Arme Landbevölkerung hat kaum Zugang zum World Wide Web
Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen sitzen nicht nur in China, sondern derzeit weltweit mindestens 63 Online-Dissidenten im Gefängnis. Im vergangenen Jahr wurden über 2.600 Internetseiten, Blogs und Diskussionsforen von staatlichen Behörden abgeschaltet oder gesperrt. Aber die Flut freier Informationen und Meinungsäußerungen im World Wide Web scheint nicht mehr zu stoppen zu sein.
Obwohl die Volksrepublik China zu den weltweit fast zwei Dutzend Ländern zählt, in denen das Internet massiv zensiert wird, erreichten die Bilder und Handy-Videos der aktuellen Tibet-Proteste die westliche Welt in Windeseile. Das Beispiel Tibet zeigt, dass die Behörden trotz immer ausgefeilterer Filter und IP-Blocking das virtuelle Informations-Katz-und-Maus-Spiel meist verlieren. Kein Wunder, dass das Internet vielen Politikern und Journalisten in der westlichen Welt längst als Zaubermedium zur Durchsetzung von Pressefreiheit und mehr Demokratie gilt.
Doch sieht man sich die Mediennutzung in Schwellen- und Entwicklungsländern genauer an, so weicht die Online-Euphorie relativer Ernüchterung. Die stellvertretende Chefredakteurin der indischen Tageszeitung The Hindu, Vidya Subrahmaniam, berichtet nicht von einem Internet-Hype, sondern von einem zuvor nie da gewesenen Boom klassischer Printmedien im wirtschaftlich erstarkenden Subkontinent. „In Indien wie auch in China gibt es eine ungeheure Nachfrage nach Zeitungen, aber auch Büchern. Ständig werden neue Blätter gegründet. Die Auflagensteigerungen sind enorm, bei manchen sogar im zweistelligen Prozentbereich. Davon können deutsche Blätter nur träumen“, berichtet die indische Journalistin, die für ihre tägliche Recherchearbeit das Internet natürlich genau so nutzt wie ihre Kollegen in Deutschland. Auch wenn Indien als neue Wirtschaftsmacht daher kommt, so profitiert von dem Aufschwung doch nur eine kleine Elite und Mittelschicht in den Städten. Der weitaus größte Teil der Bewohner gehört zur armen Landbevölkerung. Lediglich 3,7% der Inder verfügen über einen Internet-Zugang. „Das sind gerade mal 30 Millionen Menschen. Dann kommen vielleicht noch 20 Millionen Inder in der Diaspora hinzu, für die heimatliche Online-Medien eine wichtige Informationsquelle darstellen. Aber was sind schon 50 Millionen Menschen für Indien, ein Tropfen auf den Medienstein“, sagt Subrahmaniam. Sie kann sich auch gar nicht vorstellen, dass ihre Zeitung jemals ein Online-Medium wird, schließlich würde die Zeitung zu 80% aus gedruckten Anzeigen finanziert. Die Online-Ausgabe dagegen bringt so gut wie keine Einnahmen. Ihr Kollege Sankarshan Thakur des Online-Magazins tehelka.com bezweifelt zudem, dass der heutige Content in der Masse wirklich kritischen Journalismus enthält. „Das meiste ist Boulevard, Skandal-Storys, Dinner-Vorschläge, Cricket-Turniere, bunte Festbeschreibungen, Nonsens. Das ist frustrierend. Kritische indische Medien bewegen sich dagegen auch im Internet meist am Rande des Ruins“, beklagt Thakur.
Radio ist wichtigstes Medium
Das Internet ist in weiten Regionen der Welt immer noch ein Nischenmedium. Unbestreitbar ist und bleibt auf absehbare Zeit in den meisten armen Ländern der Welt das Radio das Informations- und Unterhaltungsmedium Nummer eins. Kein Wunder, Analphabeten können nicht lesen. Mit Batterien oder Dynamo lässt sich in jedem Dorf ein kleiner Weltempfänger speisen, höchstens noch ein Fernseher. Selbst wenn jemand sich ein Notebook leisten könnte, ohne funktionierendes Telefonnetz erhält er nie Anschluss an die weltweite community.
In Afrika etwa haben derzeit weniger als 5% Zugang zum Internet. Aber immerhin, während des Wahlkampfes in Kenia gab es rund 600 Blogs. Fast alle von ihnen wurden in englischer Sprache, von Diaspora-Kenianern verfasst. Was davon jedoch in die kenianische Öffentlichkeit drang, war nicht immer nur demokratiefördernd. „Viele Blogs waren sehr leidenschaftlich, ja fanatisch geschrieben, bis hin zu Todesdrohungen gegen den politischen Gegner. Am Beispiel Kenia kann man sehen, dass die so genannten Bürgerjournalisten für manche Mitbürger zu größten Bedrohung wurden“, berichtet Charles Onyango-Obbo, geschäftsführender Redakteur der kenianischen Nation Media Group. Dennoch erkennt er aber auch die Chancen des Internets, arbeitet er doch derzeit am Aufbau eines pan-afrikanischen Portals.
Mehr Online-Ausbildung
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ficht die Missbrauchbarkeit und bisher geringe Reichweite des Internets in Entwicklungsländern nicht an. Dort will man künftig verstärkt internationale Journalistenausbildungen für das virtuelle Netz unterstützen und finanzieren, unterstreicht der zuständige Referatsleiter Eduard Westreicher. Gerade der Online-Journalismus habe ein großes Potential, um etwa Menschenrechtsverletzungen quasi just in time öffentlich zu machen.
Auch Reporter ohne Grenzen setzt vermehrt auf das Internet als Motor für mehr Pressefreiheit. Gerade erst hat die Ständeorganisation ein 81 Seiten starkes „Handbuch für Blogger und Internet-Dissidenten“ veröffentlicht, natürlich auch als e-book-pdf-Datei (www.reporter-ohne-grenzen.de) weltweit abrufbar.