Ottos Katalog

7. November im Bundestag: Das Anti-Terror-Paket II

Er kommt im Schweinsgalopp, der neue Otto-Katalog. Und weil in Hamburg zu viel Schill in der Bürgerschaft ist, traut sich kaum jemand zu widersprechen. Jedenfalls nicht innerhalb der SPD. Man muss schon ganz genau hinschauen, um ein paar Couragierte zu entdecken. So haben Gutachten aus dem Bundesjustizministerium das „Anti-Terror-Paket“ für verfassungsmäßig bedenklich erklärt. Nordrhein-Westfalens Innenminister Fritz Behrens begrüßte laut Titel einer Presseerklärung zwar die neue Fassung, gelobt hat er dann aber vor allem, dass Otto Schily vorerst etwas gebremst werden konnte. Feine Töne, die aber am Tenor nichts ändern. Lauter Protest kam von Bürgerrechtsorganisationen, Grünen und praktisch allen juristischen Berufsverbänden.

Worum geht’s? Geplant war im intern so genannten „Otto-Katalog“, dass das Bundeskriminalamt ohne konkreten Verdacht gegen jede Person ermitteln darf. Die gesamte Bevölkerung wie potentielle Straftäter zu behandeln, wäre im Hinblick auf das Grundgesetz schlicht unrechtmäßig gewesen. Mit diesem Plan konnte sich Otto Schily bei den Vereinbarungen zwischen SPD und Grünen Ende Oktober nicht durchsetzen. Verdachtsunabhängige Ermittlungen durch das BKA sind damit vorerst vom Tisch.

Aber das BKA soll künftig Informationen ohne Umwege etwa über die Länderpolizeien sammeln können und der Bundesnachrichtendienst (BND) stärker im Inland tätig werden.

Zweitens werden die Kompetenzen der Geheimdienste erheblich erweitert. Der Verfassungsschutz darf laut Vorlage künftig von Banken, Luftfahrtunternehmen und von Post- und Telekommunikationsfirmen Benutzerdaten anfordern. Damit wird das Postgeheimnis eingeschränkt. Wer wann von wem welche Post erhält, soll durchleuchtet werden. Wer wann wohin zu welchem Zweck eine Flugreise macht, ob geschäftlich oder privat, soll geheimdienstlich registriert werden. Wer mit dem Handy telefoniert, soll jederzeit geortet werden können. Angestellte sicherheitsrelevanter Bereiche sollen in Zukunft durchleuchtet werden. Dazu zählen Mitarbeiter von Telefonunternehmen, pharmazeutischen Firmen, Krankenhäusern, Banken, Bahn, Post, Energieerzeugern und Rundfunk- und Fernsehanstalten. Für diese umfangreichen Einschränkungen der Grundrechte soll vorerst ein Probelauf von fünf Jahren gelten.

Das Wörtchen „vorerst“ muss betont werden. Denn die für manche überraschende Nachgiebigkeit des Innenministers könnte sich als geschickte Taktik erweisen. Wenn am 7. November mehr als zehn Gesetzesänderungen im Bundestag verabschiedet werden, dann ist es gut möglich, dass auf Drängen der Unionsparteien die Zugeständnisse wieder rückgängig gemacht werden. NRW-Innenminister Behrens hofft dagegen: „Wenn sich herausstellt, dass bestimmte Regelungen zur Bekämpfung des Terrorismus nicht taugen, dann müssen wir sie eben wieder abschaffen.“ Dazu fällt einem die alte Handwerkerweisheit ein: Wer einen Hammer hat, für den ist die Welt voller Nägel.

Fachleute wie zum Beispiel Datenschützer befürchten, dass eine zentrale Datensammelstelle kommt und dass diese gesammelten Daten dann auch verwendet werden. Der Staat wird sehr viel mehr Angaben über Einzelpersonen haben, darunter eben auch Daten, deren Nutzen zur Terrorismusbekämpfung fraglich ist. Ungeklärt bleibt: Wie kann eigentlich dafür gesorgt werden, dass die gesammelten Daten nicht für Zwecke missbraucht werden, für die sie angeblich gar nicht erhoben wurden?

Die Tauglichkeit mancher Maßnahmen ist zweifelhaft. Kritiker meinen, es wäre besser, das Ministerium würde sich mehr um die Effizienz der Sicherheitsbehörden kümmern und 100-Millionen-DM-Pannen wie bei Inpol vermeiden, statt in die Klamottenkiste der RAF-Bekämpfung der 70er Jahre zu greifen. Burkhard Hirsch (FDP) sieht bei allen Maßnahmen des zweiten Anti-Terror-Pakets keine einzige, mit der Dienste oder Polizei sogenannten Schläfern auf die Schliche gekommen wäre. „Denn wer schläft, sündigt nicht.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »