Über seltsame Karrieren und Bekanntschaften im Journalismus
Was eigentlich muss einer können, um Chefkorrespondent eines öffentlich-rechtlichen Senders zu werden? Darüber wird in den Funkhäusern lebhaft debattiert, seit MDR-Chefkorrespondent Georg Schmolz seinen ersten Kommentar für die „Tagesthemen“ verfasst hat. Nun ist Schmolz alles andere als ein journalistischer Anfänger. Bevor er zum Chefkorrespondenten beim Mitteldeutschen Rundfunk avancierte, war er immerhin Chefredakteur des deutsch-französischen Kooperationssenders Arte. „Könnten bei einer solchen Karriere“, fragt SZ-Autor Herbert Riehl-Heyse bange, „dieselben Mechanismen eine Rolle spielen, die im Programm manchmal das Qualitätsbewusstsein beseitigen, aus lauter Rücksicht auf Proporz und Empfindlichkeiten – von Anstalten, von Hierarchen?“
Der kleinkarierte Proporz in der großen ARD-Senderfamilie produziert beim „Tagesthemen“-Kommentar übers Jahr nicht nur allerlei laue Einlassungen zu Gott und der Welt. Die schwerfällige Proporz-Maschinerie gebiert eben auch manch hübschen Flop. So forderte der schneidige ARD-Politik-Koordinator Hartmut von der Tann den Abgang des CDU-Lügners Manfred Kanther in der Partei-Spendenaffäre, als der Hesse sein Bundestagsmandat längst niedergelegt hatte. „Tagesthemen“-Moderator Ulrich Wickert schließlich distanzierte sich („gibt wohlgemerkt nicht die Meinung der ,Tagesthemen‘ wieder“) von dem verunglückten Schmolz-Kommentar zu der gescheiterten Ausstellung von Kriegszeichnungen des Lothar Günther Buchheim in Chemnitz – da war das missratene Werk bereits meinungsfrei. Die ersten vier Sätze mit dem verqueren Schmolz-Credo waren vor der Ausstrahlung des Kommentars vom Sendeband einfach abgeschnitten worden.
Mit seltsam viel Samt auf der Zunge hatten „Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust und zwei seiner Redakteure Boris Becker nach dem hässlichen Scheidungskrieg ins Verhör genommen. Vor lauter Lampenfieber bei dem Exclusiv-Treff mit dem Tennis-Dino in einem Münchner Gourmet-Tempel, waren die harten Hamburger Rechercheure offenbar ganz weich geworden und hingeschmolzen vor ihrer „Kultfigur“. Die Herren hatten so nett miteinander geplauscht, dass dem Journalisten-Trio glatt die Frage entfallen war, warum Becker, „der ewige Rebell“, derzeit soviel Stress mit den Steuerbehörden hat – ein typisches „Spiegel“-Thema eigentlich.
Stattdessen breitet sich der alternde Tennis-Star auf gleich neun Magazin-Seiten über sein kleinbürgerliches Leben aus: „Ich war froh, ich konnte in Ruhe ins Büro und am Wochenende zu Bayern München, und einmal in der Woche sind wir ausgegangen.“ Eine Begründung für die merkwürdige Becker-Mania in dem Enthüllungsblatt liefern die Magazin-Macher ihrer verstörten Leserschaft in einer dem Interview vorangestellten Geschichte, die nach purer PR riecht: „Weshalb Boris Becker immer noch Kult ist.“ Autor der Story ist Klaus Brinkbäumer, der – wie es in der „Hausmitteilung“ des „Spiegel“ harmlos heißt, Becker aus seiner Zeit als Sportredakteur „gut kennt“. Womöglich zu gut.
Im Gefolge der Regierungskrise in Sachsen wird zunehmend bekannt, wie König Kurt dort mit dem journalistischen Fußvolk umspringt. Einen schönen Einblick in die medialen Rituale am Hofe Kurt Biedenkopfs gewährt uns der Dresdner SZ-Korrespondent Jens Schneider: „Schräg gegenüber den Resten der historischen Altstadt, der Baustelle der Frauenkirche und der Semper-Oper residiert der Regierungschef in einer feinen Staatskanzlei, auf deren Dach weit sichtbar eine vergoldete Krone prangt. Hier soll es vornehm zugehen. Dazu gehört, dass der Ministerpräsident sich rar macht bei Journalisten. Wenn es zu Gesprächen kommt, legt er streng fest, wonach gefragt werden darf. Wer von der Linie abweicht, erfährt strenge Tagel. Oft korrigiert der Professor schon die Fragen Gehe nicht zu deinem Fürst, wenn du nicht gerufen wirst.
Eine journalistische Zwei-Klassengesellschaft wird gerade in der Fußball-Bundesliga eingeführt. Nach dem Schlusspfiff haben künftig nur jene Journalisten Zugriff auf Spieler und Trainer, deren Sender die millionenschweren Übertragungsrechte besitzen. Der Club sei verpflichtet, ließ der Hamburger SV jetzt die Berichterstatter wissen, „den Fernseh-Verwertern Priorität einzuräumen“. Von der gemeinen Journaille dürften künftig in der sogenannten Mixed-Zone zwischen Spielfeldrand und Kabine nurmehr jene Spieler angesprochen werden, „die nicht den TV-Anstalten zur Verfügung stehen müssen“. Im Klartext: die begehrten Torjäger und Matchwinner gehören den Rechteinhabern, die übrigen Berichterstatter können sich mit den Ersatzspielern und Rekonvaleszenten abgeben. „Wenn das Prinzip Pay-per-view irgenwann greift, bezahlen Journalisten sogar für die Information, was überhaupt im Spiel passiert ist“, befürchtet der erfahrene Sportjournalist Hans-Josef Justen von der „Westdeutschen Zeitung“.
Dabei liegt der Nachrichtenwert der stereotypen Stehsätze, die die Fußballer nach Spielschluss in die Mikrophone absondern, nahe Null. Ein aktuelle Studie des Lehrstuhls für Sport, Medien und Kommunikation der Technischen Universität München kommt zu dem Ergebnis, dass „das sportjournalistische Interview im Fernsehen“ durchsetzt sei von „Phrasen, Floskeln und Belanglosigkeiten“. Die Auswertung von 1400 Fragen und 1256 Antworten zeigte nach Auffassung der Wissenschaftler: „Kein Thema, viele Meinungen!“
Die Gründe für die heiße Luft im Sportinterview sieht der Münchner Medienwissenschaftler Michael Schaffrath darin, dass es vielen Journalisten „an Fachkompetenz wie an Phantasie“ mangele. „Die Fähigkeit des aktiven Zuhörens geht sukzessive verloren“, moniert Schaffrath, „zu selten werden Widersprüche aufgedeckt oder auf die Nicht-Beantwortung journalistisch, also nachfragend reagiert.“ Häufig schmeicheln sich Sportreporter bei Spielern und Trainer nach dem Strickmuster des „Premiere“-Kommentators Fritz von Thurn und Taxis ein: „Ich hatte das Gefühl, dass Sie ein gutes Gefühl hatten, Jürgen Röber?“ – Noch Fragen?