Nicht länger unter dem Radar hindurch

So präsentiert sich das Video "Radikal getarnt" - Extremismus im Netz erkennen.
Foto: Screenshot www.br.de/sogehtmedien

Aufgabe für Schulen: Medienkompetenz hilft gegen Rechtsextremismus

Erwachsene gehen davon aus, dass Jugendliche besonders anfällig für Verlockungen aller Art sind: Nikotin, Alkohol, Drogen, Pornografie – und politischer Extremismus. Der beste Schutz gegen Verführungen aller Art ist Aufklärung. Bei Rauschmitteln gilt das schon seit Jahrzehnten. Angesichts von immer geschickter verpackten Lockangeboten extremistischer Gruppierungen in den „sozialen Medien“ setzt sich die Erkenntnis durch, dass Schulen auch in dieser Hinsicht aktiv werden müssen.

Jugendliche, sagt Maya Götz, „brauchen konkrete Medienkompetenz, die es ihnen ermöglicht, das Propagandamaterial zu entlarven“. Die Medienwissenschaftlerin ist Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI, München). Kinder und Jugendliche würden heutzutage „auf unterschiedliche Weise mit Extremismus und Rassismus konfrontiert.“ Oftmals fehle ihnen jedoch das Wissen, um die entsprechenden Inhalte zu hinterfragen. In einer Untersuchung der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) gaben 40 Prozent der Befragten im Alter von 14 bis 19 Jahren an, sie seien in letzter Zeit in Kontakt mit extremistischen Inhalten gekommen; fast 20 Prozent häufig oder sogar sehr häufig. Junge Menschen sind laut Götz besonders gefährdet, weil sie nach Identität suchen: „Sie wollen wissen, wie sie diese Welt zum Besseren verändert können. Also geben sie solchen Angeboten oftmals ein ‚like’, ohne zu ahnen, wer sich hinter dem Material verbirgt. Es besteht die Gefahr, dass sie auf diese Weise in eine Filterblase geraten, weil sie nun immer mehr propagandistische Informationen aus einer Denkrichtung erhalten und andere Meinungen scheinbar nicht mehr existieren; das kann zu einer Veränderung des Weltbilds und zur Radikalisierung führen.“

Kompetenzplattform im Unterricht nutzen

Dieser Entwicklung lässt sich jedoch vorbeugen; zum Beispiel mit einer Unterrichtseinheit von „So geht Medien“. Die Medienkompetenzplattform von ARD, ZDF und Deutschlandradio stellt Lehrern, Schülern und allen anderen Interessierten auf ihrer Website Material für politische Bildung und Medienkompetenz zur Verfügung; das Spektum reicht vom Entlarven von „Fake News“ über die Regeln des Urheberrechts bis zu Informationen über Journalismus und Medienberufe. Zum Thema Extremismus hat das Zentralinstitut in Zusammenarbeit mit der LMU eine gezielte Medienkompetenzeinheit entwickelt. Dazu gehört unter anderem ein Video, in dem die Journalistin Christina Wolf beschreibt, wie die entsprechenden Organisationen vorgehen. Auch erwachsene Internetnutzer können auf diese Weise lernen, dass sich die Botschaften gern hinter scheinbar harmlosen Beiträgen zu Themen aus den Bereichen Jugend, Lifestyle oder Mode verstecken; oft lassen sich nur anhand von Absendern wie #volk oder #ichbindeutsche Rückschlüsse auf die wahren Motive ziehen. Als Beispiel präsentiert Wolf den Beitrag „Natur stärkt das Gemeinschaftsgefühl“. Dahinter stecke die Facebook-Seite „Stacheldrahtzieher“, die den Nationalsozialismus verherrliche. Götz verweist auf „Medizin mit Herz“; hinter dem Namen verberge sich ein salafistischer Verein. Jugendliche müssten also nicht nur lernen, gezielt auf die Absender zu schauen, „sie müssen auch wissen, wo sie die Listen extremistischer Organisationen des Verfassungsschutzes finden“.

Diese „Unter dem Radar“-Strategie ist offenbar typisch: Viele Extremisten, heißt es im Video, gäben sich nett, sozial und sympathisch. Gerade rechtsradikale Organisationen arbeiten zudem gern mit professionell gemachten Rechtsrock-Videos. Da YouTube und Facebook so programmiert sind, dass man immer mehr vom Gleichen bekommt, kann sich rasch eine entsprechende Filterblase bilden. Da Facebook bei den meisten Jugendlichen mittlerweile „out“ ist, wird nun Instagram als bevorzugte Plattform genutzt, aber an der Methode hat sich nichts geändert. Wolf ruft die Nutzer daher auf, sich entsprechenden Kanälen und Absender zu „entfolgen“, extremistische Inhalte grundsätzlich nicht mit einem „like“ zu versehen und Diskriminierungen oder Gewaltaufrufe umgehend den jeweiligen Netzwerkbetreibern zu melden: „Seid wach und aufmerksam!“ Mit Hilfe der Unterrichtseinheit sollen die Schüler lernen, dass Extremisten jedweder Art die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie abwerten und ihre politischen Ziele notfalls auch mit Gewalt durchsetzen. In einem zweiten Schritt sollen sie mit Hilfe eigener Internetrecherche sowie entsprechender Arbeitsblätter die Strategien der extremistischen Akteure erkennen und einordnen.

Untersuchungsbefund: Die Hälfte ist „unbedarft“

 Das Hintergrundwissen für die Thematik liefert die Untersuchung „Verdeckter Extremismus, offener Hass?“, durchgeführt vom LMU-Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung. Knapp die Hälfte der jungen Menschen zwischen 14 und 19 Jahren wird in der Studie als „unbedarft“ eingestuft. Weil es ihnen an Interesse und Wissen mangele, besäßen sie gar nicht die Kompetenz, Extremismus zu erkennen. Als problematisch bewerten die Wissenschaftler die Gruppe der Gefährdeten (7 Prozent), die extremistische Inhalte unreflektiert in die Schublade „normale Politik“ einordneten. Die Forscher resümieren, es sei von großer Bedeutung, die allgemeine Politik- und Medienkompetenz zu fördern, um die Urteilsfähigkeit zu schärfen. Dazu gehört nach Ansicht von Projektleiter Carsten Reinemann auch „eine Normen- und Wertevermittlung für das gesellschaftliche Zusammenleben, um das Zugehörigkeitsgefühl Jugendlicher zu stärken“. Das umfasse neben Medienkompetenz und der „Fähigkeit zur Quellenkritik in alltäglichen Rezeptionssituationen“ auch ein grundsätzliches Interesse an Politik sowie die Kenntnis jener Werte, die die freiheitliche Grundordnung prägten; Jugendliche bräuchten ein Wertegerüst.

Für Maya Götz ist der Ort, an dem diese Wertevermittlung stattfinden soll, die Schule. Viele Lehrer sind allerdings jetzt schon bei Online-Themen überfordert. Die IZI-Leiterin nimmt sie trotzdem in die Pflicht: „Diskussionen zu aktuellen politischen Themen, Hintergrundwissen zur demokratischen Grundbildung und vor allem kritische Medienkompetenz im Umgang mit sozialen Netzwerken sollten selbstverständlicher Teil des Unterrichts sein.“

Extremismus im Netz ist auch Thema der IZI-Jahrestagung, die am 28. November im BR-Funkhaus in München stattfindet. Informationen unter http://www.izi.de.

 

 

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