Das Positive hinter schrecklichen Schlagzeilen aufzeigen
Wie schafft es Journalismus, dass Menschen dafür bezahlen? Er muss gut sein – im doppelten Sinne. Handwerklich gut gemacht und außerdem auch die guten Nachrichten bringen, meint die Redaktionsgruppe der Perspective Daily. Für dieses Geschäftsmodell hat das junge Start Up aus Münster Mitte Januar eine Crowdfunding-Kampagne gestartet und dafür auch Prominente und Stiftungen als Unterstützer gefunden.
Als „Positive Daily“ war die Gruppe um Maren Urner, Han Langeslag und Bernhard Eickenberg gestartet. Den Imperativ „positiv“ haben sie schon wieder fallen lassen und versprechen nun ein Medium zu schaffen, das stattdessen in den Berichten stets eine Perspektive anbietet. Die promovierte Neurowissenschaftlerin Urner will „das erste lösungsorientierte Onlinemedium“ starten, das „ganz wertefrei zukunftsorientiert berichtet“. Ein Konzept, das weit über den geübten beschreibenden und analysierenden Auftrag von Journalismus hinaus geht.
Die Formulierung auf der Onlineplattform klingt geradezu wie ein Verdikt über Teile des momentan existierenden Journalismus: „Wir sind der Überzeugung, dass Medien mehr tun sollten, als Skandale zu produzieren, zusammenhangslos über Einzelereignisse zu berichten und mit reißerischen Schlagzeilen um Aufmerksamkeit zu buhlen.“
Jeden Tag soll künftig auf der Online-Plattform ein neuer Artikel erscheinen: „Verständlich, zukunftsorientiert, werbefrei!“ Als Themen werden dort aufgezählt: das Zusammenleben der Kulturen, die Gestaltung der Wirtschaft, Zukunft der Arbeit, Glück und Gesundheit, Verringerung des Klimawandels, Verhältnis zur Nahrung und ein gemeinsames Europa. „Wir stehen für einen Journalismus, der Hintergründe und Zusammenhänge vermittelt und seine Leser befähigt, zu verstehen, warum die Dinge so sind, wie sie sind – und wie man sie vielleicht verbessern kann.“
Die Idee entspringt einem Trend in Europa. In Großbritannien erscheint schon seit 1993 „Positive News“ mit jährlich vier gedruckten Ausgaben und einer Online-Plattform. Die Themenpalette ist dem geplanten deutschen Pendant sehr ähnlich. Aktuelle Nachrichten finden sich dort vor allem dann, wenn sich eine Lösung oder zumindest ein Lerneffekt heraus kristallisiert. Eine der neueren Varianten des sogenannten konstruktiven Journalismus ist das Onlinemagazin De Correspondent aus den Niederlanden.
Als Autoren von Perspective Daily werden renommierte Wissenschaftler, bekannte Aktivisten oder ein Bundestagsabgeordneter aufgeführt. Zusätzlich haben sie einige Prominente in ihrer Kampagne in den klassischen Medien und für Videoclips auf YouTube aktiviert: Schauspieler wie Nora Tschirner, Journalisten wie Hajo Schumacher oder Entertainer wie Klaus Heufler-Umlauf.
Die GLS Stiftung hatte nach Bochum eingeladen. 100 Besucher kamen und diskutierten wohlwollend mit den Gründern von Perspective Daily. Die zur GLS Bank gehörende Stiftung kündigte an, künftig verstärkt Projekte im Journalismus zu fördern. Stiftungsvorstand Lukas Beckmann, Urgestein der Grünen: „Wenn man Gesellschaft gestalten will, muss man wissen, ob die Wirklichkeit, die man wahrnimmt, der Wirklichkeit entspricht, in der man lebt.“ Er macht sich auch dafür stark, dass bestimmte Aufgaben im Journalismus in der Abgabenordnung als gemeinnützig anerkannt werden. Dabei sei er sich mit Teilen des Bundesverbands deutscher Stiftungen einig, die eine entsprechende Initiative nun vorantreiben wollten. Auch die FDP hat einen solchen Antrag im Landtag NRW eingebracht, der noch vor der Sommerpause entschieden werden soll.
Kritik aus dem Publikum in Bochum gab es allerdings daran, dass Perspective Daily in der gesamten ersten Crowdfunding-Phase keinen einzigen Beispielartikel vorgelegt hat. Auch die Themenpalette ist vielen, die mit dem Konzept sympathisieren, zu ungenau. Schließlich soll jedes Mitglied mit einem Jahresbeitrag von 42 Euro in Vorleistung gehen. Unklar bleibt daher auch, wie die Redaktion sich entlang des schmalen Grads bewegen will: zwischen einer Aktivisten-Kampagne auf der einen und der journalistisch objektiven Gewichtung positiver Nachrichten mit Perspektive auf der anderen Seite.
Kritik gab es auch an den redaktionellen Vorstellungen. So sagte Urner, die Artikel sollen überwiegend von Autoren geschrieben werden, die ein Studium der jeweils maßgeblichen Fachgebiete absolviert haben. Für Jean Pütz ist das nicht nachvollziehbar. Der frühere TV-Moderator des WDR und langjährige Vorsitzende der Wissenschaftspressekonferenz äußerte sich als Besucher: „Der Fachmann kann sich nie so einfach ausdrücken, dass es richtig ankommt. Man muss sich auch ’naivisieren‘ können.“
Und die schlechte Nachricht: Bis zum regulären Ablauf der Crowdfunding-Kampagne im Februar hatten sich erst gut die Hälfte der erhofften 12.000 Mitglieder gefunden. Die Kampagne wurde daher um fünf Wochen bis Ostern verlängert. Erst wenn sie eine halbe Millionen Euro einge-nommen haben, wollen die drei Gründer ein Jahr lang täglich ihre neue Perspektive im Journalismus anbieten – damit das Positive hinter den schrecklichen Schlagzeilen nicht verschwindet.