Nachtrag der Redaktion zu den Leserbriefen in Bezugnahme auf den Beitrag „Die doppelte Doku“

Nachtrag der Redaktion:

Die M-Redaktion steht nach wie vor inhaltlich zu dem Artikel in M 8 /2013 „Die Doppelte Doku – Verwicklungen von Mercedes-Benz in Diktatur-Verbrechen in Argentinien“, in dem letztlich die Handhabung von Auftragsproduktionen bzw. der Umgang mit freien Autoren durch den WDR kritisiert wird.

Der Autor hat das Thema über Monate bearbeitet und dabei nach Ansicht von M alle vorliegenden Materialien geprüft, einschließlich eines Vergleiches beider Filme. Im Beitrag kommen auch alle Seiten – ARD, WDR, tvschoenfilm – zu Wort.
Nach dem Erscheinen des M-Beitrags im Dezember erreichten die M-Redaktion mehrere Briefe aus Argentinien von Betroffenen. Sie berichteten über ihre Schicksale und bedankten sich für die Berichterstattung. Unter anderem schrieb uns Eduardo Fachal, der als Anwalt einige „Opfer des MBA in Argentinien“ vertritt. Er bestätigte, von tvschoenfilm angefragt worden zu sein und ihnen Material angeboten zu haben. Jedoch wollte er in dem WDR-Streifen nicht interviewt werden, zum einen, weil derzeit die Verfahren laufen, aber auch weil „alle ihre Fragen bereits in dem Film von Gaby Weber beantwortet wurden“.

Karin Wenk, verantwortliche Redakteurin

Briefe (per Mail) aus Argentinien zu dem Beitrag „Doppelte Doku“

WDR-Reportage zu Verwicklungen von Mercedes-Benz in Diktatur-Verbrechen in Argentinien in M 8 / 2014

Diese Schreiben erreichten die Redaktion Ende Dezember und Anfang Januar 2014 in spanischer Sprache. Wir haben sie übersetzen lassen.

Sehr geehrte Frau Wenk,

mein Name ist Elsa Pavón. Ich schreibe Ihnen aufgrund ihres Artikel zu einem neuen Film des Deutschen Fernsehens über Mercedes Benz Argentinien während der argentinischen Militärdiktatur. Meine Tochter Monica S. Grinspon de Logares wurde am 18. Mai 1978 entführt, zusammen mit ihrem Mann Claudio E. Logares und ihrem gemeinsamen, 23-monatigen Töchterchen Paula Eva. Sie wurden nach Buenos Aires gebracht, zur Brigade San Justo, wo der Polizeiunterkommissar Ruben Lavallén – einer der Folterer – sich Paula angeeignete und als seine eigene Tochter einschreiben ließ. Meine Tochter und ihr Mann sind bis heute verschwunden.
1978 wurde Lavallén zum Sicherheitschef der Mercedes Benz ernannt und ist aus dem Polizeidienst ausgeschieden.

Ich habe meine Enkelin gesucht und habe Lavallen aufgrund der Entführung von Paula gleich am ersten Tag der Rückkehr der Demokratie in Argentinien angezeigt. (…) Der Gentest hat erwiesen, dass Paula meine Enkelin ist und ich habe sie wiederbekommen.
Ich möchte mich kurz fassen, denn die Geschichte hat ja die Journalistin Gaby Weber bekannt gemacht. Sie hat auch Lavallén interviewt und ihn gezwungen, sich dem Wahrheitstribunal in La Plata zu stellen und auszusagen. Gaby war davon überzeugt, dass irgendwann ihre Kollegen ihre Arbeit veröffentlichen werden. Offensichtlich hat sie sich getäuscht, wie ich jetzt erfahren habe. Das deutsche Fernsehen hat einen anderen Dokumentarfilm über das Thema gebracht und ihre Arbeit benutzt. Vom Babyraub wurde darin nicht gesprochen. Ich halte das nicht für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Menschenrechten.

Vielen Dank und freundliche Grüße
Elsa Pavón

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Sehr geehrte Karin Wenk,
ich schreibe im Namen meiner Familie und mir, um Ihnen mitzuteilen, dass mein Vater Diego Eustaquio Nuñez, Facharbeiter bei Mercedes Benz Argentinien, am 13. August 1977 zusammen mit Kollegen entführt worden wurde und bis heute nicht mehr aufgetaucht ist. (…) Wir haben erfahren, dass Ihre Publikation M über unseren Fall und den neuen Film des deutschen Fernsehens berichtet hat. Wir bedauern, dass nicht der Dokumentarfilm von der Journalistin Gaby Weber gezeigt wurde, in dem meine Mutter über den Horror, den wir damals erlebt haben, berichtet hat. Dieser Film ist für uns sehr wichtig, um allen zu zeigen, was wir erdulden. Ich selbst bin bei der Organisation „Hijos“ (im Stadtviertel) La Matanza (von Buenos Aires) politisch aktiv, dort haben wir den Dokumentarfilm öffentlich vorgeführt. Und es hat mir und den anderen Familienangehörigen der Verschwundenen sehr viel Kraft für unser Engagement gegeben, die Zeugnisse der Beteiligten vorführen zu können.

Man hat mir gesagt, dass in dem neuen Film Leute auftauchen, die nichts mit unserem Schmerz, die wir einen geliebten Menschen verloren haben, zu tun haben und die sich heute als Menschenrechts-Aktivisten darstellen, Julio D. Alesandro und Hugo Crosato. Ich weiß sehr gut, um wen es sich bei diesen Personen handelt und möchte Ihnen sagen, dass sie niemals etwas mit unseren Verfahren zu tun hatten. Wo waren Sie denn, als sie unseren Vater und seine Kollegen verschleppten? Sie sind einfach weggegangen! Ich habe den beiden mehrfach gesagt, dass wir mit ihnen nichts zu tun haben wollen, weil sie sich um die Verschleppungen ihrer Kollegen nicht gekümmert haben. Wer hat darunter gelitten? Das waren wir, die Kinder, die Ehefrauen, die Geschwister, die Mütter, die Verwandten. Glauben Sie nicht auch, dass wir es sind, die ein Recht haben, über diesen Horror, unseren Schmerz und unser Verlangen nach Gerechtigkeit zu sprechen? Diese Leute sind Opportunisten und wollen sich mit unserer Geschichte und unseren Forderungen wichtig machen. Sie sind nicht einmal Kläger in den Verfahren.

Ich danke Ihnen für die Berichterstattung über unseren Fall und für Ihre Solidarität mit uns, den Opfern und grüße Sie herzlich aus Argentinien,

Silvia Graciela Nuñez
Tochter von Diego Nuñez, des 1977 verschwundenen Arbeiters von Mercedes Benz Argentina

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Sehr geehrte Frau Wenk,

ich schreibe Ihnen in meiner Eigenschaft als ehemaliges Mitglieder des Betriebsrates von Mercedes-Benz Argentina (MBA). Aus diesem Werk sind meine Betriebsratskollegen Esteban Reimer und Víctor Ventura verschleppt worden und bis heute nicht mehr aufgetaucht. Zurzeit arbeite ich beim Ombudsman der Stadt Buenos Aires. Außerdem bin ich Rechtsanwalt der Opfer von Mercedes Benz Argentina.
Ihre Zeitschrift M hat einen Artikel von Harald Neuber mit dem Titel “Die doppelte Doku” über die Verschwundenen von MBA veröffentlicht. Ich danke Ihnen für die Verbreitung des Themas, aber ich möchte zugleich einige konkrete Anmerkungen zu dem darin behandelten Dokumentarfilm machen.

Dieser neue Dokumentarfilm ist, denke ich, nicht nur ein Plagiat des Dokumentarfilms von Gaby Weber “Milagros no hay” (Wunder gibt es nicht), der in Argentinien mehrfach ausgezeichnet wurde, sondern:
er verfälscht die Beweise, die wir gegen die Firma haben. Die Ermittlungen sind in Argentinien nicht eingestellt, wie es darin heißt. Vielmehr haben wir mehrere offene Strafverfahren, zwei wegen der 14 verschwundenen Arbeiter und eines wegen der vermutlichen illegalen Aneignung und der Vertuschung der Identität von Personen. Letzteres betrifft den Raub von Babys von Diktaturgegnern in den siebziger Jahren. Man vermutet, dass dieses Verbrechen durch die Manager von Mercedes-Benz ausgeführt worden ist.

Es ist unwahr, dass die Firma die Namenslisten der Gewerkschafter der Repression übergeben musste, wie in der ausgestrahlten Dokumentation einige Leute behaupten, die während der Ereignisse gar nicht im Werk waren. Genau das Gegenteil war der Fall: Es war der Direktor von MBA, Dr. Rubén Pablo Cueva, der aus eigenem Antrieb zur Politische Abteilung der Bundespolizei ging und die Namen, Adressen und behaupteten Verbindungen zu Guerillagruppen überreichte. Dies geschah, als er die Entführung des Managers Heinz Metz anzeigte. Und es war der Manager Juan Ronaldo Tasselkraut, der die Adresse des Kollegen Diego Núñez der Einsatztruppe übergab, die aus der Fabrik später Hector Ratto verschleppte.
Es wird verschwiegen, dass der Kommissar Ruben Lavallén, Sicherheitschef im MBA-Werk in González Catán, wegen der Aneignung von Paula Logares, Kind einer Verschwundenen, verurteilt wurde. Stattdessen heißt es, dass er uns in der Fabrik mit “eiserner Faust” bedroht und gesagt habe, dass uns dasselbe wie den Verschwundenen passieren würde. Das stimmt so nicht. Uns war völlig klar, wer Lavallén war, deshalb hat ihm ja die Firma diese Anstellung als eine Art Belohnung gegeben. Und der Kollege Alfredo Martín hat seine Stimme als diejenige seines Folterers identifiziert. Ich könnte die Fehler des Films weiter aufzählen, möchte es aber bei den erwähnten belassen.

Ich hatte mich mit den Leuten von Tvschoenfilm getroffen und ihnen Material über das Verfahren angeboten. Aber ich wollte mich von ihnen nicht interviewen lassen. Diese Entscheidung hatte mehrere Gründe. Einer war, dass all ihre Fragen bereits in dem Dokumentarfilm von Gaby Weber beantwortet sind. Zudem hatten mich die Familienangehörigen der MBA-Opfer, die ich heute anwaltlich vertrete, darum gebeten. Ein dritter Grund war, dass ich fürchtete, dass meine Worte manipuliert werden würden. Nachdem ich den Film gesehen habe, weiß ich, dass ich richtig entschieden habe.

Ich grüße Sie herzlich,
Eduardo Fachal

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