Medien zwischen Bush-Trommeln und Friedensbewegung

Ein Kampf um die Bilder und den Quotensieg anstelle von Aufklärung?

Der Vers ist zu einem journalistischen Gassenhauer geworden, zu einer Art poetischem running gag: Matthias Claudius. „S´ist leider Krieg und ich begehre – nicht schuld daran zu sein.“

Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten tun derzeit ganz viel dafür, nicht schuld zu sein. Eine Art Panik ist zu spüren: Wer regiert das Nachrichtengeschäft, wenn jetzt Krieg ist? Von wo aus? Mit welchen technischen Verbindungen? Und welchen Partnern und welchen Informanten. Wie können wir die Menschen in diesem Land so informieren, dass sie der Kriegspropaganda nicht aufsitzen?

Die Panik ist zu spüren, noch einmal das Desaster von 1991 zu erleben mit den gefälschten, für die Propaganda hergestellten Bildern: mit kuwaitischen Prinzessinnen, den Kindern in den Brutkästen, die angeblich von irakischen Soldaten herumgeworfen worden sind, dem Kormoran an der angeblich ölverschmierten Küste, nachdem Saddam die kuwaitischen Ölfelder bombardiert hat.

Auf ungezählten Tagungen wurde die beiderseitige Kriegspropaganda des vorigen Golfkriegs entlarvt, die besonders das Fernsehen ins Mark trifft. Denn ein Bild gräbt sich unverwüstlich in das Bewusstsein von Menschen und kann dort mit Emotion die ratio überschwemmen.

Ich zitiere Nikolaus Brender (Chefredakteur ZDF, damals WDR) aus einem Interview 1991: „Es war totales Fernsehen mit null Informationen, und trotzdem haben wir mitgemacht. Wir waren von der Einschaltquote fasziniert.“

Panik ist zu spüren, auf die Täuschungen der Kriegspropaganda hereinzufallen. Und – schon seit Monaten – eine Konzentration auf den Krieg, die an einen Tunnelblick gemahnt.

„Mit ins Bett“ gelegt

Nein, man lasse sich diesmal nicht auf einen Kampf um die Bilder ein, betonen Sprecher aller Systeme, und doch klingen die Aussagen der Verantwortlichen wie bei einem Wettrüsten mit vollem Einsatz von Mensch und Material. Wer hat die beste Ausgangsposition? Wer die beste Strategie? Wer die wichtigsten Kontakte? Wer die modernste Ausrüstung? Wer schickt wen wohin? Wer kriegt wen als Experten?

Das Ziel aller Bemühungen war deutlich die Frage: Wie sind wir für einen Krieg aufgestellt? Wer wird den Quotensieg davontragen?

Viele Anstalten waren bemüht, den amerikanischen Soldaten einen Reporter „mit ins Bett“ zu legen: „embedded correspondent“, wie die diesjährige Variante der Kriegspropaganda heißt. Journalisten, die zu reportierenden Soldaten mutieren, so wie sie schon jetzt bei der Vorbereitung von Militärs auf einen Kriegseinsatz trainiert werden.

Man weiß im deutschen Fernsehen, das Quotenjahr wird seit dem 20. März, dem Datum des Angriffs vom Krieg entschieden – nach dem Fußball und dem Karneval. Da kann RTL noch so viele Superstars einsperren …

Lawinenartig ist unser Bewusstsein medial gesteuert in diesen Krieg gestürzt. Das Wort „unvermeidlich“ hatte ebenso Konjunktur wie Matthias Claudius … „nicht schuld daran zu sein“. Doch Programmarbeit am Frieden ist Aufgabe des öffentlich rechtlichen Fernsehens in Deutschland. Statt dessen gewöhnen sich die Journalisten gemeinsam mit dem Volk an den Krieg und gewöhnen das Volk an den Krieg.

Es muss uns klar sein, dass „wir“ westlichen Demokratien in den vergangenen zehn Jahren sechs Kriege geführt haben.

Demokratien sind grundsätzlich schwerfällig und tendenziell friedliebend. Sie müssen von einem Krieg überzeugt werden: Man kann die Schritte der öffentlichen Desinformation systematisch nachzeichnen. Der moderne „demokratische“ Krieg beginnt mit Reden an die Nation. Mit der sich perpetuierenden Behauptung über den menschenverachtenden Machtmissbrauch in den gegnerischen Staaten, der unumstößliche Beweise nachfolgen sollen, so dass ein Angriffskrieg in den Augen der Bevölkerung nach und nach als eine humanitäre Intervention erscheint.

Der Gegner wird in einem zweiten Schritt personalisiert und dämonisiert. Der Führer des gegnerischen Staates erhält monströse Züge, während über die Schattenseiten etwaiger Verbündeter stoisch geschwiegen wird. Zur Kriegsvorbereitung muss schließlich ein Krieg als moralisch unausweichlich erscheinen, als eine Notlage, zu der es keine Alternativen gibt. Dazu kommt das öffentliche Versprechen, ein Krieg werde nicht lange dauern, eigentlich ganz kurz sein und einen für alle Beteiligten guten Ausgang nehmen und keine langfristigen Folgen haben.

Märchenglaube

Die Zensur des Militärs sorgt dafür, dass wir nicht mit der blutigen Realität des Krieges belästigt werden. Man ist versucht, an das Märchen vom sauberen Krieg zu glauben, bis man zufällig – aber nur wenn man bis Mitternacht Nachtwache hält – spät nachts in der ARD über Massengräber in Afghanistan stolpert.

Es hat sich – trotz aller Vorwarnungen – wieder diese Eigengesetzlichkeit entwickelt, die Mechanismen aus sich herauszusetzen scheint, denen sich keiner entziehen kann. Kriegspropaganda ist heute: Zumüllen mit scheinbar heißer Information, so dass die Redakteure nicht zum Denken kommen, sondern an der Tagesarbeit ersticken.

Eigengesetzlichkeit ist ja ein theologisches und ein philosophisches Thema: Wie kann sich der Mensch den scheinbar unausweichlichen Mechanismen entziehen und zu freiem und rationalem Denken und Handeln fähig werden? Wo ist die Unterbrechung?

Es sei ausdrücklich gewürdigt, dass die öffentlich-rechtlichen in den letzten Tagen vor Kriegsausbruch eine Art Gegenöffentlichkeit aufgesucht haben. Sie haben die Bürger nach ihren Fragestellungen befragt und damit ganze Sendungen bestritten.

Verfassungswidrig

Und sie haben seit 2001 einen Vertrag mit dem freien arabischen Sender Al Jazeera, der mit seinem arabischen Blick auf die Vorgänge eine Unterbrechung unseres weißen, westlichen Informationsmonopols gewährleistet.

Aber dennoch sei die Frage erlaubt: Haben uns die Fernsehanstalten nachdenklich und nachdrücklich auf diesen angekündigten Krieg vorbereitet? Haben Sie uns erklärt, was wir wissen müssen, bei diesem Krieg, der die gesamte Weltordnung verändern könnte? Was haben die Fernsehanstalten an nachhaltiger politischer Aufklärung geleistet, als dieser Krieg eigentlich anfing? Was haben die Kulturredaktionen und die politischen Redakteure getan, als George W. Bush die Ziele eines Krieges neu definierte und öffentlich den Präventivkrieg als neue Militärdoktrin einführte?

Warum haben wir uns in „Berlin Mitte“ oder bei „Christiansen“ damals nicht mit den einschlägigen Botschaftern und Militärs und Juristen unterhalten, und vor allem: Warum gibt es denn in unserem Land inzwischen so verschwiemelte Vorstellungen darüber, was eigentlich im Deutschen Grundgesetz zum Thema „Krieg“ steht. Da steht nämlich in Artikel 26: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig“.

Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ist es, zu bilden und aufzuklären über die täglichen verbalen Absonderungen und parteipolitischen Scharmützel von Politikern hinaus. Die Frage rund um diesen Krieg war in Deutschland nicht: Schröder oder Merkel. Die Frage war: Verfassung oder nicht.

Der Präventivkrieg ist ein Quantensprung nicht nur für Kirchen und Gewerkschaften, sondern auch für das Selbstbewusstsein westlicher Militärs – zumindest in Europa. Das war, soweit ich es überblicke, dem deutschen Fernsehen öffentlich-rechtlicher Couleur einfach kein größeres Thema. Als der britische Außenminister davon sprach, Großbritannien würde nicht zögern, auch Atombomben einzusetzen, hat es den Radiohörer und Fernsehzuschauer vom Stuhl gerissen, die politischen Redaktionen offenbar nicht. Eine Meldung, mehr nicht. Ein europäischer Außenminister redet vom Einsatz von Atombomben, und es wird bei uns lediglich vermeldet. Kühl. Unberührt. Unaufgeregt. Achselzuckend.

Selbstbewusst fragen

Auch die Massendemonstrationen in Deutschland. In Europa. Sie waren im Vorfeld diese Krieges den politischen Redaktionen keine Spezialsendung wert.

Wir sind ein vereinigtes Deutschland. Unter uns leben Menschen, die haben Kopf und Kragen riskiert, um ihre Diktatur in der DDR mit friedlichen Mitteln abzuschaffen. Die sind mit der chinesischen Angst im Bauch auf die Straße gegangen – gegen die Willkür der Diktatur. Heute kommen sie im deutschen Fernsehen zu dieser Frage kaum zu Wort. Wir haben Journalisten nötig, die selbstbewußt den Überblick behalten und Fragen stellen über den Tag hinaus, die nicht den Sachzwängen erliegen und vor der scheinbaren Macht des scheinbar Faktischen in die Knie gehen.

Johanna Haberer ist Professorin für Christliche Publizistik an der theologischen Fakultät der Uni Erlangen.

Webadressen

www.Journalismus.com

www.heise.de

www.attac.de/globkrieg/

www.wirgegenkrieg.de

www.jugend-gegen-krieg.org/

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