Den Bert-Donnepp-Preis für Medienpublizistik erhält in diesem Jahr der Radiojournalist Jörg Wagner. Die Jury, der vom Adolf-Grimme-Institut vergebenen Auszeichnung, würdigte seine Leistung als „medialer Marathonläufer“ beim „Radio Eins“-Medienmagazin des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB).
Der Sendeplatz ist kein einfacher, aber wer sonnabends nach der aktuellen Bundesliga-Berichterstattung und vor der „Dancehall“ den RBB-Sender „Radio Eins“ einschaltet, kann Jörg Wagner nicht entgehen. Seit knapp zehn Jahren kündigt der umtriebige Moderator dort kurz nach 18 Uhr das RBB-Medienmagazin „auf dem Strahle der Elektronik“ an: ein sechzigminutiger Parforceritt durch die Welt der Medien, von den klassischen „alten“ Print, Radio, TV bis zu den Erzeugnissen im Web 2.0, vom Gespräch mit den Chefs komplizierter Kommissionen, die wahlweise KEF, KEK oder KDLM heißen können bis hin zum Schnack über aktuelle Medienliteratur und vieles andere mehr. Das Ganze live – mit dem Moderator als Alleinredakteur im Selbstfahrerstudio, unterstützt von einem kleinen Stamm von Reportern, eine Stunde hochkonzentriertes Arbeiten, gelegentlich unterbrochen von moderner Popmusik und ein paar Minuten Service zur Halbzeit.
Kenner beider Rundfunksysteme
Wagner begreift das Radio als „Hort der Erinnerung wider das Vergessen“. Gern konfrontiert er Interviewpartner mit deren eigenen Widersprüchlichkeiten, bringt Protagonisten der Maxime „was kümmert mich mein dusseliges Geschwätz von gestern?“ in Verlegenheit. Das ist allemal faszinierender als eitle Selbstdarstellung oder das Absondern eigener Empörung. Der Auffrischung des historischen Gedächtnisses dienen auch „Kalenderblätter“ wie das vom 24.12. 2006. „Vor 30 Jahren: Ausweisung von Lothar Loewe, Ostberlin-Korrespondent der ARD“. Natürlich mit einer historischen Aufnahme der „Tagesschau“ vom Heiligen Abend 1976.
Wagner wuchs selbst an der Ost-West-Schnittstelle der Medien in Ost-Berlin auf. Für ihn gab es kein „Tal der Ahnungslosen“: Er konsumierte und archivierte früh vieles von dem, was ihm – damals allerdings noch exklusiv terrestrisch – ins Haus kam. Seine Technikfaszination führt er auf die materielle Notlage in der untergegangenen DDR zurück. Im Angesicht des Mangels bauten sich die Menschen vieles selbst. Wagners Anekdotenschatz gibt manches amüsante Detail preis. So machte er beim Erden der Antenne seines ersten Radios eine kuriose Erfahrung: Auf der Heizung lief der Berliner Rundfunk, auf dem Klo der RIAS. Heute profitieren die Hörer vom früh angeeigneten kommunikationstechnischen Know How Wagners: Welchen Nutzen bringen DAB, HDTV, DVB-T für den Hörer? Welche Perspektive hat eine bestimmte technologische Entwicklung?
In der Sozialisation von Radiomenschen gibt es häufig eine „Schlüsselwelle“, ein Sender, der die berufliche Biografie entscheidend prägt. Bei Wagner hieß diese Welle „DT 64“, das legendäre DDR-Jugendradio. Dort absolvierte er 1977 sein erstes Radiopraktikum, dort hatte er – nach dem Umzug des nach der Wende in MDR Sputnik umbenannten Programms – fünfzehn Jahre später kurzzeitig seinen ersten Festangestellten-Vertrag. Jahre des Sichausprobierens, des Herumexperimentierens – mit einer Freiheit, wie sie im durchformatierten und streng arbeitsteilig organisierten Radio von heute undenkbar wäre. Seine Rolle als Radiomacher in der DDR? Wagner begreift sich rückblickend „weder als Opfer noch als Widerstandskämpfer“. Er habe „einfach die Grenzen ausgelotet“.
Die Ost-Biografie ist durchaus hilfreich für das Vermitteln medialer Erkenntnisse über den Fusionssender RBB. Wagner bezieht sich auf Kenner beider Rundfunksysteme, was man seiner Themenwahl gelegentlich anmerkt. Da wird auch schon mal dem 100. Geburtstag eines Manfred von Ardenne Reverenz erwiesen, dem Miterbauer der russischen Atombombe, zugleich aber eben auch der Miterfinder des elektronischen Fernsehens.
Keine inhaltlichen Tabus
Inhaltliche Tabus gebe es im RBB-Medienmagazin nicht, konstatiert die Jury des „Deutschen Preises für Medienpublizistik“, „auch der eigene Arbeitgeber – das öffentlich-rechtliche System – werde kritisch widergespiegelt“. Dies gilt nicht allein für die kleineren und größeren Skandale in ARD und ZDF, etwa in Sachen Produktplatzierung. Dies gilt – mit den überlebensnotwendigen Einschränkungen – auch für die eigene Anstalt, den Rundfunk Berlin-Brandenburg. „Wie stark muss ein System sein“, so Wagner in seiner Dankesrede am 13. Februar in Düsseldorf, „das einen Intendanten wie Lothar Loewe in seinem eigenen SFB-Fernsehen zeigt, wie er von der Belegschaft ausgebuht wird“. Die Hierarchen im fusionierten RBB gehen nicht ganz so souverän mit anstaltsinterner Kritik um. Als der TV-Moderator Jan Lerch auf dem Höhepunkt des Konflikts zwischen RBB-Freien und der Intendanz gefeuert wurde, bediente sich Wagner des guten alten Brauchs von Rede-Gegenrede, um beide Positionen transparent zu machen: Er befragte sowohl Intendantin Dagmar Reim als auch Lerch zum Hintergrund des Konflikts. Als ehemaliger DDR-Bürger weiß er, „wohin Abschottung führt, nämlich zum Absterben von Demokratie“. Wagner ist zu wünschen, dass er auch künftig nicht die Bodenhaftung verliert, getreu dem ritualisierten Motto am Ende seines „Medienmagazins“: „Vergessen Sie nicht, Ihre Antenne zu erden!“