Leipziger Studie: Wie leben Selbstständige?

Freie Kreative in Kultur und Medien – unverzichtbar für eine demokratische Gesellschaft
Foto: 123rf

Mit dem Titel „Leipziger Allerlei“ ist eine Studie überschrieben, die Soloselbstständigkeit in der sächsischen Messestadt zum Gegenstand hat. Vom dortigen „Haus der Selbstständigen“ in Auftrag gegeben, durchforstet die Strukturdatenanalyse vor allem Statistiken, bietet aber durchaus auch interessante Einblicke in die Arbeits- und Lebensbedingungen der derzeit rund 30.000 Soloselbstständigen in Leipzig.

Die Analyse ist ausgesprochen gründlich. Autorin Cosima Langer hat keine Quellen und Zahlen unbeachtet gelassen: vom amtlichen Mikrozensus 2010 bis 2019 über die städtischen Gewerbean- und -abmeldungen, die Statistik der Bundesagentur für Arbeit und des Jobcenters Leipzig sowie Daten des Corona-Programms „Leipzig hilft Soloselbstständigen“ bis zu einer Sonderauswertung der ver.di-Mitgliederzahlen. Die Studie zeige Vielfalt, so das Fazit, „aber auch die weiterhin bestehenden Unklarheiten im Zusammenhang mit der inzwischen nicht mehr neuen Erwerbsform“.

Auch diese Untersuchung hat damit zu kämpfen, dass es keine einheitliche Definition von Soloselbstständigkeit gibt. Unternehmensregister, Finanzamt und Mikrozensus kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Laut Mikrozensus betrug die Zahl der Soloselbstständigen 2019 in Leipzig 28.100, das entspricht einem Sieben-Prozent-Anteil an der Erwerbsbevölkerung und liegt damit deutlich höher als der Bundesdurchschnitt von 4,6 Prozent.

Bei genauerer Betrachtung sei die Lage jedoch „weitaus komplizierter“. Bestimmte Arten von Soloselbstständigkeit werden im Mikrozensus nicht erfasst. Auch ist nicht klar, ob Soloselbstständige, die in Leipzig wohnen, auch ihre Tätigkeit dort ausüben oder ob – umgekehrt – alle in der Stadt Tätigen dort auch wohnen. Und selbst die Sonderauswertung des Mikrozensus, die nicht nur die Haupt-, sondern auch Nebentätigkeiten der Personen erfasst, dürfte nicht exakt sein, da unangemeldete Nebentätigkeiten häufig wohl verschwiegen werden.

Dennoch lasse sich konstatieren: Die Zahl der Soloselbstständigen in der Messestadt hat in den zehn Jahren bis 2019 leicht zugenommen, den Zuwachs trugen vorrangig soloselbstständig tätige Frauen; deren Quote ist seit 2010 von 32 auf 44 Prozent 2019 gestiegen. Hinsichtlich der Haushalteinkommen sind leichte Steigerungen der oberen Gruppen nachweisbar, sodass zuletzt von einer fast ausgeglichenen Drittelung nach Einkommen unter 2000 Euro, zwischen 2000 und 4000 sowie über 4000 Euro auszugehen war. 2010 lebten noch 11.900 Soloselbstständige mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen unter 2000 Euro, diese Zahl sank bis 2019 auf etwa 8000.

Ein besonderes Wachstum nach Wirtschaftszweigen erfahren auch in Leipzig Soloselbstständige in „sonstigen Dienstleistungen“. Eine detailliertere Aufschlüsselung ist freilich nicht möglich. Die Zahl der Soloselbstständigen mit (Fach-)Hochschulabschluss lag 2019 in Leipzig bei beträchtlichen 75 Prozent.

Große Einkommensunterschiede zwischen den Branchen

Mit Blick auf die bundesdeutsche Gesamtentwicklung im vergangenen Jahrzehnt passen diese Aussagen durchaus ins Bild. Spezifischer scheinen Daten über Gewerbeanmeldungen von Soloselbstständigen, die in Leipzig zwischen 2010 und 2019 rückläufig sind. In vielen Wirtschaftszweigen wurden sie überwiegend von Männern vorgenommen. Hinsichtlich der hier relevanten „sonstigen Dienstleistungen“ zeigen sie sich dagegen nahezu ausgewogen zwischen den Geschlechtern. Obwohl es in der Kategorie „sonstige überwiegend persönliche Dienstleistungen“ Gewerbeanmeldungen im vierstelligen Bereich gegeben hat, lassen sich auch hier die dahinterstehenden Tätigkeiten nicht genauer bestimmen. Das gilt erst recht in Bereichen von freiberuflicher Tätigkeit, wo gar keine Gewerbeanmeldung nötig ist. Insofern spricht die Autorin eben auch von „Leipziger Allerlei“.

Aussagekräftiger, weil konkreter, sind die Ergebnisse, die Cosima Langer hinsichtlich prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse gewinnen konnte. Basis bildete hier die Statistik zu Leistungsbezug und Hilfsprogrammen, es werden Risikofaktoren wie unzureichende soziale Absicherung, Einkommenssituation und fehlende Interessenvertretung in den Blick genommen. Ein wesentliches Ergebnis: Unter den Leipziger Soloselbstständigen ist die Spreizung der Einkommen je nach Beruf und Branche sehr groß.

Im Corona-Programm „Leipzig hilft Soloselbstständigen“ wurden die Jahresumsätze der rund 2.700 Antragsteller*innen im Corona-Vorjahr abgefragt. Demnach lag der durchschnittliche Jahresumsatz bei 38.000 Euro. Den mit 17.000 Euro geringsten hatten die bildenden Künstler*innen, den höchsten durchschnittlichen Jahresumsatz die Public-Relations-Berater*innen mit 64.000 Euro. Als soloselbstständig galten in dem Förderprogramm „alle Einzelpersonen, die auf eigene Rechnung eine gewinnorientierte gewerbliche, künstlerische oder freiberufliche Tätigkeit ausüben“. Diesen gleichgestellt waren Kleinstunternehmen, in denen lediglich eine Einzelperson ihre Geschäftstätigkeit organisiert. Die Studie attestiert dem Hilfsprogramm, dass dadurch „insbesondere die Leipziger Kultur- und Kreativwirtschaft“ zielgerichtet unterstützt wurde.

Leipzig bietet Gestaltungsmöglichkeiten

Schließlich arbeitet die Studie Besonderheiten über die Leipziger selbstständigen „erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“ heraus, also Arbeitslosengeld- oder Grundsicherungsempfänger inklusive „Aufstocker“: Zunächst sei ihre absolute und relative Zahl zwar rückläufig, im Vergleich zu anderen sächsischen Großstädten wie Dresden und Chemnitz jedoch bemerkenswert hoch. Auch ein im Deutschlandvergleich deutlich geringerer Anteil von über 55-Jährigen scheint eine Leipziger Besonderheit zu sein. Insgesamt ergibt sich dieser Befund: Die selbstständig erwerbstätigen Leistungsempfänger in der Messestadt „sind jünger, häufiger weiblich und ebenfalls häufiger alleinstehend und alleinerziehend“. Im Vergleich von Ost- und Westdeutschland lägen die Werte eher dazwischen, bildeten also eine Art „Übergang“.

Um die Situation der Leipziger Soloselbstständigen, auch von Crowdworkern und anderen modernen Kreativen, weitergehend zu beleuchten, speziell die Blackbox „sonstige Dienstleistungen“ aufzuhellen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, schlägt die Autorin der Studie dem Haus der Selbstständigen vertiefende Untersuchungen vor. Einbezogen werden könnten etwa die Initiative Lehrkräfte gegen Prekarität oder auch gewerblich Soloselbstständige in körpernahen Dienstleistungen. Die aktuelle Studie bietet dafür weitergehende Ansätze. Ihr bisheriges Fazit gilt wohl für alle Gruppen gleichermaßen und kann wiederum kaum überraschen: „Die Arbeitsbedingungen von Soloselbstständigen müssen verbessert und deren soziale Absicherung garantiert werden.“ Zudem sei „eine Stärkung kollektiver Interessenvertretung gefragt“. Für aktive Mitgestaltung an solchen Prozessen biete sich der Standort Leipzig der Kultur-, Kreativ- und Digitalwirtschaft als sehr geeignet an.

„Leipziger Allerlei?“ Strukturanalyse von Solo-Selbstständigkeit in Leipzig. Wissenschaftliche Expertise von ArbeitGestalten. Im Auftrag der Input Consulting GmbH – Projekt „Haus der Selbstständigen“ 1. Mai 2022. Zum Download

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