Modell-Versuch

„Qualitäts-Management“ fur Lokalredaktionen

Korrekturlesen, Blattkritik – die Qualitätskontrolle im Alltag funktioniert bestenfalls punktuell. Redaktionen, die mit System mehr Klasse als Masse produzieren wollen, könnten aus anderen Branchen lernen. „Qualitäts-Management“ lautet das Stichwort.

Die Debatte, was Qualität in der Zeitung denn eigentlich sei, steht zwar noch am Anfang. Die Forschung zu dem „in“-Thema boomt seit Beginn der 90er Jahre. Inzwischen scheint aber festzustehen, welche konkreten Güte-Merkmale ein qualitätsvoller Artikel im Idealfall aufweisen sollte. Anders formuliert:Was ein guter Artikel ist, läßt sich auch objektiv begründen. So hält der Dortmunder Journalistik-Professor Günther Rager die vier Dimensionen „Aktualität“, „Relevanz“, „Richtigkeit“ und „Vermittlung“ „für angemessen, um die Qualität journalistischer Produkte zu beschreiben und zu beurteilen“. Allerdings: Über die Ästhetik eines Beitrages sagen die eineinhalb Dutzend Güte-Merkmale, die in den genannten vier Dimensionen enthalten sind, noch gar nichts aus. Zudem dürfte klar sein, daß eine Qualitätszeitung mehr ist als die Summe einzelner Güte-Artikel.

Ohne Rücksicht auf diese Defizite fand Hans-Wolfgang Pfeifer, Vorsitzender der FAZ-Geschäftsführung, bereits während der 4. Dortmunder Medientage 1993 zum Thema „Qualität in der Zeitung“ deutliche Worte: „Ich fordere für die redaktionelle Arbeit nur das, was für jedes Industrieprodukt gefordert wird: Die Herstellung von Qualität und die Gewährleistung von Qualität. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“

Die Kernfrage lautet also:Wie läßt sich Qualität herstellen und dauerhaft verankern? Redaktionelles Management scheint das entscheidende Instrument zu sein, um den Produktionsprozeß umzusteuern. Gemeint ist ein umfassender und dauerhafter Vorgang, der alle Arbeitsprozesse in einer Redaktion umfaßt. Das folgende Modell versucht zu skizzieren, wie ein solcher Vorgang eingeführt, installiert und weiterentwickelt werden könnte.

Die sechs Strategie-Phasen sollen die Konturen einer neuen Produktionskultur andeuten:

Phase I: die Bestandsaufnahme. Die Redaktion überprüft zunächst ihre publizistischen Leistungen. Dabei sollte sie auch konkurrierende Medienangebote ins Kalkül ziehen. Bereits für die Bestandsaufnahme ist eine kritische Begleitung ratsam. Zum Beispiel durch Medienwissenschaftler und eine Auswahl von Lesern. Dieser „Beirat“ bietet die Chance, eine gewisse Betriebsblindheit der Redaktion zu korrigieren. Ideal wäre, wenn diese „Kontaktgruppe“ den Wandel des Blattes dauerhaft begleiten und damit bereichern würde.

Phase II: die Zielsetzung. Die Redaktion formuliert auf der Basis der Bestandsaufnahme eine Vision, schlichter gesagt: eine „Qualitätspolitik“ für die Zukunft. Die Grundsätze sind zugeschnitten a) auf das Medium (z.B. Lokalzeitung), b) die Leserschaft(en) und c) die journalistische Funktion des Blattes (z.B. investigativ, parteilich etc.). Die verabredeten Grundsätze gelten als verbindlich für alle Mitarbeiter der Redaktion.

Phase III: die Verankerung. Nun geht es darum, konkrete Qualitäts-Merkmale in den einschlägigen Produktionsphasen so zu verankern, daß sie zur Routine werden. Beispiel Recherche: Informationen werden (von einer verabredeten Relevanz an) grundsätzlich gegenrecherchiert, es kommen in der Regel Betroffene des Ereignisses zu Wort, der Journalist beantwortet die W-Fragen und legt seine Quellen nach allen Regeln der Profession offen. Auf diese Güte-Merkmale scheint übrigens das Publikum besonderen Wert zu legen. Das jedenfalls fand ein Forscher-Team des Instituts für Journalistik der Universität Dortmund 1992 heraus, als es über 100 Bürger einer Stadt nach deren Qualitätswünschen anhand von Test-Artikeln befragte.

Phase IV: die Sicherung. Nach Möglichkeit bilden sich Qualitäts-Teams in der Redaktion. Jede Gruppe verfolgt die Tagesproduktion mit Blick auf verabredete Güte-Kriterien. So wird arbeitsteilig gecheckt, ob alle vereinbarten Standards eingehalten werden. Schwachstellen sollte das Team benennen und Verbesserungsvorschläge unterbreiten. Eine spezielle Redaktionskonferenz, die den Wandel zur Qualitätszeitung begleiten sollte, diskutiert und beschließt die Maßnahmen. Für kleinere Redaktionen, die keine Teams bilden können, bietet sich ein Ombudsmann an. Dieser berufserfahrene und entsprechend geschulte Redakteur, der von der Chefredaktion nach Kräften unterstützt werden sollte, übernimmt die Aufgabe (ggf. für mehrere Redaktionen).

Phase V: die Optimierung. Die Redaktion baut ihr Qualitätskonzept nach und nach aus. Dazu nutzt sie die Erkenntnisse der Forschung (aus dem Beirat, externe Weiterbildungen etc.) und bezieht Anregungen aus der Leserschaft ein. Denn es zeigt sich bisher:Profis und Publikum haben oft unterschiedliche Vorstellungen von einem qualitätsvollen journalistischen Beitrag. Auch das fand das Forscher-Team der Uni Dortmund heraus.

Phase VI: die Profilierung.Greift das System der Güte-Sicherung, sollte das Qualitätsprofil des Blattes durch die Redaktion unterstrichen (z.B. „Tag der offenen Tür“) und den Verlag werblich herausgestellt werden. Warum nicht darüber reden, wenn die Zeitung ihren Lesern Gutes tut? Zum Beispiel: „Wir recherchieren unsere Nachrichten zweimal“, „Wir legen unsere Quellen offen“, „Wir informieren uns für Sie vor Ort“. Güte-Kriterien wie diese, die eigentlich nur zum Handwerk gehören, sprechen bereits für sich.

Dieses Sechs-Punkte-Konzept will die (schlummernden) Ansprüche des Publikums an das Produkt wecken, also die Qualität der Kontakte zur Zeitung verbessern. Vielleicht wäre es eine Chance, auch anspruchsvollere Leserschichten ans Blatt zu binden. Obendrein: Eine Qualitätszeitung kann sich auch betriebswirtschaftlich rechnen. Denn seit Jahren bröckeln Leserschaften weg.

Die Zeit drängt, nicht nur über die Zahl der Kontakte zwischen Produkt und Publikum nachzudenken, sondern mehr denn je über die Qualität der Kontakte.Sozusagen „nebenbei“ wird von der Qualitätsdebatte auch der Nachwuchs profitieren. Denn erst wenn feststeht, welche (Mindest-)Standards für die Profession verbindlich sind, können sie in der Ausbildung trainiert werden. Und das wiederum ist ein wichtiger Beitrag zur langfristigen Qualitätssicherung.


 

 

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