Kritik als Form von Majestätsbeleidigung

In Deutschland wirkt die Intervention des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen eine Satire des NDR-Magazins „Extra 3“ wie eine peinliche Posse. Doch am Bosporus ist das bedrohliche Realität. Mit genau denselben Methoden funktioniert dort nämlich die Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Anwälte durchforsten im Auftrag Erdogans Medien und das Internet auf kritische Bemerkungen. Mittlerweile laufen fast 2.000 Verfahren wegen des Straftatbestands der „Beleidigung des Präsidenten“. Betroffen sind Journalisten, Blogger, aber auch einfache Bürger, sogar Minderjährige. Es ist eine Strategie der Einschüchterung und sie zeigt Wirkung.

Der Versuch Erdogans, die Verbreitung eines satirischen Liedchens über ihn durch die Einberufung des deutschen Botschafters in das türkische Außenministerium in Ankara zu stoppen, ging nach hinten los. Und zwar so richtig: Denn erst durch den offiziellen Protest der türkischen Behörden hat der Beitrag des Fernsehmagazins „Extra 3“ nämlich massenhafte Beachtung gefunden. Statt die weitere Verbreitung zu verhindern, erreichte Erdogan das Gegenteil: Die Redaktion stellte unter anderem eine Version mit türkischen Untertiteln ins Netz, bei Facebook und in anderen sozialen Netzen wird der Beitrag tausendfach geteilt. Und so hören immer mehr Menschen das Lied „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ (nach einer Melodie von Nena) mit Textzeilen wie: „Ein Journalist, der irgendwas verfasst, was Erdogan nicht passt, ist morgen schon im Knast.“

Was für uns in Deutschland lächerlich oder zumindest peinlich hilflos wirkt, ist als Reaktion der Türkei dennoch ernst zu nehmen. Die Einberufung eines Botschafters ist auf dem diplomatischen Feld ein klares politisches Signal, auch wenn die Bundesregierung hoffentlich wirklich, wie sie behauptet, die Pressefreiheit hochgehalten und auch die politische Satire gegenüber den türkischen Behörden verteidigt hat. Und natürlich hat Erdogans Intervention keinen Einfluss auf die redaktionelle Arbeit von NDR und „Extra 3“.

Ganz anders läuft es in der Türkei. Beispiele für die Einschüchterung der Öffentlichkeit aus jüngster Zeit gibt es viele: Missliebige Publikationen haben zunehmend finanzielle Probleme, die Zeitung „Zaman“ wurde mit Hilfe der Sicherheitskräfte faktisch unter Kontrolle der Regierung gestellt. Und der Prozess gegen den Chefredakteur der linksliberalen Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, und den Ankara-Korrespondenten des Blattes, Erdem Gül, zeigt, dass selbst prominente Kritiker der Regierung nicht vor Verfolgung sicher sind. Den beiden Journalisten droht lebenslange Haft, weil ein Bericht über mutmaßliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an Islamisten in Syrien laut Anklage als „Spionage“ und „Verrat von Staatsgeheimnissen“ gewertet wird. Erdogan selbst tritt in dem Verfahren als Nebenkläger auf, was für das Urteil das Schlimmste befürchten lässt.

Recep Tayyip Erdogan wird immer dünnhäutiger, er betrachtet offenbar jede Form der Kritik an seiner Politik inzwischen als Majestätsbeleidigung. Dabei könnte er theoretisch ganz gelassen mit Kritik umgehen, denn er ist weiterhin beliebt im Land, seine konservativ-islamische Partei AKP bleibt bei jeder Wahl stärkste Kraft, regiert seit Jahren fast immer mit absoluter Mehrheit.
Aber Kritik zuzulassen widerspricht offenbar Erdogans Persönlichkeit. Das bekommen mittlerweile auch ausländische Korrespondenten zu spüren, etwa der „Spiegel“-Journalist Hasnain Kazim, dessen Presseakkreditierung nicht verlängert wurde, was faktisch einer Ausweisung gleichkam. Anderen Kollegen erging es ähnlich.

All das macht jetzt die Unterschiede zwischen Europa und der Türkei in Fragen der Pressefreiheit sichtbar, obwohl Deutschland und die EU wegen der Flüchtlingskrise gerade jeder Konfrontation mit Ankara aus dem Weg gehen wollen. Vielleicht wäre es gut, bei den EU-Beitrittsverhandlungen endlich die Themen Justiz, Demokratie und Pressefreiheit zu behandeln. Auch wenn die Gespräche zwischen Brüssel und Ankara zur Unzeit wieder belebt werden, bieten sie die Chance für die nötigen klaren Worte in Richtung Türkei.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Spanien: Als Terrorist beschuldigt

Der katalanische Investigativjournalist Jesús Rodríguez hat Spanien verlassen, um ins Exil in die Schweiz zu gehen. Ihm wird von Ermittlungsrichter Manuel García-Castellón die Unterstützung terroristischer Akte vorgeworfen. Die Schweiz sieht im Vorgehen der spanischen Justiz gegen den Katalanen einen „politischen Charakter“.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

Italien: Neun Jahre Haft für Recherche?

Drei Reporter*innen der italienischen Tageszeitung Domani müssen mit bis zu neun Jahren Gefängnis rechnen. Die Staatsanwaltschaft Perugia ermittelt gegen sie, weil sie vertrauliche Dokumente von einem Beamten angefordert und erhalten und das Geheimhaltungsprinzip der Ermittlungen verletzt haben sollen. Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll kritisierte, dass „hier investigative Berichterstattung über Mitglieder der italienischen Regierung unterdrückt werden soll."
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »