Medienleute schützen, nicht verteufeln

Während der Protestdemo gegen die staatliche Corona-Politik am 20. März 2021 in der Kasseler Innenstadt kam es erneut zu Gewalt gegen Medienvertreter. Dieser Fotograf war von einem Gegendemonstranten angegriffen worden. Kollegen kümmern sich um ihn. Foto: AFP/ Armando Babani

Als völlig geschichtsvergessen bezeichnet die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Hessen den Aufruf aus dem Umfeld der sogenannten Querdenker, am Sonntag in Frankfurt am Main gegen die „gleichgeschalteten Medien“ zu demonstrieren. Von der Polizei werde erwartet, dass sie Journalist*innen vor Übergriffen schützt, betonen auch die öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse.

„Eine Gleichschaltung der Presse, des Rundfunks und des gesamten öffentlichen Lebens ist ein Kennzeichen von Diktaturen, insbesondere der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in Deutschland bis 1945“, sagt Manfred Moos von ver.di Hessen. „Davon sind wir zum Glück weit entfernt“. Gerade aus der Erfahrung der Nazi-Diktatur sei nach dem Krieg in der Bundesrepublik der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinen dezentralen Strukturen und einem klaren gesetzlichen Auftrag zur unabhängigen Berichterstattung entstanden. „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist deshalb kein Regierungsfunk, sondern Sache der Allgemeinheit. Im Gesetz über den Hessischen Rundfunk ist dies verbindlich geregelt“, unterstreicht Moos. Die Unterstellung einer systematischen Gleichschaltung und politischen Steuerung und Zensur sei nicht nur falsch, sondern gefährde das Vertrauen in alle Medien.

In der dju sowie beim ver.di-Senderband Hessischer Rundfunk seien Journalistinnen und Journalisten aus allen Mediengattungen organisiert. Sie machten ihre Arbeit in den Redaktionen der Printmedien, der Rundfunk- und Onlinemedien selbstbewusst nach professionellen Standards. Der Vorwurf, sie würden nicht wahrheitsgemäß berichten, wie in dem Aufruf zur Demonstration unterstellt wird, gehe an der Wahrheit und an der Realität vorbei und diffamiere die Arbeit aller Journalistinnen und Journalisten, heißt es in einer ver.di-Pressemitteilung.

„Wir stehen hinter unseren Kolleginnen und Kollegen und hoffen, dass es nicht wie bei ähnlichen Veranstaltungen in Kassel und Stuttgart zu tätlichen Angriffen auf Medienvertreter*innen durch ‚Querdenker‘ kommt“, erklärt Manfred Moos. Wer zu Gewalt gegen Medienvertreter*innen greife, habe sich offenkundig aus dem Rechtsstaat verabschiedet. Die dju erwarte deshalb, dass die Polizei ihrem Auftrag nachkomme und am 11. April Journalistinnen und Journalisten, Fotograf*innen und Kameraleute vor Übergriffen schütze.

Steinwürfe sind kein Berufsrisiko

Auch die Redakteure öffentlich-rechtlicher Sender haben Sicherheitsbehörden und Politik aufgefordert, Reporter auf Demonstrationen besser zu schützen. „Die Aggression und auch die Zahl der Übergriffe auf Reporterteams bei Demonstrationen und anderen Einsätzen steigen“, erklärte die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (Agra) gestern. „Das können wir nicht weiter hinnehmen. Jeder Übergriff ist auch ein Angriff auf die Presse- und Rundfunkfreiheit.“

In einem Brief an die Innen- und Justizministerien von Bund und Ländern äußerten die Redakteur*innen Sorge um die Sicherheit von Kolleginnen und Kollegen auf Demonstrationen. Journalisten würden massiv beschimpft und bedrängt sowie teilweise körperlich angegriffen und verletzt, heißt es in dem Schreiben. Einige Reportage-Teams könnten schon länger ihre Arbeit nur unter dem Schutz privater Sicherheitsfirmen verrichten. Zuletzt seien Reporter während einer Live-Fernseh-Schalte in Stuttgart mit Steinen beworfen worden. „Das können und wollen wir nicht als mögliches Berufsrisiko hinnehmen“, erklärten die Agra-Vertreter.

Die öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse sind aus gewählten Vertretern der Redakteur*innen der Sender ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutsche Welle gebildet. Sie setzen sich für die innere und äußere Pressefreiheit ein.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Filmtipp: Die Saat des Heiligen Feigenbaums

Die Alten hüten die Asche, die Jungen schüren das Feuer. Konflikte zwischen den Generationen sind vermutlich so alt wie die Geschichte der Menschheit. Zumindest im Westen haben die im Rückblick als „68er-Bewegung“ zusammengefassten Proteste für tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungen gesorgt. Angesichts des Klimawandels könnte sich das Phänomen wiederholen. Mohammad Rasoulofs Familiendrama, deutscher „Oscar“-Kandidat, beschreibt anhand der Demonstrationen im Iran, wie sich die Alten wehren.
mehr »

Die Zukunft der Filmförderung

In der morgigen Plenarsitzung des Bundestages wird über die Zukunft der deutschen Filmwirtschaft entschieden, der vom Bundestagsausschuss für Kultur und Medien beschlossene Gesetzentwurf zum Filmfördergesetz (FFG) steht zur Abstimmung auf der Tagesordnung. ver.di begrüßt eine Reform der Filmförderung, denn in Zukunft müssen Filmproduktionen Tarif- und Urheber-Vergütungen verbindlich einhalten.
mehr »

KI-Lösungen: Heise macht es selbst

Das Medienhaus „Heise Medien“ hat kürzlich das auf generative Künstliche Intelligenz (KI) spezialisierte Medienhaus „Deep Content“ (digitale Magazine „Mixed“ und „The Decoder“) aus Leipzig gekauft. Damit will Heise die Zukunft generativer KI mitgestalten. „Deep Content“ entwickelte mit „DC I/O“ ein professionelles KI-gestütztes Workflow-Framework für Content-Teams und Redaktionen. Bereits seit Juni dieses Jahres kooperiert Heise mit „Deep Content“ bei der Produktion des Podcasts „KI-Update“. Hinter der Übernahme steckt die Idee, den neuen Markt weiter zu erschließen und hohe Gewinne einzufahren.
mehr »