Für die rund 50 000 Journalistinnen und Journalisten in den arabischen Ländern ist Pressefreiheit noch immer eine Utopie. Nach monatelangen Beratungen vollzogen zum internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai Vertreter aus 15 Ländern mit einem grenzüberschreitenden Forderungskatalog den Schulterschluss, um die Utopie zur Wirklichkeit werden zu lassen. Die Konferenz in Casablanca wurde von der Internationale Journalisten-Föderation (IJF) unter anderem mit der UNESCO und der deutschen Friedrich- Ebert-Stiftung organisiert.
„Journalisten sollten den Mund nur aufmachen, wenn sie zum Zahnarzt gehen“ – so heißt die Redensart unter Kolleginnen und Kollegen in Ländern des sogenannten Arabischen Frühlings. Keiner der rund 100 Konferenzteilnehmer amüsierte sich über den Spruch, als ihn Nidal Mansour vom arabischen Zentrum zur Verteidigung der Freiheit von Journalisten aus Jordanien zitierte. Respekt vor der Pressfreiheit hätten die neuen Machthaber ebenso wenig wie die alten, war ein Fazit der Konferenz. „Es kamen neue Führer in unseren Ländern an die Macht, und das erste, was sie taten, war: Die Kontrolle über die Medien zu übernehmen“, berichtete Abdulwahab Zghailat, Präsident des Komitees für Freiheitsrechte bei der Arabischen Journalisten-Föderation. Die staatlichen Fesseln seien geblieben.
Ein Schwerpunkt der 16 Punkte umfassenden Bilanz ist die Forderung nach freiem Zugang zu Informationen, der in fast allen arabischen Ländern von den Behörden weitgehend verwehrt wird. Eine Auskunftspflicht ist staatlichen Stellen bislang unbekannt. Desweiteren ist ein Bekenntnis zum Prinzip der Selbstregulierung der Medien enthalten, die die staatliche Kontrolle ersetzen soll. Wie dieses Prinzip funktionieren kann, erklärte der Wolfgang Mayer von der Deutschen Journalistinen-und Journalisten-Union (dju) in ver.di anhand des Deutschen Presserates. Mayer: „Selbstregulierung setzt jedoch Schulung in publizistischen Richtlinien voraus“. Auch diese Ausbildung fehlt allerdings in den arabischen Ländern. Ausdrücklich verurteilt die Erklärung Hassparolen und Intoleranz in den Medien. Einig waren sich die rund 100 Konferenzteilnehmer_innen, dass Formen von Diskriminierung den ethischen Standards des Berufes widersprechen. Ein Forschungsprojekt befasst sich mit versteckten Wirkungen von Worten in der arabischen Sprache. Kontrovers blieb allerdings die Diskussion in der Frage, wer eigentlich Journalist_in sei. Konsens bestand immerhin darin, dass der Staat keine entsprechende Definition vornehmen dürfe.
Am fortschrittlichsten sind vergleichsweise die Pressegesetze in Marokko und Tunesien. „Anderswo sind so viele Ausnahmen verordnet, dass theoretische Freiheitsrechte praktisch außer Kraft gesetzt sind“, so Mansour. Andiskutiert wurde in Casablanca die Gründung einer Einrichtung ähnlich der OSZE, die Verstöße gegen die Meinungsfreiheit in den arabischen Ländern behandeln soll.
Neben den politischen Forderungen vereint die Journalistinnen und Journalisten in den arabischen Ländern die Hoffnung auf Sicherheit in der Berufsausübung. 2015 wurden in diesen Ländern 25 Kolleg_innen getötet. Zu den weltweit gefährlichsten Ländern für Journalist_innen zählen der Irak und der Jemen. Seit 1990 gab es 473 Opfer in diesem Beruf.