Neoliberale „Druckstellen“ – medial verstärkt

Im ersten TV-Duell des US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes warf Donald Trump seiner Konkurrentin Hillary Clinton vor, weder über das „Looking“ noch das „Standing“ für diesen Job zu verfügen. Um in der neoliberalen Gesellschaft Erfolg zu haben, braucht man einen gesunden, schönen Körper, und das liegt in der Verantwortung jedes einzelnen. Diese systemkonforme Botschaft transportieren Medien – auch in Deutschland. Wie in Journalismus, Werbung und sozialen Medien Körperbilder gezeigt und ausgehandelt werden, wie gegen diskriminierende (Bild-)sprache protestiert werden kann – das thematisierte eine Tagung „Körperbilder – Körperpraktiken“ an der Uni Hamburg.

Die Londoner Professorin Rosalind Gill verdeutlichte, wie stark Körpernormierung und Optimierungsdruck wirken. 70 Prozent der Amerikaner nutzen inzwischen Selftracking-Apps zur Überwachung von Körpergewicht, Schlaf oder Stressresistenz. Zehntausende bestellen DNA-personalisierte Kosmetika oder messen ihre Oberschenkelweite mit Hilfe von Beauty-Apps. Angesprochen würden zwar zumeist junge Frauen unter 30 Jahren, aber dieser Druck auf Gesundheit und Schönheit sei inzwischen ein „allgemeines Phänomen“, so Gill.

Optimierungsdruck: „Forever young“

Selbstoptimierung wird auch von den „jungen Alten“ erwartet. Schließlich sollen sie länger arbeiten. Diesen Zusammenhang zwischen Körperbildern und gesellschaftspolitischem Kontext nahmen die Salzburger Forscherinnen Martina Thiele und Helena Atteneder unter die Lupe. Seit den 1990er Jahren werden Menschen zwischen 55 und 75 Jahren als „junge Alte“ bezeichnet. Als deutsche CDU-Familienministerin beförderte die Gerontologin Ursula Lehr damals die neuen Bilder von den aktiven Senior_innen, die defizitäre Vorstellungen von Alter wie Krankheit und Leistungseinschränkungen ablösten. In der Politik wurde im Kontext des demografischen Wandels über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit nachgedacht. Die Presse titelte „Arbeiten bis 70“. Die Werbung entdeckte die „jungen Alten“ als neue Zielgruppe.

Thiele und Atteneder analysierten Pressefotos und Anzeigenbilder, die im März 2015 und 2016 in österreichischen Zeitungen erschienen. Ergebnis: Zumeist werden ältere Prominente als agile Vorbilder präsentiert – wie etwa Entertainer Andy Borg oder Präsidentschaftskandidat Alexander Van der Bellen. An zweiter Stelle folgen Fotos zum Thema Arbeit und Rente, etwa von „jungen Alten“ als erfahrene und gefragte Mitarbeiter_innen im Betrieb. Am dritthäufigsten tauchen die „jungen Alten“ in der Produktwerbung auf – vom Treppenlift über Versicherung bis zur Lotterie. Wird „Altersarmut“ thematisiert, so dagegen zumeist im Kontext mit über 75jährigen Frauen. Fazit der Forscherinnen: Das Bild der „jungen Alten“ – fröhlich, aktiv, gut situiert – ist differenziert, aber nicht vielfältig, etwa hinsichtlich Ethnie oder Klassenzugehörigkeit. In Werbung und redaktionellen Beiträgen dominiert der gebildete Mittelstand – als ökonomische Ressource. Dieses kapitalismuskonforme Stereotyp wirke auch diskriminierend, indem es Druck auf die Selbstoptimierung der 55- bis 75-Jährigen ausübe.

Körpernormierung: „Schlankmacherkleid“ und Fat Fashion

Wichtige Plattform für die Aushandlung von Körperbildern ist das Internet – etwa mit Mode-Blogs. „Das Bild des mit selbstgemachten Kleidern bekleideten eigenen Körpers wird zu einem selbst kreierten Ideal“, sagte Modewissenschaftlerin Dagmar Venohr über Näh-Blogs der DIY (Do it yourself)-Szene. Hier geht es um Körperschema („Ich bin eine Birne“), Schnittmuster, Stoffe, das „Schlankmacherkleid“, aber auch darum, wie man den Kampf gegen die Ausbeutung von Textilarbeiterinnen unterstützen kann. Das Problem in diesen DIY-Blogs sei die Selbstvermarktung im neoliberalen Rahmen, der eine „neue Häuslichkeit“ befördere.

„Plus Size Blogs“ engagieren sich für mehr Körper-Vielfalt und hinterfragen ansatzweise gängige Körpernormen, so Modesoziologin Melanie Haller. Die Modebranche reagiere darauf – allerdings nur halbherzig. H&M biete jetzt z.B. auch Größe 44 an, aber nur im Internet. Stoff- und Schnittanbieter lassen von Näh-Nerds Probestücke anfertigen, so dass die Firmen nach den Erfahrungen der „Test-Kaninchen“ ihre eigenen Schnitte entsprechend ändern können. So findet eine Kommerzialisierung der Blogs statt. Während die Plus Size Blogs sich gegen ihre Marginalisierung im herrschenden Modesystem wehren, gehen Fat Fashion Blogs weiter und weigern sich, eine körperliche Normierung zu akzeptieren.

Diskurs-Interventionen: Humor und Provokation

Am Beispiel von #distractinglysexy , mit dem Wissenschaftlerinnen im Sommer 2015 auf sexistische Äußerungen des britischen Medizin-Nobelpreisträgers Tim Hunt reagierten, demonstrierten die Medienforscherinnen Cornelia Brantner, Katharina Lobinger und Miriam Stehling, wie „Meme“ in Diskurse intervenieren können. Meme sind digitale Bilder oder Filme, die von verschiedenen Usern geteilt, erzeugt und verändert werden. Die Forscherinnen analysierten die humorvollen und kreativen Meme unter dem Twitter Hashtag und ihren Einfluss auf Mainstream-Medien. Sie bewirkten zwar den Rücktritt von Tim Hunt, der als „Opfer“ stilisiert wurde, nicht aber ein Empowerment der Forscherinnen. Sie kamen kaum zu Wort, zumeist wurden ihre Memes abgebildet und übersetzt. Fazit: Bildgenres wie Memes, die für den Protest genutzt werden, können in sozialen Medien ermächtigend wirken, der Diskurs in den Mainstream-Medien verläuft aber ambivalent. Feministische Kritik an struktureller Benachteiligung von Frauen in der Wissenschaft wird kaum thematisiert, durch die humorvolle Bildsprache wird die politische Botschaft der Aktion kaum wahrgenommen.

Provokation scheint da erfolgreicher zu sein. Die Tübinger Kommunikationswissenschaftlerin Tanja Thomas zeigte am Beispiel der Berichterstattung über Geflüchtete, wie Empathie in Handlung überführt werden kann. Das Foto des vermeintlich ertrunkenen dreijährigen Aylan Kurdi rief Mitleid für Geflüchtete bei den Rezipient_innen hervor. Doch zum Handeln brachte sie die provozierende Aktion „Die Toten kommen“ des Berliner „Zentrums für politische Schönheit“, in der es um unsere Verantwortung für die Gefahren ging, denen sich Flüchtende aussetzen. „Das war ein emotionaler Zugang zum Thema“, so Thomas und am „Marsch der Entschlossenen“ im Juni 2015 beteiligten sich auch „andere Leute als diejenigen, die an politischen Demos teilnehmen.“

(Körper)-Bilder – ob visuell oder sprachlich – wirken und als Journalist_innen tragen auch wir Verantwortung, wenn sie durch unsere Rahmung „neoliberale Druckstellen“ verstärken. Sei es der Selbstoptimierungsdruck auf junge Frauen oder alte Politiker oder aber der Druck auf Geflüchtete infolge europäischer Abschottungspolitik.

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