Irrationales Sicherheitsbedürfnis pointiert auf‘s Korn genommen
Die Medien berichteten vom G8-Gipfel in Heiligendamm und den Protestaktionen zum Teil vorbildlich, aber auch skurril und ärgerlich. Als Quellen standen den Berichterstattern im Pressezentrum in Kühlungsborn die Fernsehkanäle, der Zugriff auf dpa und diverse Pressesprecher zur Verfügung. „Hier wurde Material übernommen, ohne es zu prüfen. Das finde ich schon bedenklich“, staunte Wiebke Dierkes vom Marburger Radio „Unerhört“.
Staunen durfte auch das Publikum. Zum Beispiel über die Scheinheiligendammer Afrika-Ausgabe der Bildzeitung, die von Sir Bob Geldof verantwortet wurde.
Oder über 40 Polizeipressesprecher, die randständige Ereignisse und die Zahl der verletzten Polizisten hochgejazzt haben. „Sie dürfen nicht alles auf die Goldwaage legen, was wir ihnen erzählen“, zitiert Spiegel-Online einen der Sprecher. „Was wir ihnen gestern erzählt haben, war gestern richtig. Heute ist alles anders“, rückt ein anderer zurecht.
Dabei hat alles so gut angefangen. Lässt man mal Blätter wie FAZ und Welt beiseite, war die Berichterstattung vor dem Gipfel aus Sicht der Gipfelkritiker durchaus wohlgewogen und differenziert. Der 12 Kilometer lange und 12,8 Millionen Euro teure Zaun mitsamt der restlichen Sicherheitshysterie trieb nicht wenige Kolleginnen und Kollegen in die Arme von Attac und Co. Der Staat hat in seinem irrationalen Sicherheitsbedürfnis über die Stränge geschlagen und das wurde von der schreibenden und sendenden Zunft pointiert aufs Korn genommen.
Als etwa 60 Kolleginnen und Kollegen die Akkreditierung verweigert wurde, hatte das einen angenehmen Solidarisierungseffekt zur Folge. Das Bundespresseamt teilte den Betroffenen mit, nähere Auskünfte könne das Bundeskriminalamt geben. Das BKA redete sich heraus, der Verfassungsschutz sei schuld. Und hier schoben sich die Kölner Zentrale und die Landesämter gegenseitig den schwarzen Peter zu. Die Journalistengewerkschaften und befreundete Verbände protestierten. So erschienen etliche Beiträge in eigener Sache. Einige Betroffene gingen mit dju-Rechtsschutz erfolgreich vor Gericht. Schließlich wurden die Ausgesperrten dann doch hinter den Zaun gelassen.
„Arbeitsunfall“ bei dpa
Am 2. Juni, dem 40. Jahrestag der Ermordung von Benno Ohnesorg, geriet das Antigipfelgeschehen kurzzeitig und die Berichterstattung ziemlich außer Kontrolle. Weil sich ein paar Dutzend Jungmachos nicht an die Verabredungen hielten, wurden Wolfgang Schäuble die Bilder geliefert, die er sich offenbar wünschte: steinwerfende Chaoten. Tagelang flimmerte das gleiche Bild über die Mattscheibe: vor dem Steinhagel wegrennende Polizisten und ein einzelnes brennendes Auto. „Die gewaltbereiten Autonomen brachten die berechtigten Anliegen der übrigen Demonstranten in Misskredit“, so der mitgesendete Offton noch am Dienstag danach. Entsprechende Bilder auch in den Sonntags- und Montagszeitungen. Wenn überhaupt, wurden die Bilder der bunten und fröhlichen Demo erst in den Innenteilen der Blätter gezeigt. Herausragend war hier die Süddeutsche Zeitung, die ausführlich und fair bebildert berichtet hat. Die taz gönnte sich gar den Luxus, in der Gipfelwoche mit einer täglichen achtseitigen Beilage heraus zu kommen. Vorbildlich!
Die Frankfurter Rundschau hingegen, die sich im Tabloidformat gerade aufmacht, die Jugend zu gewinnen, glänzte mit Krawalljournalismus. Die Montagsausgabe wird mit einem dramatischen Feuerfoto und einer hämischen Headline aufgemacht. Und als andere Blätter nach der Mittwochsblockade verständnisvolle Landwirte, denen blockadebedingt die Felder zertrampelt wurden, finden, gräbt der FR-Reporter nur schimpfende Mecklenburger Bauern aus, die den Blockierern die Krätze wünschen.
Der übelste anzunehmende „Arbeitsunfall“ passierte dpa auf der Rostocker Kundgebung: „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen.“ So wird von der Agentur ein klitzekleiner Teil der Rede des philippinischen Ökonomen Walden Bello übersetzt. Der falsche und sinnentstellte Satz geistert tagelang durch die Nachrichten. Die richtige Redesequenz ist eine halbe Stunde nach Bellos Auftritt bei MyVideo zu sehen. Doch drei Tage lang verschlimmbessert dpa den Fauxpas mit Konjunktivsätzen. Erst am Dienstag geht die Entschuldigung an Bello über den Ticker.
Negativpreisverdächtig ist auch die Berichterstattung der Agenturen über den Blockademittwoch. Während taz, Hamburger Morgenpost, Spiegel-Online, Süddeutsche und andere mit eigenen Leuten unter den Blockierern sind und über deren listiges Vorgehen genüsslich berichten, fliegen bei AP und dpa unaufhörlich die Steine. Quellen werden meist nicht genannt, wenn doch, dann lediglich die Polizei. Fotos gibt es keine. „Wir sind in der Diskussion, ob das handwerklich korrekt war“, so ein dpa-Sprecher laut taz. Als wahres Bewegungsorgan entpuppt sich am Samstag nach dem Gipfel die Hamburger Morgenpost: „G8-Demo-Skandal – Die Polizei-Lüge – Also doch: Zivilbeamte als Blockierer eingeschleust“ titelt das Blatt. Auch das vorbildlich!