Eine Antwort auf die Frage: Gibt es einen weiblichen Journalismus?
„Verändern Frauen den Journalismus?“ Dieser Frage ist inzwischen in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen nachgegangen worden. Auch eine neuere Studie zu Frauen in Führungspositionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat versucht, Licht ins Dunkel der schwer nachzuweisenden Vermutungen zu bringen. Das Ergebnis: die Entwicklung hat die Frage überholt.
1975, im Jahre der Frau, geriet mit der Küchenhoff-Studie und ihren Nachfolge-Untersuchungen die ausgesprochen kritikwürdige Darstellung von Frauen in den Medien in den Blick. Frauen waren in den klassischen Medien kaum präsent und tauchten zudem nur in wenigen stereotypen Rollen auf, die ihre zweitrangige gesellschaftliche Stellung festklopften. Doch nicht nur das Vorkommen von Frauen in Sendungen und journalistischen Texten bot Anlass zu Kritik. Die Themen, die Frauen aufgrund ihres Lebenszusammenhanges vielleicht besonders interessieren, sowie die andere Perspektive, die sie auf Ereignisse werfen könnten, schienen in den klassischen Medien zu kurz zu kommen. Zu diesem Zeitpunkt lag der Anteil der Frauen unter den Journalist/-innen noch bei knapp einem Viertel. Daher äußerten Journalistinnen und Kommunikationswissenschaftlerinnen die Hoffnung, dass mehr schreibende Frauen nicht nur die Darstellung ihrer Geschlechtsgenossinnen in den Medien verbessern würden, sondern auch das Standardrepertoire an der Auswahl von Themen und Informationen sowie die Darstellungsformen verändern könnten. Diese These konnte bislang jedoch nicht durch empirische Ergebnisse gestützt werden. Das Gros der Journalistinnen arbeitet nämlich genauso wie ihre männlichen Kollegen. Nur vereinzelt konnten unterschiedliche Orientierungen, etwa bei der Berufsmotivation, festgestellt werden. Grundsätzlich verschiedene Herangehensweisen von Frauen und Männern im Journalismus waren nicht nachzuweisen. Als Ursachen hierfür wurden die organisatorischen und institutionellen Bedingungen des Mediensystems mit seinen gewachsenen Arbeitsstandards ausgemacht, wie zum Beispiel die Vorgehensweise bei der Wahl der Themen nach der Aktualität und anderen Nachrichtenfaktoren. Dieses erlernen und erfahren natürlich auch Frauen während ihrer Ausbildung und journalistischen Arbeit. Daraus folgte, dass allein von einer steigenden Anzahl von Journalistinnen weder ein „weiblicherer Journalismus“ noch eine grundlegende Veränderung in der Darstellung von Frauen zu erwarten war.
Weibliche Impulse?
Insbesondere in den letzten zehn Jahren hat sich jedoch etwas verändert beim Thema „Frauen und Medien“. Präsent auf dem Bildschirm sind Frauen allemal. Auch die Bilder, die das Fernsehen transportiert, sind vielfältiger geworden: wir sehen heute Frauen, die ein Leben lang berufstätig sind, ältere Frauen, die Hauptrollen spielen, weibliche Siegertypen wie Bella Block (Hannelore Hoger) und Rosa Roth (Iris Berben). Auch hinter den Kulissen hat sich etwas getan: Frauen arbeiten heute selbstverständlich in den Ressorts Wirtschaft und Politik – der Sport ist als letzte Männerbastion hier die Ausnahme – und schließlich: Frauen haben zunehmend Führungspositionen erobert. Dies gilt auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Betrachtet man die Positionen der Chefredakteur/-innen, Hauptabteilungsleiter-/innen und Direktor/-innen, so ist ihr Anteil seit Anfang der 90er Jahre von gut 2 auf heute gut 18 Prozent gestiegen (vgl. Tabelle). Nun sitzen Frauen also in den Positionen, von denen aus Ressort- und Arbeitsstrukturen sowie die Themenauswahl in den Redaktionen bestimmt werden können. Nun haben sie Vorbildfunktion und sind für die berufliche Entwicklung jüngerer Kollegen und Kolleginnen mit verantwortlich. Da drängt sich erneut die Frage auf, ob von diesen Medienmanagerinnen neue Impulse für die Arbeit in Medienbetrieben sowie für die vermittelten Inhalte ausgehen. Und: Nutzen sie ihren Handlungsspielraum und ihre Definitionsmacht auch für eine angemessenere Darstellung von Frauen?
Befragt nach den Zielen ihrer Programmgestaltung ist es den Inhaberinnen der Führungspositionen durchaus wichtig, sich mit ihren Sendungen von der herkömmlichen Berichterstattung abzusetzen. Sie wollen gesellschaftliche Entwicklungen nicht nur begleiten, sondern auch beeinflussen. Einigen reicht es nicht, Informationen zu vermitteln, sie wollen sie darüber hinaus einordnen und bewerten. Ihnen liegt die Darstellung von Alltäglichkeit am Herzen, ebenso wie eine intensive Bezugnahme auf das Publikum. Besonderes Augenmerk richten die Chefredakteurinnen, Hauptabteilungsleiterinnen und Direktorinnen darauf, dass immer wieder neue Sichtweisen entdeckt werden und ressortübergreifend gearbeitet wird.
Klassischen Frauenthemen stehen die Führungsfrauen eher distanziert gegenüber, so dass von ihnen fast genauso wenig wie von ihren männlichen Kollegen erwartet werden kann, dass sie Frauenredaktionen einrichten oder etwa ein Ressort Geschlechterverhältnisse installieren. Andererseits ist etwa die Hälfte der Inhaberinnen von Spitzenpositionen darum bemüht, Frauen die Chance zu geben, zu Wort zu kommen. Sie versuchen zum Beispiel, verstärkt Autorinnen für Themen zu gewinnen und Herangehensweisen an Themen zu motivieren, die die Erfahrungen von Frauen aufnehmen. Die parallel befragten Mitarbeiterinnen ergänzen, dass einige Chefinnen die mangelnde Präsenz von Frauen auch in Sitzungen thematisieren und die Kolleginnen und Kollegen dazu anhalten, diese verstärkt zu berücksichtigen.
Nicht eindeutig geklärt werden kann allerdings, ob wirklich das „Frausein“ ausschlaggebend für die geäußerten Ziele und Kriterien der Programmgestaltung ist. Chefredakteur/-innen haben unabhängig vom Geschlecht ein etwas idealistischeres berufliches Selbstbild als das Gros der Journalist/-innen. Und zum Beispiel die bei den Frauen zu konstatierende intensive Bezugnahme auf die Interessen des Publikums wird im Journalismus zukünftig grundsätzlich eine größere Rolle spielen. Auch kommerzielle Interessen bei der Suche nach neuen Zielgruppen führen zu einer stärkeren Orientierung am Publikum. Der von den Befragten geäußerte Anspruch, Informationen zu bewerten, erscheint ebenfalls nicht gerade als Kontrastprogramm zur gängigen Berichterstattung. Schließlich ist das von den Frauen so hoch gehaltene ressortübergreifende Arbeiten in manchen Funkhäusern notwendige Konsequenz aus Einsparmaßnahmen, die dazu führen, dass Ressorts zusammengelegt werden.
Mehr Alltagsnähe
Vergleicht man die Kriterien, die die befragten Frauen für ihre Programmgestaltung formulieren, jedoch mit anderen empirischen Befunden, so lassen sich einige Gemeinsamkeiten erkennen. Zu einem solchen Vergleich eignet sich vor allem eine internationale Studie der Kommunikationswissenschaftlerin und Journalistin Margret Lünenborg (1997), die sich mit der Bedeutung frauenpolitischer Berichterstattung für eine Umdeutung und Neuorientierung journalistischer Standards und Routinen beschäftigt hat.
Bei den befragten Journalistinnen wurde ebenfalls die Orientierung am Publikum deutlich, wenn sie die Auswahl und Darstellung von Themen an den Fragen ausrichten wollen, die die Menschen beschäftigen und die ihnen Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Lünenborg arbeitet anhand ihrer Interviews für einen Journalismus mit frauenpolitischem Anspruch die Kriterien Alltagsnähe und Authentizität heraus, die von den Frauen in Führungspositionen ebenso genannt werden und mit einer Distanzierung von Expert/-innenwissen einhergehen. Der Anspruch, ressortübergreifend zu arbeiten, um Hintergründe und Konsequenzen von Ereignissen in den Blick zu bekommen und sie besser einordnen zu können, wird gleichfalls in beiden Untersuchungen deutlich. Die von Lünenborg auf der Grundlage der Interviews mit den Journalistinnen in vier europäischen Ländern neu formulierten Nachrichtenfaktoren Prozesshaftigkeit und Kontextgebundenheit korrespondieren mit dem Anliegen, über Ressortgrenzen hinweg zu arbeiten.
Bei der Frage, wie Frauen in der Berichterstattung berücksichtigt werden sollten, ergeben sich ebenfalls Gemeinsamkeiten zwischen frauenpolitisch berichtenden Journalistinnen und Inhaberinnen von Leitungsfunktionen. Der Thematisierung des Lebenszusammenhanges von Frauen messen die Befragten in beiden Studien weniger Bedeutung zu als der Option, den Sichtweisen von Frauen überall Raum zu geben.
Diese Überschneidungen zwischen Journalistinnen, die dezidiert eine frauenpolitische Berichterstattung verfolgen und solchen, die die Karriereleiter in den etablierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erklommen haben, sind natürlich interessant. Trotz der festzustellenden Gemeinsamkeiten ist allerdings zu konstatieren, dass im Gegensatz zu den frauenpolitisch arbeitenden Journalistinnen nur die Hälfte der Inhaberinnen von Leitungsfunktionen anstrebt, Frauen verstärkt im Programm zu berücksichtigen.
Wir stehen also vor einem äußert differenziertem Ergebnis. Auf der einen Seite entsprechen die Programmziele der Frauen weitgehend aktuellen Trends, die auf ökonomische Zwänge und gesellschaftliche Entwicklungen zurückzuführen sind. Sie können nicht einfach als „weibliche Programmgestaltung“ deklariert werden. Männliche Chefredakteure werden sie unter Umständen genauso verfolgen. Andererseits gibt es erstaunliche Übereinstimmungen in den Zielen, die sehr unterschiedliche Frauen in den Medien mit ihrer Berichterstattung verfolgen.
Andere Wertmaßstäbe
Wenn daher auch nach wie vor kein „weiblicher Journalismus“ ausgemacht werden kann, so erscheint es doch wichtig, dass viele Frauen gemeinsam ihre Wertmaßstäbe in journalistische Themenauswahl und Darstellungsweisen einbringen. Vieles spricht dafür, dass die gleichmäßige Besetzung aller hierarchischen Positionen mit Frauen dazu führt, dass sich ihre Vorstellungen journalistischen Arbeitens durchsetzen. Hierbei könnte es hilfreich sein, zwischen Frauen in unterschiedlichen Positionen und Ressorts in den Medienbetrieben den Austausch zu initiieren. Erfahrene Frauen könnten zudem jüngere fördern und als Vorbild für die Übernahme einer Leitungsposition fungieren. Derartige Bemühungen werden zurzeit bereits in Mentoring-Programmen verfolgt. Insbesondere könnten zwischen Frauen, die in einem Medienbetrieb in einer Frauenredaktion arbeiten, und solchen, die Leitungsfunktionen inne haben, Kontakte aufgebaut werden. Ziel muss sein, dass Frauen und Männer ausgestattet mit dem gleichen Handlungsspielraum und der gleichen Definitionsmacht in die Arena zur Aushandlung professioneller journalistischer Kriterien steigen. Spätestens dann ist die Frage nach einem weiblichen Journalismus eigentlich überholt.
Anteil der Frauen an Führungspositionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk: 1984 – 2001
Insgesamt | Männer | Prozent | Frauen | Prozent | |
1984 / 1985 | 166 | 165 | 99,4% | 1 | 0,6% |
1990 / 1991 | 188 | 184 | 97,8% | 4 | 2,2% |
1992 / 1993 | 198 | 185 | 93,2% | 13 | 6,8% |
1994 / 1995 | 167 | 153 | 91,6% | 14 | 8,4% |
1996 / 1997 | 171 | 150 | 87,7% | 21 | 12,3% |
1999 | ca. 170 | ca. 144 | ca. 84,7% | 26 | ca. 15,3% |
2001 | ca. 170 | ca. 139 | ca. 81,7% | 31 | ca. 18,3% |
Quelle: Internationale Handbücher für Hörfunk und Fernsehen, Zimpel, eigene Recherchen, eigene Berechnung