#Koeln in den Medien: Eine Bilanz

Flashmob gegen Männergewalt vor dem Kölner Dom. Demo gegen die sexuellen Übergriffe auf Frauen an Silvester rund um den Kölner Hauptbahnhof und gegen den Aufmarsch von Pegida am 9. Januar 2016 Foto: Jürgen Seidel

Mehr als eine Woche nach den Übergriffen der Kölner Silvesternacht sind die Ereignisse noch längst nicht vollständig aufgeklärt. Klar scheint hingegen für viele, vor allem in den Sozialen Netzwerken und Kommentarspalten der Online-Medien, dass die sogenannte „Lügenpresse“ mal wieder auf ganzer Linie versagt hat, sowohl was die verspätete Berichterstattung als auch was die Nennung der Herkunft der Täter betrifft. M fasst die Debatte zusammen.

Haben die Medien zu spät berichtet?

In sozialen Netzwerken, aber auch von einigen Journalisten wurde den Medien seit Montag immer wieder vorgeworfen, zu spät über die Ereignisse der Kölner Silvesternacht berichtet zu haben:

 

Zumindest regional aber wurde bereits ab 01. Januar berichtet, wie unter anderem Petra Sorge in ihrem Kommentar vom 05. Januar oder Jan Bielicki am 07. Januar in der „Süddeutschen Zeitung“ feststellten. So berichteten „Kölner Stadt-Anzeiger“, „Kölnische Rundschau“, „Express“ und „Focus Online“ bereits am 01. Januar über sexuelle Belästigungen. Am 02. Januar dann, nachdem die Polizei am Nachmittag die erste Pressemitteilung zum Thema herausgegeben und eine Ermittlungskommission eingerichtet hatte, zogen auch überregionale Medien wie die „Süddeutsche Zeitung“ und RTL Next nach. Dass erst am 04. Januar, nach der ersten Pressekonferenz vom Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers, der inzwischen in den Ruhestand versetzt worden ist, eine breite überregionale Berichterstattung einsetzte, begründete beispielsweise Petra Sorge damit, dass am 04. Januar der erste Tag nach den Weihnachtsferien gewesen sei. Auch Jan Bielicki weist diesbezüglich auf die reduzierten Feiertagsschichten in den Redaktionen vor dem 04. Januar hin.

Stefan Winterbauer hingegen sieht in seinem Beitrag in „MEEDIA“ vom 06. Januar das Problem in der Unfähigkeit der Redaktionen, „Social-Media-Debatten richtig einzuschätzen und wiederzugeben“ und erkennt darin einen „Fehler im System“. Etablierte Medien hätten ihre Berichterstattung lediglich auf Pressekonferenzen und Pressemitteilungen aufgebaut und deshalb verspätet reagiert. Dabei sei Köln in den sozialen Medien wie auch bei rechtslastigen Medien wie Kopp-Verlag und Compact längst Thema gewesen. „Vielleicht war da die Angst, Facebook-Hetze aufzusitzen. Vielleicht wollte man mal wieder kein Öl ins Feuer gießen“, so Winterbauer.

Natürlich kann es nicht sein, dass etablierte Medien ihre Berichterstattung lediglich auf Pressekonferenzen und Pressemitteilungen aufbauen. Die verspätete und zögerliche Reaktion zeigt jedoch auch die Verunsicherung auf Seiten der Journalist_innen, wenn es darum geht, solche Themen, die Flüchtlinge beziehungsweise Ausländer mit Gewalttaten in Verbindung bringen, offensiv anzupacken und damit womöglich der rechten Verschwörungspresse Vorschub zu leisten. Unbegründet scheint diese Angst keineswegs, hatte doch der Kopp-Verlag bereits am 2. Januar ‚ausführlich‘ über die Vorfälle berichtet. Nicht allerdings Compact, wie Winterbauer fälschlicherweise behauptet. Hier wurde der erste Kommentar zu Köln am 06. Januar veröffentlicht, sowohl auf der Website als auch auf Facebook. Die Auswertung von Twitter zeigt zudem, dass der Hashtag Koeln vor dem 04. Januar zwar Thema war, aber mit 426 Resultaten am 3. Januar um 22:00 im Gegensatz zu Berlin mit 1730 oder Frankfurt mit 248 Resultaten eben nicht gerade auffällig oft vertreten war. Noch dazu ereignete sich am 02. Januar ein Angriff auf eine Kölner Flüchtlingsunterkunft, der Anlass für ein antirassistische Demonstration am darauffolgenden Tag war. Zu diesem Thema finden sich zahlreiche Tweets unter dem Hashtag Koeln:

Noch spärlicher sind die Tweets zum Hashtag koelnhbf. Erst am 03. Januar gibt es dazu einige wenige Reaktionen auf Twitter, die ebenso wie die #koeln-Tweets an diesem Tag eher Urheber aus der rechten Ecke vermuten lassen, denen die „Migrantengewalt“ eine willkommene Legitimation ihrer fremdenfeindlichen Anschauungen zu liefern scheint:

#koelnhbf

 

#koeln

 

 

Dass die Medien bei dieser Ausgangs- und Informationslage eher mit Vorsicht und Bedacht reagiert haben, ist ihnen schwerlich vorzuwerfen.

Wurden Herkunft und Aussehen der Täter bewusst verschwiegen?

Abgesehen von den üblichen sprachlichen Verirrungen der BILD-Zeitung, die beispielsweise immer wieder vom „Kölner Sex-Mob“ spricht – eine Formulierung die übrigens zeitgleich im Kopp-Verlag auftauchte – und Fehlinformationen, wie der Nachricht, die Übergriffe seien von 1000 Männern begangen worden – reißerische Schlagzeilen, die unter anderem von den Prinzessinnenreportern scharf kritisiert wurden – tauchte in den sozialen Netzwerken früh der Vorwurf auf, die Medien würden die Herkunft der Täter verschweigen. Ein Vorwurf, der auch den Kölner Stadt-Anzeiger traf:

 

Dieser hatte allerdings bereits am 02. Januar, die erste Pressemitteilung der Polizei von diesem Tag aufgreifend, über das nordafrikanische Aussehen berichtet.

In der darauffolgenden Woche entspann sich in den Medien eine Debatte darüber, ob das Aussehen und die Herkunft der Täter genannt werden dürften oder eben nicht, um keine rechten Vorurteile zu schüren und sich nicht dem Vorwurf der Angstmacherei aussetzen zu müssen. In der taz monierte Daniel Bax am 05. Januar, dass die Herkunft der Straftäter in vielen Medienberichten offensiv benannt worden sei. Obwohl der Pressekodex festlege, dass die Herkunft der Täter nur dann erwähnenswert sei, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Tat bestehe, seien „auch seriöse Medien im vorauseilendem Gehorsam dazu übergegangen, die Herkunft von Straftätern offensiv zu benennen“, um Vorwürfen der „rechten Gegenöffentlichkeit“ zuvorzukommen, man würde Verbrechen von Migranten oder gar Flüchtlingen bewusst verschweigen.

Edda Eick hingegen, Referentin für Beschwerdeführung beim Deutschen Presserat, verwies gegenüber epd auf die Ziffer 12 des Deutschen Pressekodex und hier insbesondere auf die Richtlinie 12.1, in der es heißt: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“ In diesem Zusammenhang sei die Nennung des Migrationshintergrunds im Fall der Kölner Vorkommnisse „noch akzeptabel“, zumal Täterbeschreibungen wie nordafrikanisches Aussehen auch relevant für die Fahndung und Verfolgung der Straftaten seien. Nicht legitim seien hingegen Spekulationen darüber, ob der religiöse oder kulturelle Hintergrund der mutmaßlichen Täter etwas mit dem Motiv für die Taten zu tun hätten. Journalist_innen hätten daher eine große Verantwortung zwischen dem Informationsinteresse auf der einen Seite und den schutzbedürftigen Interessen des Einzelnen oder der Minderheit auf der anderen Seite.

Dazu auch ein Kommentar von Peter Nowak in der M.

Daneben stellte das eigentliche Problem tatsächlich aber die mangelhafte Informationspolitik der Polizei dar. Noch am 02. Januar berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger, ein Ermittler der Polizei hätte mitgeteilt, nichts weise darauf hin, dass es sich bei den Tätern um Flüchtlinge gehandelt habe. Als dann allerdings ein interner Polizeibericht vom 02. Januar auftauchte, in dem sehr wohl von Flüchtlingen als Tätern die Rede war, berichteten zuerst der Express am 07. Januar und dann weitere Medien. Von Verschweigen seitens der Medien also keine Spur. Im Visier sollte eher die Informationspolitik der Polizei stehen.

Update 15.01.2016: Auf Hinweis von Oliver Meyer, Redakteur für Polizei und Aktuelles und ver.di Vertrauensmann beim Kölner Express, ergänzen wir, dass der Express in seiner Printausgabe vom 04. Januar 2016 bereits sehr ausführlich einen Beamten der Einsatzhundertschaft zitiert hat, der in der Nacht dabei war. Unter anderem heißt es in dem Bericht: Dem Polizisten gelang es, etwa acht verdächtige Männer aus der Menge zu holen und festzunehmen. „Sie hatten alle kopierte Papiere dabei, Aufenthaltsbescheinigungen für Asylverfahren.“

Ein Fazit

Möglich, dass die Berichterstattung erst am 4. Januar bundesweit einsetzte, weil es für viele Journalist_innen der erste Arbeitstag war und die Pressekonferenz von Polizeipräsident Albers mit den ersten umfassenden Informationen an diesem Tag stattfand.

Möglich aber auch, dass beide Diskussionen unmittelbar miteinander zusammenhängen. Die Vorsicht der Medien im Umgang mit der Berichterstattung über Migranten und Flüchtlinge, die sich in diesem Fall dazu auch noch aus extrem lückenhaften und widersprüchlichen Informationen speisen musste, mag ein wesentlicher Grund für die verspätete Reaktion sein. Dafür spricht auch die zugegebenermaßen politisch überkorrekte Entscheidung von ZDF heute+, seine Zuschauer auf Twitter zu fragen, wie man über die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht berichten solle.

 

Dennoch ist es besonders in Zeiten von Hasskommentaren und Medienbashing eben jene Vorsicht, die einem seriösen Qualitätsmedium ohne Zweifel gut zu Gesicht steht. Ob die Medien diesem Anspruch im folgenden beispielsweise mit Überschriften wie „Polizei im Chaos. Sicherheit in Gefahr?“ auch gerecht geworden sind, muss an anderer Stelle beantwortet werden. Das Beispiel der Berichterstattung über die Kölner Ereignisse zeigt aber einmal mehr, wie schwierig es für Journalist_innen ist, die richtige Balance zwischen „Stimmungsmache und Schönfärberei“ zu finden (aus den 15 Geboten, die sich die Zeitungen der Verlagsgruppe Rhein Main VRM verordnet haben, siehe dazu den Titel von M 6/2015 „Mediale Balance in der Willkommenskultur“). Auch wenn man es am liebsten, ganz einfach und unmissverständlich, mit der Feststellung von Petra Sorge halten möchte: „Trotzdem gilt heute noch immer, was bereits vor 200 Jahren galt: Presse muss aktuell, umfassend und wahrhaftig berichten. Egal, welche Hautfarbe, Herkunft und Geschlechtszugehörigkeit Täter oder Opfer haben.“

Zu hoffen bleibt indes, dass sich die Medien nicht vor den Karren der politischen Instrumentalisierung der Kölner Ereignisse spannen lassen und das eigentliche Problem nicht aus den Augen verlieren: sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Zu hoffen bleibt auch, dass aus den Kölner Ereignissen die richtigen politischen Konsequenzen gezogen werden. Bisher beschränken sich diese fast nur auf angekündigte Erleichterungen der Abschiebung von straffällig gewordenen Asylbewerbern. Über eine Verschärfung des Sexualstrafrechts und eine breitere Auffassung von Sexualdelikten wurde bis zu diesem Zeitpunkt hingegen kaum gesprochen.

Ebensowenig wurden bisher seitens der Politik konstruktive Lösungsvorschläge angeboten, was die Überarbeitung des Sicherheitskonzeptes und eine eventuelle Neuausrichtung der polizeilichen Führungsarbeit angeht.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Die Zukunft der Filmförderung

In der morgigen Plenarsitzung des Bundestages wird über die Zukunft der deutschen Filmwirtschaft entschieden, der vom Bundestagsausschuss für Kultur und Medien beschlossene Gesetzentwurf zum Filmfördergesetz (FFG) steht zur Abstimmung auf der Tagesordnung. ver.di begrüßt eine Reform der Filmförderung, denn in Zukunft müssen Filmproduktionen Tarif- und Urheber-Vergütungen verbindlich einhalten.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »

Gendergerechtigkeit per KI überprüfen

Ein Gender-Analyse-Tool der Technischen Universität München zeigt, wie Frauen medial ausgeklammert werden. Das Ziel vom  Gender Equality Tech Tool – GETT  ist es, die Sichtbarkeit von Frauen in der Berichterstattung bewusst zu fördern. Mit GETT kann über eine Kombination aus klassischen Algorithmen und Open-Source-KI-Modellen nachgeprüft werden, wie oft Frauen im Vergleich zu Männern in den Medien genannt und wie sie dargestellt werden.
mehr »

Gewalt an Frauen bleibt Leerstelle

Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland alltäglich. Und nicht nur in Politik und Justiz besteht großer Nachholbedarf im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt: Auch die journalistische Praxis zeigt deutliche Schwächen und erhebliche Leerstellen. Der aktuelle Trendreport der Otto Brenner Stiftung nimmt die Jahre 2020 bis 2022 in den Blick und stellt fest: Gewalt gegen Frauen wird isoliert dargestellt, ohne strukturelle Ursachen und Präventionsmöglichkeiten zu thematisieren. Das betrifft besonders deutsche Täter. Die Perspektive der Opfer bleibt unterbelichtet.
mehr »