einer stadtweiten wie überregionalen Beachtung. In einer Medienstadt wie Hamburg gibt es große Platzhirsche und ein paar wenige Anzeigenblätter. Man trifft auf eine an ihre Grenzen stoßende Großstadtberichterstattung, bei der sich augenscheinlich oberflächliche Betrachtungen und gänzlich nachrichtliche Vakanzen auftun – ein Zustand, der offenbar nur auf eine lokaljournalistische Wachküssung gewartet zu haben scheint. So jedenfalls beschreibt Dominik Brück von „hh-mittendrin” die Anfänge des crossmedialen Projekts.
„Alles begann eigentlich bei einem Frühstück im Sommer 2012”, erinnert sich der 29-Jährige. Zusammen mit der heutigen Chefredakteurin Isabella David hatte er sich über den Umgang der bis dato vorhandenen Lokalmedien mit der Nachrichtenlage geärgert. Beiden fiel die fehlende Nähe der Medienmacher und ihrer Produkte zu ihren potentiellen Nutzern auf – in Hamburg Mitte wären das rund 300.000 Bewohner. Brück und David stellten dieses Manko vor allem bei der Politik fest, genau dort, wo diese vermeintlich noch am dichtesten an den Menschen dran ist, nämlich bei den Sitzungen und Beschlüssen in den Bezirksversammlungen und ihren Unterausschüssen. Statt dies nur zu monieren, war schnell klar, selbst aktiv zu werden. Und der Sprung ins kalte journalistische Wasser erfolgte am 18. September 2012. Was bescheiden mit einem Onlinetext pro Tag startete, hat sich zu einem Mini- bis beinahe schon mittelständischen Format entwickelt, das mittlerweile rund 4.000 Klicks pro Tag registriert.
Was über eineinhalb Jahre noch im Nebenher-Freizeitmodus aus dem Brück-Wohnzimmer funktionierte, hat nun mit dem gerade erfolgten Umzug in eigene Räumlichkeiten eine weitere Stufe der Professionalisierung erfahren. hh-mittendrin operiert jetzt von 90 Souterrain-Quadratmetern aus. „Keiner von uns kann bisher allein davon leben”, benennt Brück wirtschaftliche Zwänge. Das ver.di-Mitglied schämt sich beinahe dafür, dass er Autoren pro Beitrag derzeit nur maximal 20 Euro zahlen kann. Damit bleibt der Einsatz für das unter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts unternehmenstechnisch aufgestellte Projekt in erster Linie eine bis hin zur Selbstausbeutung gehende Herzensangelegenheit. Um die finanziellen Voraussetzungen zu verbessern, wird intern über die Gründung eines Fördervereins diskutiert, aber auch die Idee eines künftigen Genossenschaftsmodells ist noch nicht verworfen.
Die Redaktion setzt sich aus einem Kern von zehn Berichterstattern zusammen, insgesamt sind es rund 25. In den ersten Monaten noch kaum wahrgenommen oder belächelt, hat sich die Wertschätzung mittlerweile gewandelt. Bereits im März des Vorjahres fragte die Hamburger taz-Redaktion beim journalistischen Rohdiamanten nach einer Kooperation nach.
Hamburgs taz-Redaktionsleiter Jan Kahlcke gibt unumwunden zu: „Wir profitieren, indem wir auf neue Themen aufmerksam werden”, und lobt die Professionalität bei hh-mittendrin. Den jüngsten Brückenschlag gibt es mit der Zeit Online-Redaktion, die ebenfalls Texte der hh-mittendrin-Autoren auf ihre Website stellt und damit ihre nachrichtliche Präsenz in der Elbmetropole stärkt. Steffen Richter, redaktioneller Kopf beim neuen Hamburg-Teil von Zeit Online, lobt ebenfalls seinen Partner, der fundiert und sehr dicht an vielen Themen sitze. Man könne vielleicht für die Zukunft lernen, dass die Praxisausbildung in Redaktionsschulen näher am Objekt stattfinden müsse. Dafür sei ein lokal ausgerichtetes Medienmodell wie hh-mittendrin ein geeignetes Beispiel.
Nachrichtenvermittlung versteht das Hamburger Medienprojekt nicht als Einbahnstraße ausschließlich für Onlinetexte. In Echtzeit werden von Politiksitzungen oder Demonstrationen auch Liveticker, Livestreams und Twitternotizen abgesetzt. Der Bereich der Audio- und Videoberichterstattung soll nach Brücks Worten künftig sogar noch ausgebaut werden. Für ihn ist ohnehin klar: „Der Journalist von heute muss alle Medienvarianten beherrschen!” „Wir sind für alles offen. Einzig Blaulichtjournalismus, den gibt es bei uns nicht”, lautet das Credo. Es gibt eine/n täglichen CvD, dazu Ressortleiter Politik, Kultur und „Buntes”. Einmal pro Woche ist eine Leitungs- und Ressortleiterrunde angesetzt – klingt alles nicht super alternativ, und will dies auch gar nicht sein, denn, so Brück: „Ohne Strukturen geht es nicht!” Neid, dass die journalistische Konkurrenz inzwischen nach seinen Beobachtungen das Lokale ansatzweise wiederentdeckt, hegt er nicht, weil „wir immer wieder eine Geschichte haben werden, die noch nicht erzählt wurde.” Das Modell hh-mittendrin ist beileibe kein Unikum. In der Hansestadt sorgen auch andere kleine Online-Projekte wie wilhelmsburgonline.de, eimsbütteler-nachrichten.de oder elbmelancholie.de für eine journalistische Bereicherung. Das hat auch Zeit Online wahrgenommen und seit Anfang April mit all diesen eine Kooperation begonnen. Seitens Zeit Online spricht man dabei von einem „spannenden Experiment”.