Online-Journalismus auf Konturensuche

Neue Medientechnologien und journalistisches Selbstverständnis

Das Anforderungsprofil für Journalisten ändert sich stetig. Einen einschneidenden Wandel gibt es jedoch nicht allzu häufig. Die Etablierung des Internet als neues Massenmedium ist ein solcher. Online-Journalismus ist als eigener Bereich neben Presse-, Radio- und Fernseh-Journalismus getreten. Die technologische Neuerung ergibt zusammen mit dem längst vorherrschenden Ökonomisierungsdruck in den Medien einen Mix, der nicht nur neue Chancen für die Journalistenzunft offenbart, sondern auch eine kritische Eingrenzung erfordert.

Eigentlich hat sich die unter dem Titel „New Economy“ firmierende Branche längst selbst überholt. Sie durchläuft heute eine brutale Reinigungskrise. Die „schöne neue Arbeitswelt“, so der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel, habe sich als Illusion erwiesen. Was bedeutet dies für den Journalismus, der sich diesem „Hoch“ angeschlossen hat und die neuen Techniken nutzen lernte? „Der Online-Journalismus befindet sich in der Rückzugsphase“, meint der Medienwissenschaftler Martin Löffelholz. Er arbeitet gerade an der ersten repräsentativen Studie über Online-Journalismus in Deutschland und sieht hauptsächlich das Problem darin, dass es „für die Refinanzierung keine Patentrezepte gibt“. Dies verstärkt sich in der momentan angespannten wirtschaftlichen Lage. Löffelholz spricht von einem „Dämpfer“, sieht im Online-Journalismus aber ein Wachstumsfeld, das sich „restrukturieren wird und zukunftsträchtig ist“.

Gerade die Refinanzierung der meist noch kostenlos im Netz erreichbaren Online-Produkte stellt die Journalisten in dieser Sparte vor ein entscheidendes Problem:

Marktstrategien wie E-Commerce, Content-Syndication und Cross-Media verwässern den eigentlichen beruflichen Auftrag. So werden als Redakteure ausgebildete Online-Journalisten schnell zu Content-Managern, was mit Inhalts-Verwaltern zu übersetzen wäre. Ohnehin ist der Online-Kollege stärker als der Redakteur in Print, TV und Radio Alleinkämpfer, bzw. muss Aufgaben anderer Berufe mit übernehmen. Das liegt an der Eigenart des Mediums Internet, denn in dem liegen Texte, Fotos, Ton- und Bewegbilddokumente als digitale Daten vor und werden beliebig zu einem multimedialen Gesamtprodukt kombiniert. Dabei fehlt oft die bewährte Arbeitsteilung traditioneller Berufe in den klassischen Medien – statt mit Layoutern, Fotografen, Cuttern, Kameraleuten, Ton- und Beleuchtungsexperten zusammen zu arbeiten, mutiert der Online-Journalist häufig zur sprichwörtlichen „eierlegenden Wollmilchsau“.

Dabei zeigt sich ein klarer Unterschied zwischen Internet-Ablegern klassischer Medienprodukte wie Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehprogrammen und Produkten, die eigenständige Online-Angebote oft von Branchenfremden sind. Mathias Müller von Blumencron, Chefredakteur von „Spiegel Online“, sieht eine klare Trennlinie zwischen „journalistischen Sites und Sites, die mit Journalismus nichts zu tun haben“. Er fordert von seinen Redakteuren noch die ehernen Grundsätze des Journalismus ein: saubere Recherche, verständige Schreibe und den Mächtigen auf die Finger schauen.

Trotz des Zeitdrucks genaue Analyse

Online-Journalismus ist tendenziell eher ein Redigier-, denn ein Recherchiergeschäft, Web-Reporter vor Ort gibt’s fast gar nicht. Der maßgebliche Unterschied zur Zeitung oder Zeitschrift liegt in den technischen Möglichkeiten, etwa der Schnelligkeit, der globalen Perspektive und des fehlenden Redaktionsschlusses. Anstelle einen bestimmten Platz zu einer bestimmten „Dead-Line“ zu füllen, rückt die von Minute zu Minute wechselnde Ereignislage in den Vordergrund. Die entscheidet, wann und wie oft die Seiten verändert werden.

Traditionell geprägte Internet-Medien, wie „Spiegel-Online“, legen trotz des permanenten Drucks zur Aktualität großen Wert auf die Analyse, was wiederum auf das Anforderungsprofil ihrer Redakteure niederschlägt. Für gute Produkte, meint nicht nur der Online-Ableger des berühmten Nachrichtenmagazins, wächst in der Branche die Anerkennung. So hat das Grimme Institut im letzten Jahr erstmals einen Online-Award ausgeschrieben und der Axel-Springer-Journalistenpreis ist mittlerweile auf das Internet ausgedehnt worden.

Selbst bei der Refinanzierung sieht Müller von Blumencron für sein Unternehmen den klassischen Werbesektor im Vordergrund, konkret: großflächige Werbebanner auf den Seiten, elektronische Beilagen und Sonderteile. Dem Verkauf von Inhalten an andere Unternehmen, genannt Content-Syndication, räumt er hingegen keine bedeutende Rolle ein. Auch wenn die Vermischung der Inhalte mit E-Commerce, also dem elektronischen Verkauf von Büchern, CD und DVD, Kleidung oder elektronischen Geräten per Mausklick, schon das journalistische Ethos begrenzt, ist es online nicht immer einfach zu unterscheiden, was eine externe Werbeseite ist und was ein in einen Artikel eingeflochtener Link zum käuflichen Glück.

Anders sieht das bei Newcomern bzw. speziellen Multimedia-Angeboten im Web wie beim Portal „Sport1“ aus. Unternehmenssprecher Thomas Medau sieht fünf wichtige Geschäftsfelder: „Der Verkauf von Werbung, Content-Vertrieb, Erstellung anderer Websites, E-Commerce, also die geschäftliche Transaktion, und die Integration von Spielen.“ Um die Inhalte zu optimieren arbeitet „Sport1“ mit Partnerunternehmen zusammen, dem Fernsehsender DSF und der Sat.1-Sendung „ran“. Ein typischer Fall von Cross-Media, damit das Internet-Portal einen Mehrwert bietet, der Nutzer anlockt. Für den Online-Redakteur bedeutet das eine Zunahme seiner Tätigkeiten, denn er muss Inhalte nicht nur für einen Verbreitungsweg – die „Sport1“-Webseiten – aufbereiten, sondern für mehrere: für andere Online-Dienste, für den Teletext der TV-Sender und neuerdings für den Mobilfunk.

Medau: „Die Struktur der Redaktion ist nicht nur an Ressorts gebunden, sondern auch an diese verschiedenen Plattformen.“ Da sich die Distributionsmöglichkeiten ständig ändern, ist ein neues Zauberwort entstanden, der sogenannte Workflow, ein permanenter Wandel des redaktionellen Arbeitsablaufes. Medau sieht hierin die „Anforderungen an einen modernen Sportjournalisten“, obwohl er einräumt, dass einige Redakteure gerne längere Geschichten recherchieren würden, was unter diesen Umständen nicht möglich ist. Oft werden Agenturmeldungen ohne großartige Bearbeitung ins Netz gestellt, im schlimmsten Fall Zitate verschiedener Zeitungen zu einem bestimmten Thema ohne Quellenverweis als Artikel präsentiert.

Während bei „Sport1“ allerdings das journalistische Produkt noch als Triebfeder gesehen wird, ist eine Menge vom Journalismus weit entfernter Angebote im Netz zu finden. In der Kommunikationsforschung werden diese durch Begriffe wie Parajournalismus (als Journalismus getarnte Laienarbeit) und pseudojournalistische Angebote (journalistisch daherkommende Unternehmens-PR) vom Online-Journalismus abgegrenzt.

Fließende Übergänge zur Werbung

Nach wie vor stehen einer Konturierung des Berufsfeldes diffuse Mechanismen entgegen. Neben der Technisierung und der Nutzung der multimedialen Eigenheit des neuen Mediums Internet sind auch die Übergänge zu Werbung und zu Public Relation fließender geworden. Umso dringender ist eine Eingrenzung des Berufsprofils und ein standardisiertes Ausbildungsmuster. Obwohl Gruner+Jahr seinen Ausbildungszweig Online-Journalismus zum Jahresende auslaufen ließ, ist die Branche insgesamt nach dem wirtschaftlichen Tief wieder optimistischer geworden. In Darmstadt lobte die Fachhochschule gar entgegen der zyklischen Schwankungen im Oktober 2001 einen Studiengang für Online-Journalismus aus. „Die Standardisierung von Ausbildung ist eine typische Form, um berufliche Muster festzuschreiben“, erklärt die Soziologin Kerstin Engels. Selbst der Deutsche Multimediaverband dmmv hat schon vor knapp anderthalb Jahren die Notwendigkeit der Professionalisierung der Branche erkannt. Er empfiehlt seinen Mitgliedsfirmen, die Ausbildung in einem Dutzend Berufen in vier großen Tätigkeitsfeldern voran zu treiben: Inhalteproduktion, Gestaltung, Technik (Hard-/ Software) und Vertrieb / Werbung / Management.

„Wer in unserer Online-Redaktion arbeiten will, muss zuallererst ein guter Journalist sein. Er sollte multimedial denken können und ein medienübergreifendes, technisches Know-how besitzen“, so Rainer Tief, Leiter der Hauptabteilung Multimedia des Bayrischen Rundfunk. ARD-Vorsitzender Fritz Pleitgen sieht im Online-Journalismus gar ein Wachstumsfeld, warnt aber in einem Gespräch im Alpha-Forum von „br-online“: „Das Internet hat aus meiner Sicht eine große Zukunft. Ich werde aber alles unternehmen, damit wir nicht in die Gefahr geraten, zu sehr in Richtung E-Commerce abzugleiten.“ Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaften der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erinnert an die mahnenden Worte seiner Kollegen von der „New York Times“, die meinten: „So etwas kann die publizistische Unabhängigkeit gefährden.“

Doch Pleitgen & Co. müssen auch aus einem anderen Grund besonders vorsichtig sein: Schließlich bekommen sie die Milliarden der Gebührenzahler nicht für E-Commerce … Das ist eher das Geschäft der Privatsender und anderer kommerzieller Medien. Der neueste Trend ist die wirtschaftliche Verflechtung bzw. der Zusammenschluss von journalistischen Plattformen mit Medien- und Kommunikationsimperien modernster Ausprägung. Das bekannteste Beispiel ist sicherlich die Fusion von AOL und Time Warner in den USA, doch auch die Deutsche Telekom schaut sich um auf dem Markt und ist seit August 2001 mit T-Online zu 37 Prozent an „Bild.de“, nun „Bild.T-Online.de“, beteiligt. Immerhin ist es den Mitarbeitern des Online-Ablegers von Europas größter Boulevardzeitung gelungen, nach der Auslagerung bei Springer im Oktober einen eigenen Betriebsrat zu gründen. „Die Leute mit journalistischen Verträgen sind an Tarife angegliedert“, erläutert Betriebsrat Peter Brunner, und räumt ein: „Wir bewegen uns aber in einem neuen Berufsumfeld“. Das Ziel des Betriebsrats ist es, zu einer tarifähnlichen Haus-Vereinbarung zu kommen, falls nicht bald bundesweite Online-Tarifvereinbarungen erreicht werden.

Bei Tarifen außen vor

Denn nicht nur die bei „Bild.T-Online.de“ abgeschlossenen Arbeitsverträge höhlen das bisherige journalistische Tarifniveau aus: Die Begrenzung der Regelarbeitszeit, Sonn- und Feiertagszuschläge sowie zusätzlich freie Tage, Arbeitgeberzuschüsse zur berufsständigen Altersabsicherung Presseversorgungswerk gelten zwar für Print- und Rundfunkjournalisten, jedoch fast nie für ihre Online-Kollegen.

Ebenso exotisch wie die neuen Berufsbezeichnungen – Info-Broker, Content-Editor, Online-Manager – ist das Zustandekommen der Rangordnung in Sachen Marktführung. Unangefochtener Spitzenreiter ist „Bild.T-Online.de“. Eine Stärke von Online-Produkten ist, dass genau die Zahl der Nutzer gemessen werden kann. Dies geschieht in Visits (Besuche eines gesamten Web-Angebots) und Page Impressions (die dabei aufgerufenen Seiten). Ein Visit beträgt ungefähr sechs Page Impressions, wovon „Bild.T-Online.de“ bis zu 256 Millionen monatlich hat. Simpler Trick: Die Inhalte werden auf möglichst viele Unterseiten verteilt, so dass der Besucher, um die vermeintlich besten Kanzlerwitze zu lesen, zwölfmal klicken muss. Löffelholz warnt die Online-Branche insgesamt davor, das Medium Internet nur ökonomisch als Dienstleistung zu nutzen: „Es ist auch ein Kulturgut“.

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