Nahezu täglich lassen sich in Nachrichtenagenturen, Zeitungen oder auf einschlägigen Internet-Seiten erschreckende Meldungen finden: Journalistinnen werden inhaftiert, Redakteure mit Mord bedroht, freie Kolleginnen und Kollegen an der Arbeit gehindert und Redaktionen geschlossen. Eine Bilanz zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai zeigt: Der aktuelle Trend zeigt global eine Verschlechterung der weltweiten Lage. Aber es gibt auch positive Entwicklungen.
Dienstag, 26. April 2016: Im Iran werden drei Journalisten zu Haftstrafen zwischen fünf und zehn Jahren verurteilt. Es ist ein Rückschlag für das Land, denn es ist das erste Mal seit Beginn der Präsidentschaft des vermeintlichen Reformers Hassan Rohani im August 2013, dass Journalisten zu hohen Haftstrafen verurteilt werden. Ruhani hat sich mehrmals vollmundig dagegen ausgesprochen, die Presse zu unterdrücken. Die Praxis in der Islamischen Republik sieht leider anders aus.
Donnerstag, 31. März 2016: 20 Polizisten dringen in China auf das Grundstück der regierungskritischen Journalistin Gao Yu ein, verprügeln ihren Sohn und verwüsten den Garten des Hauses. Mit der Aktion soll die unter Hausarrest stehende Mitarbeiterin der Deutschen Welle offenbar weiter eingeschüchtert werden.
Samstag, 30. April 2016: In der türkischen Metropole Istanbul nimmt die Polizei vorübergehend den Chefredakteur des pro-kurdischen Fernsehsenders IMC TV, Hamza Aktan, fest. Erst nach einem zwölfstündigen Verhör wird er unter Auflagen wieder freigelassen. Ihm droht weiterhin eine Anklage wegen „Propaganda für eine Terrorvereinigung“. Der Sender ist seit einiger Zeit nicht mehr über Satellit, sondern nur noch über das Internet zu sehen.
Drei Fälle von vielen, die nach Angaben der „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) durchaus einen Trend wiedergeben. Denn die Lage der Pressefreiheit hat sich nach dem jüngsten Bericht der Menschenrechtsorganisation im vergangenen Jahr spürbar verschlechtert. Fragt man bei Amnesty International, der Internationalen Journalistenföderation (IJF), dem Komitee zum Schutz der Journalisten (CPJ) oder dem internationalen PEN-Club nach, bekommt man überall dieselbe Antwort: Um das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Medien ist es zunehmend schlecht bestellt. „In allen Regionen der Welt ist ein Rückgang der Freiräume von unabhängigen Medien zu beobachten“, stellt ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske fest.
Viel Phantasie bei der Einschränkung der Freiheit
Die Verletzungen gehen von Inhaftierungen über Drohungen und Ermordungen bis hin zu Anklagen wegen Präsidentenbeleidigung oder Gotteslästerung. Sicherheitsgesetze verhindern Medienfreiheit genauso wie staatliche Kontrollen. Aber auch die Organisierte Kriminalität oder bewaffnete Oppositionsgruppen verhindern oftmals eine freie Berichterstattung. Und in Kriegen oder Bürgerkriegen, wie in Syrien, dem Irak oder im Südsudan, riskieren Berichterstatter_innen oft ihr Leben. Den geschlechtsspezifischen Übergriffen auf Journalistinnen widmet sich unter der Überschrift „Das Schweigen brechen“ ein Bericht des CPJ zum Tag der Pressefreiheit.
Am schlimmsten ist laut ROG die Lage in Eritrea, Nordkorea und Turkmenistan. Die Schlusslichter auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit lassen praktisch überhaupt keine kritischen Bemerkungen in den Medien zu. Dementsprechend gibt es auch keine Berichte von Übergriffen auf Journalist_innen. Wer kritisch publizieren könnte, ist entweder längst im Gefängnis oder aus dem Land geflüchtet.
Deutlich verschlechtert hat sich im vergangenen Jahr die Lage in Tadschikistan und Brunei. In Tadschikistan macht Präsident Emomali Rahmon Kritiker unter dem Vorwand der Terrorrismusbekämpfung mundtot. In Brunei droht wegen des Blasphemiegesetzes die Anwendung der Scharia. In der Folge nimmt die Selbstzensur zu. Beide Länder stürzten in der ROG-Rangliste um 34 Plätze ab. In anderen Ländern – wie Russland, der Türkei, Ägypten oder Mexiko – ist die Lage ebenfalls noch einmal schlechter geworden. Sie war allerdings schon im Vorjahr dramatisch. In der Türkei zum Beispiel ist aber im Zehn-Jahres-Vergleich der Niedergang erkennbar: 2006 war das Land am Bosporus nach einer vorsichtigen Annäherung an Europa und der Änderung einiger Gesetze noch auf Platz 98, inzwischen ist es nicht zuletzt wegen der knallharten Verfolgung der Kritiker von Präsident Recep Tayyip Erdogan auf Platz 151 abgerutscht.
Polnischer Absturz unter der neuen Regierung
Dramatisch verschlechtert (um 29 Plätze auf Rang 47) hat sich auch Polen. Und das ist wenig verwunderlich, denn seit ihrem Amtsantritt im vergangenen Jahr hat die national-konservative Regierung in Warschau Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, die für eine spürbare Verschlechterung der Pressefreiheit sorgen, weil sie das bestehende Mediensystem von Grund auf umkrempeln. Ein im Dezember 2015 verabschiedetes Mediengesetz sorgt beispielsweise dafür, dass neuerdings mit dem Finanzminister ein Regierungsmitglied über die Besetzung der Leitungspositionen in den öffentlich-rechtlichen Medien entscheidet.
„Das ist eine Ungeheuerlichkeit, die europäischen Werten aufs Schärfste widerspricht“, kritisiert ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Würden die Gesetze in Deutschland gelten, könnte Finanzminister Wolfgang Schäuble jederzeit die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender entlassen und durch eigene Leute ersetzen.“ Und die polnische Regierung plant weitere Schritte, um die reichweitenstärksten Medien des Landes der vollständigen Lenkung des Staates zu unterwerfen.
Und das mit zunehmendem Erfolg: Seit Januar ist mit Jacek Kurski ein Politiker der regierenden PiS-Partei Fernsehchef des öffentlich-rechtlichen Senders TVP. Inzwischen sind aus den polnischen Abendnachrichten zahlreiche bekannte Gesichter vom Bildschirm verschwunden. Zum Teil wurden die Mitarbeiter entlassen, zum Teil wechselten von sich aus zur privaten Konkurrenz. Ihre Nachfolger kamen meist von regierungsnahen Webseiten oder rechtskatholischen Medien. Seitdem wird im polnischen Fernsehen breit und mit viel Sympathie über alle Vorhaben der Regierung berichtet. Regierungskritische Proteste, über die andere Sender stundenlang live berichteten, erwähnte TVP jedoch nur kurz. Selbst der Landesmedienrat kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass in der Hauptnachrichtensendung des staatlichen polnischen Fernsehens die Anforderungen an Pluralismus und Unparteilichkeit nicht erfüllt würden. Die Protestbewegung KOD ruft sogar dazu auf, das Fernsehprogramm TVP nicht mehr anzuschalten.
Große Hoffnung in Tunesien
Es gibt aber auch Bewegungen in die andere Richtung: In der Ukraine (22 Stufen hochgerückt auf Platz 107) können im Zuge der nachlassenden Gewalt Journalisten wieder freier arbeiten, leiden aber weiterhin unter dem Einfluss der Oligarchen auch in der Medienlandschaft. In Sri Lanka, das sich um 24 Ränge auf Platz 141 verbessert, nimmt nach dem Ende der Ära des Präsidenten Mahinda Rajapaksa die Angst vor Drohungen gegen Medienschaffende ab.
Auch in Tunesien werden weniger Übergriffe gegen Journalisten gezählt. Das Land erntet ein bisschen die Früchte des Arabischen Frühlings und verbessert sich um 30 Plätze auf Rang 96. Seit dem Umbruch von 2011 hat die Regierung in Tunis die Medien reformiert und den unter dem früheren Machthaber Ben Ali drangsalierten Journalistinnen und Journalisten mehr Freiräume verschafft. „Gewalt und Prozesse gegen Journalisten sind weiterhin ein Problem“, meint Christian Mihr. „Aber sie sind in der Tendenz rückläufig.“
Trotz aller negativen Beispiele gibt es also auch hoffnungsvolle Tendenzen. Finnland, die Niederlande und Norwegen bieten weiterhin die größte Sicherheit für Journalist_innen. Sie liegen an der Spitze der ROG-Rangliste.
Auch in Deutschland ist die Möglichkeit der Berichterstattung insgesamt gut. Wegen der gestiegenen Zahl von Anfeindungen gegen Medienmitarbeiter_innen – vor allem auf Veranstaltungen der Pegida-Bewegung – sank Deutschland allerdings um vier Plätze auf Rang 16. Ohne die gezählten mindestens 39 gewaltsamen Übergriffe auf Journalisten sähe die Lage hierzulande deutlich besser aus.
Allerdings müssen Journalistenorganisationen auch in Deutschland genau hinschauen. Während des von Protesten begleiteten AfD-Parteitags am 30. April in Stuttgart wurden drei Pressefotografen vorübergehend festgenommen, obwohl sie sich als Journalisten ausweisen konnten. Sie blieben elf Stunden lang in Gewahrsam. „Die Vorwürfe gegen sie sind lächerlich: Ihnen wird ein ‚gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr’ zur Last gelegt, weil sie an einem von Demonstrierenden blockierten Abschnitt der Zufahrt zum Parteitagsgelände ihrer Arbeit nachgingen. Dafür wurden sie nicht nur unverhältnismäßig lange fest gehalten, sondern dabei auch mit Kabelbindern gefesselt. „Dieses Vorgehen der Einsatzkräfte ist skandalös“, meint die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di, Cornelia Haß. Sie kündigte die Prüfung rechtlicher Schritte gegen die Polizei an. Die Fälle waren publik geworden, nachdem Kollegen über die Festnahmen bei „Demowatch“ darüber berichtet hatten, einem Service der dju in ver.di, mit dem betroffene Journalistinnen und Journalisten über Zwischenfälle und Übergriffe bei Demonstrationen informieren und sich untereinander vernetzen können.
Weitere News zum Tag der Pressefreiheit:
Forum M Online: Start einer Diskussion über den Stellenwert und die Bedrohung von Pressefreiheit.
dju in ver.di zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai: „Pressefreiheit ist ein unentbehrliches Gut, das wir täglich aufs Neue verteidigen müssen“
Am 3. Mai erscheint der Bildband „Fotos für die Pressefreiheit 2016“ von „Reporter ohne Grenzen“. Er berichtet in bewegenden Bildern von den Brennpunkten des Nachrichtengeschehens weltweit.
Der „Verein Deutsches Pressemuseum Hamburg“ hat das Online-Portal „Haus der Pressefreiheit“ freigeschaltet. Neben Informationen zur Pressefreiheit werden aktuelle und historische Aspekte der Medienarbeit dokumentiert.