Krieg und Frieden: Eine journalistische Herausforderung

Die Überreste von sechs Ukrainern, vier Männern und zwei Frauen, von denen eine wahrscheinlich noch ein junges und minderjähriges Mädchen war, wurden in Butscha, einem Außenbezirk von Kiew, gefunden. Ukrainischen Angaben zufolge hatten russische Soldaten die Menschen erschossen und sie dann in Brand gesetzt. Am 5. Mai 2022 wurde eine einfache Durchsuchung des Tatorts durchgeführt. Die Leichen wurden dann in Säcke verpackt und einer gerichtsmedizinischen Untersuchung zugeführt. Medienvertreter*innen und Journalist*innen waren darüber informiert und zu einer öffentlichen Demonstration dieser Verbrechen vor Ort eingeladen worden. Foto: picture alliance/CTK/Vojtech Darvik Maca

Beobachterinstanz, Instrument von Public Diplomacy, Betroffene und einiges mehr: Der Ukrainekrieg fordert Journalistinnen und Journalisten in vielfältiger Weise heraus. Vieles gelang ihnen in den drei Monaten seit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 sehr gut. Diskussionswürdig hingegen ist unter anderem die in vielen deutschen Medien und Formaten unübersehbare pro-ukrainische Schieflage. Ein Zwischenruf.

Was sind schwere Waffen? Darf man ein Land kritisieren, das wie die Ukraine angegriffen wurde? Muss man das sogar? Bleiben dabei Prinzipien wie „neutral“ oder „ausgewogen“ gültig? Was rechtfertigt es, Bilder von Leichen zu zeigen? Was heißt denn überhaupt „über Krieg zu berichten“? Inwiefern sind Medien Kriegsschauplätze und Teil des Krieges? Fragen, auf die es durchaus Antworten gibt. Journalismus spielt hierbei eine tragende Rolle mit vielen Funktionen: Er muss informieren, sorgfältig einordnen, kritisieren, ein möglichst vollständiges und korrektes Bild der Wirklichkeit zeigen, den notwendigen Abstand halten sowie das Publikum widerstandsfähig machen, also resilient, indem verantwortungsbewusst abgewogen wird, was ihm zuzumuten ist und was es unbedingt wissen und können muss.

Wir alle müssen uns seit dem 24. Februar 2022 einer Wirklichkeit stellen, die wenige für denkbar hielten: Einem Krieg, der uns so nahe zu scheint wie kein anderer zuvor seit 1945, einer immens gestiegenen Kriegsgefahr, einer sich verändernden globalen Sicherheitsordnung und diversen Folgen für das tägliche Leben, deren Ausmaß wir allenfalls erahnen. Medienschaffende betrifft diese „Zeitenwende“ doppelt: als Privatmenschen sowie durch ihren Beruf.

Professionelle Krisenberichterstattung verschweißt fünf Elemente: Kompass, Resilienz, Information, Selbstreflexion (u.a. bezogen auf Distanz, Nähe und möglicher Instrumentalisierung), Einordnung. Vieles deckt sich mit dem, was laut aktueller Forschung z.B. weite Teile des Publikums im deutschsprachigen Raum erwarten. Berichterstattung soll aktuell, einfach zu verstehen, aber insgesamt möglichst nicht zu negativ, sondern ausgewogen sein und so, dass Sachverhalte aus verschiedenen Sichtweisen dargestellt werden. In Medien wird ein solides, leicht schwankendes Vertrauen gesetzt, das bei Krisenthemen relativ hoch ist.

Kompass: Ethik begründet Zumutungen

Kriege sind humanitäre Katastrophen. Was auf Schlachtfeldern und in betroffenen Gebieten geschieht, ist in Worten und auch in Bildern schwer auszuhalten. Der Journalismus übernimmt hier neben der Aufgabe, den Wahrheitsgehalt von Informationen zu überprüfen, eine wichtige Filterfunktion, indem er unterscheidet, was aus welchen Gründen heraus zuzumuten ist. Dafür ist ein ethischer Kompass nützlich, ein Abwägen aus verschiedenen Perspektiven: Würde man Bilder von Leichen generell veröffentlichen, gar nie oder nur in bestimmten Situationen? Mit welchen Begründungen? Die im Pressekodex formulierten Richtlinien liefern Entscheidungshilfen: Im Prinzip Unzumutbares (zum Beispiel die Leichen erschossener Zivilisten in Irpin bei Kiew oder Videos getöteter Zivilisten an den Straßenrändern in Butscha) wird dann zumutbar, wenn das Wissen darüber von öffentlicher Bedeutung ist. Der Pressekodex benennt in Ziffer 1 „die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit“ als oberste Gebote professioneller Medienberichterstattung.

Richtlinie 11.1 vertieft, dass öffentliche Relevanz und der Schutz der Würde der Betroffenen und die Rücksicht auf Kinder und Jugendliche gegeneinander abgewogen werden müssen, also, ob etwas öffentlich werden muss und wenn ja, wie. Bilder, die belegen, dass in einem Krieg gezielt Zivilisten umgebracht worden sind (was ein Kriegsverbrechen ist), können als historische Dokumente bedeutsam sein. Daher wird auch die Möglichkeit in Kauf genommen, dass Hinterbliebene von einer solchen Publikation sehr aufgewühlt werden. Zum Beispiel hat in Irpin ein Familienvater erst über die auf sozialen Medien geteilten Fotos vom Tod seiner Frau und seiner Kinder erfahren. Er fand es aber wichtig, dass diese Belege für die Gräueltat öffentlich wurden. Die „New York Times“ hat die Leichen in Irpin sogar von vorne gezeigt und so, dass teilweise die Gesichter zu erkennen waren. Andere Medien haben diese verpixelt, wieder andere die Toten vom Rücken her abgebildet oder unter Decken fast verborgen. Einige schalten manchen Kriegsbildern „Triggerwarnungen“ vor, also digitale Hinweisschilder, dass schwer erträgliche Anblicke folgen. All dies illustriert: Hier gibt es kein „absolut richtig“ und kein „völlig falsch“, sondern Bandbreiten.

Ein Großteil der deutschen Medien ist bei Bebilderung und Schilderung von Grausamkeiten sehr umsichtig vorgegangen; viele Redaktionen haben ihrem Publikum erklärt, wie sie entscheiden und wie wichtig es ist, bewusst zu überlegen, ob und wie man etwas publiziert. Nützlich und wichtig ist zudem, wenn Journalistinnen und Journalisten an die Publikumsethik appellieren und klar machen, dass die Verantwortung für das, was öffentlich wird, nicht allein professionelle Medienschaffende tragen, sondern alle, die über soziale Medien etwas verbreiten und teilen.

Einige wenige Medien sind sehr weit gegangen und haben Bilder zugemutet, über deren öffentliche Relevanz sich streiten lässt. Das Foto des verbrannten Gesichts eines verwundeten ukrainischen Soldaten oder ganze Bilder-Serien in Boulevardmedien von Menschen mit Kriegsverletzungen entspricht zwar der grausamen Kriegswirklichkeit, die aber nicht komplett abgebildet werden kann (und muss). Ein „Zuviel“ an Zumutung kann zudem Menschen dazu antreiben, „negativen“ Nachrichten komplett aus dem Weg zu gehen. Studien weisen eine wachsende Neigung insbesondere jüngerer Zielgruppen nach, negative Nachrichten generell zu meiden. Diese Neigung ist besorgniserregend und in Krisen wie Krieg und Pandemie hochriskant, weil es da um Überlebensfragen geht. Journalismus hat das Potenzial, hier gegenzusteuern.

Journalismus als Resilienztreiber

Informierend, selbstreflektierend, einordnend – Journalismus ist Treiber von Resilienz, der ethische Kompass (eine Grundvoraussetzung dafür) schafft Orientierung. Sich zurechtfinden, Bescheid wissen, eigenes Verhalten reflektieren und Zusammenhänge verstehen, macht widerstandsfähig und belastbar. Indem Medien einordnen, erklären, Menschen miteinander ins Gespräch bringen, stärken sie Resilienz. Starke, unabhängige Medien und eine starke, werteorientierte, ihre Institutionen respektierende und in diesem Sinne nachhaltige Gesellschaft bedingen sich gegenseitig. Auch hierfür gibt es zahlreiche Belege aus der Wissenschaft.

Die Resilienzfunktion von Journalismus ist in Krisen noch wichtiger als sonst. Medien können Menschen dazu befähigen, eine schwierige Wirklichkeit besser auszuhalten: Wer mehr weiß, ist besser vorbereitet und lässt sich nicht so leicht umwerfen. Viele deutschsprachige Talkshows haben Expertinnen und Experten eingeladen, die die Lage etwa aus historischer, militärischer, sozialwissenschaftlicher oder humanitärer Sicht analysierten – und mitunter Gäste, die gegen den Strich argumentierten.

In Kriegen kursieren Informationen, die schwerer als sonst zu überprüfen sind. Die Pflicht sorgfältig zu recherchieren, Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und zu vermitteln, was sie bedeuten, ist klassische journalistische Handwerkstradition, die längst auch mit digitalen Werkzeugen fortgesetzt wird. Viele Medienhäuser machen und organisieren plausible und hervorragende Faktenchecks (z.B. #Faktenfuchs, Correctiv, Faktenfinder, neu: globales Netzwerk #UkraineFacts).

Am 2. März trafen russische Raketen das historische
Zentrum von Charkiw: der „Palast der Arbeit“ – (1914,Neoklassizismus)für Banken und Geschäfte – am „Platz der Verfassung“ wurde in Teilen zerstört. Foto: Oksana Belikova

Für ein medienkompetentes Publikum

Der Ukrainekrieg zeigt ein weiteres Mal, wie wichtig für alle Bürgerinnen und Bürger Medienkompetenz ist und wie groß weiterhin die Lücken sind, über die unzählige Male diskutiert wird, ohne dass es bislang konsequente Abhilfe gäbe. Journalistinnen und Journalisten können diese Lücken kaum alleine schließen – dazu bedarf es endlich auch eines systematischen Handelns der Politik! Aber sie können dazu beitragen, sie zu verkleinern, indem sie immer wieder Grundwissen vermitteln z.B. zur Mechanik von Verschwörungserzählungen, zur Eskalationslogik von TikTok und der Rolle von Telegram im Ukrainekrieg oder zum Check, ob eine Nachricht im Newsfeed oder ein Bild tatsächlich eine grobe Fälschung oder Manipulation ist. Drei Handlungsansätze helfen schon sehr weit: Erstens grundskeptisch bleiben, wenn man Quellen nicht kennt. Zweitens recherchieren: Wem gehört das Profil, über das eine Mitteilung kommt? Lassen sich weitere Quellen beziehungsweise Medienmarken, Faktencheckteams oder Treffer in Bildersuchmaschinen finden, die dieselbe Information bestätigen? Drittens zurückhaltend sein: publikumsethisch geboten ist auch, nichts zu teilen, bei dem man unsicher ist, ob es stimmt. Einige der Faktencheck-Angebote bieten bereits solche Kurzschulungen an. Das genügt nicht. Redaktionen sollten bis auf Weiteres und nach Kräften hier in die Bresche springen und zumindest die Mediengrundbildung ihres Publikums stärken.

Viele Medien hierzulande kommen bislang in ihrer Kriegsberichterstattung ihren Pflichten in weiten Teilen nach. Sie beschreiben die Ereignisse vor Ort, ordnen sie in die ukrainische und russische Geschichte und Politik ein, erläutern Waffensysteme, Parlamentsdebatten, Sanktionen und den „Informationskrieg“, der in diesem Krieg wohl so intensiv wie nie geführt wird, über klassische Medienkanäle wie über soziale Medien. Ihn charakterisiert seit Kriegsbeginn ein Gegenüber unterschiedlicher Kommunikationsstile. Der russische Präsident Wladimir Putin lässt Bots einsetzen, gezielte, massive Fehlinformation und Manipulation; er tritt selten selbst auf und dann mit Abstand, am Kopf eines riesigen Tisches, autokratisch. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kommuniziert kontinuierlich und über viele Kanäle, hat einen speziellen Telegram-Kanal; er wendet sich oft direkt an die Bevölkerung in seinem Land und in Ländern, von deren Regierungen er Unterstützung erwartet, lässt sich in Parlamente zuschalten, zu den Filmfestspielen in Cannes und zum World Economic Forum in Davos: Er setzt sich und seine Botschaften professionell in Szene, ungefiltert, nicht journalistisch eingeordnet.

Diese Aufgabe müssten Medien übernehmen. Tatsächlich geschieht dies oft nur im Schwarz-Weiß-Modus. Von Putin und dessen Lügen distanzieren sie sich klar. Selenskyjs Positionen greifen viele mehr oder weniger nur auf, feiern ihn (z.B. „Der mutigste Mann der Welt“, „Stern“, 9.3.2022), stehen gleichsam Gewehr bei Fuß und in „Wir“-Position, erwecken den Eindruck, es befände sich Deutschland quasi im Krieg. Und: Sie fragen wenig nach (Was passiert eigentlich mit den gewünschten „schweren Waffen“, wenn der Krieg vorbei ist oder im Falle, dass Selenskyj gestürzt werden sollte?), lassen Distanz vermissen. Das führt in zwei heikle Bereiche, in denen die Berichterstattung deutscher Medien und ihre Rolle bislang vielfach defizitär ist: Erstens in Bezug auf ausgewogene Distanz, „False Balance“ und Solidarität; zweitens bei der Frage, ob sie bewusst Instrument von „Public Diplomacy“ sein wollen.

Ausgewogenheit ist ein wichtiges Prinzip für multiperspektivische und sachgerechte Berichterstattung. Es wird aber (oft unbewusst) missverstanden. Ein Beispiel: Der Tatsache, dass Russland völkerrechtswidrig die Ukraine angegriffen hat, muss man nicht die russische Propagandaposition entgegensetzen, dies sei eine „Militäroperation“. Es ist nur vermeintlich ausgewogen, wenn man einer eindeutigen Tatsache eine Propagandaposition gegenüberstellt. Oder – zweites Beispiel – wenn der in vielen Studien bestätigte Befund, dass Treibgasausstoß und Erderwärmung zusammenhängen, jedes Mal mit der Außenseitermeinung, menschengemachten Klimawandel gebe es nicht, konfrontiert wird. Auf das Publikum wirkt das so, als könne das Eine genauso gut stimmen wie das Andere. Es entsteht eine „False Balance“, eine Schieflage, die gar nicht der Wirklichkeit entspricht. Daraus folgt, dass eine doppelte Prüfung unerlässlich ist, ob „sachgerecht ausgewogen“ vorgegangen wird: Handelt es sich um eine qualitativ eindeutig (Angriffskrieg) oder vielfach evidenzgestützte Tatsache (menschengemachte Erderwärmung), dann ist dies deutlich zu machen. Eine Gegenposition muss nicht zwangsläufig erwähnt werden. Bezogen auf die russische Invasion in die Ukraine wird dies in weiten Teilen der Berichterstattung so gemacht.

Die Ukraine ist moralisch und faktisch im Recht. Das erzeugt Solidarität und ist wichtig. Journalismus sollte parteiisch sein, wenn es um Angriff auf die Säulen des demokratischen Grundverständnisses geht, und solidarisch mit jenen, deren Menschenrechte verletzt werden. Es ist richtig, wenn er sich hier nicht auf eine neutrale Haltung zurückzieht. Aber eine solche Solidarität muss verbunden bleiben mit einem weiterhin differenzierten und distanzierten Blick. An dieser Stelle gibt es Verbesserungspotenzial. Immer wieder werden kritische Hinweise auf das immense Ausmaß der öffentlichen Korruption in der Ukraine oder auf die Rolle des Nationalhelden Stepan Bandera abgetan – als „Whataboutism“, als Thema, das jetzt, zu Kriegszeiten, nicht zu diskutieren sei. Es besteht jedoch kein Grund, das journalistische Distanz-Prinzip über Bord zu werfen. Ausgewogene Distanz steht nicht im Widerspruch zur humanitären Solidarität.

Wenn Springer-Verleger Mathias Döpfner in einem „Bild“-Kommentar (4.3.3022) Deutschland dazu auffordert, notfalls auch gegen die Nato-Regeln an der Seite der Ukraine zu kämpfen, dann ist das nicht solidarisch, sondern Kriegstreiberei. Wenn Journalist*innen sich freiwillig „embedden“ und vereinnahmen lassen, als Sprachrohr ukrainischer Politik (Selenskyj, Melnyk, Klitschko-Brüder) agieren, ist dies eine diskussionswürdige, undifferenzierte Blindlings-Solidarität, die dem Publikum gegenüber schwer zu verantworten ist. Wenn Kommentator Matthias Koch (RND, 2.3.2022) gemeinsam mit einem Psychiater als „opportunem Zeugen“ bei dem Aggressor Putin aus der Ferne eine Wahnkrankheit diagnostiziert, handelt es sich dabei medien- sowie medizinethisch um eine Fehlleistung; es fehlt die gebotene professionelle Distanz.

Werkzeug von Public Diplomacy

Ziel der ukrainischen „Diplomatie der Öffentlichkeit“ ist es, Bürgerinnen und Bürger im Ausland zu überzeugen, dass die Ukraine dringend schwere Waffen benötigt, um ihre Existenz zu sichern und ihr Recht auf Selbstverteidigung wirkungsvoll auszuüben. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melynk, betreibt dies durch Auftritte in deutschen Talkshows, Tweets und Provokationen. Public Diplomacy will Medien steuern und sie als Werkzeuge nutzen. Sie verwendet dazu oft Methoden der Werbefachleute, um wiedererkennbar und gut verständlich Positionen zu platzieren, aber auch Propaganda. Public Diplomacy ist zwar im Kern nichts Neues, kann aber gerade in einer Mediengesellschaft besonders wirkungsvoll ihre Ziele zum Erfolg bringen: Wichtige Themen aus der Sicht des Absenders („schwere Waffen“) sollen auf der politischen Agenda anderer Länder landen und dort breit öffentlich debattiert werden. So sollen sie in der Prioritätenliste nach oben rücken und die Einstellungen von Bürgern und Bürgerinnen verändern sowie auf diese Weise mittelbar das Handeln von deren Regierungen beeinflussen. Solche politischen Strategien und die Rolle, die darin Medien haben, werden wenig thematisiert und reflektiert.

Und schließlich wäre wünschenswert, Krieg als ein Thema zu betrachten, das mehr ist als Berichterstattung aus zerstörten Städten. Es bedarf der Expertise von Auslandsjournalist*innen, die die Mentalitäten und Vorgeschichten z.B. in der Ukraine weit besser kennen als jene, die anreisen, um über akute Geschehnisse und Gefechte zu berichten. Ebenso wichtig ist die Fachkundigkeit von Journalist*innen, die sich mit internationaler Verhandlungsführung, Diplomatie und Friedensabschlüssen auskennen. In den Fokus der Ukraineberichterstattung gehören in allen Phasen stets Perspektiven auf Krieg und Frieden.

Marlis Prinzing, Professorin für Journalismus an der Hochschule Macromedia in Köln
Foto: Martin Jepp

Sieben Bullet Points professioneller Kriegsberichterstattung

KOMPASS: Ethik hält auf Kurs, stützt bewusst getroffene Entscheidungen, was zuzumuten ist (Kriegsbilder etc.)

RESILIENZ: Starker Journalismus stärkt das Publikum: Kundige und einordnende Berichterstattung, befähigt Menschen dazu, die Wirklichkeit besser auszuhalten.

MEDIENKOMPETENZ: Journalismus muss Mediengrundwissen vermitteln, z.B. damit sich Menschen desinformierender Kriegspropaganda nicht wehrlos ausliefern.

SELBSTREFLEXION: Über Abhängigkeiten nachdenken, hilft Journalismus, sich nicht einfach instrumentalisieren zu lassen – z.B. von Public Diplomacy.

AUSGEWOGENE DISTANZ. Die Solidarität mit einem angegriffenen Land steht nicht im Widerspruch dazu, dass professionelle Distanz im Journalismus unabdingbar bleibt.

FALSE BALANCE. Eindeutigen Sachlagen (Angriffskrieg) eine Propagandaposition (Militäroperation) gegenüberstellen, erzeugt den Eindruck eines falschen Gleichgewichts.

GRENZÜBERSCHREITUNG ALS PRINZIP: „über Krieg berichten“ ist „interdisziplinär“ (u.a. mit Auslands-, Diplomatie-, Kriegsjournalismus).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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