Presseräte international

Schweizer Gremium zuständig für Print- und Rundfunkmedien Unabhängige Ethikkommission in Bulgarien gegründet

Auf dem Papier garantieren fast alle europäischen Staaten umfassende Pressefreiheit. Dass Theorie und Praxis jedoch insbeson­dere in Ost- und Südosteuropa noch weit auseinander liegen und auch in Westeuropa noch Baustellen offen sind, zeigten etwa die 4. Medienrechtstage an der Europauniversität Viadrina in Frankfurt / Oder Ende 2005, wo sich Medienexperten multilateral austauschten. Die Alternative zur staatlichen Kontrolle biete die Selbstregulierung der Presse über Presse­räte, da sie das Vertrauen in die journalis­tische Arbeit fördern, erklärte der Jurist Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg bei der Veranstaltung.

Um sich zu vernetzen, haben die freiwilligen Selbstkontrollorganisationen der Presse in Europa 1999 in London ein Netzwerk gegründet, die „Alliance of Independent Press Councils of Europe“ (AIPCE). Ella Wassink, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Presserat, ist mitverantwortlich für die Koordinierung: „Einmal im Jahr – zuletzt im September 2006 – treffen sich dort alle Selbstkon­troll­­­organe, die es bereits gibt, zum Erfah­rungs­­austausch.“ Auch Länder, wo ein solches Gremium im Aufbau sei, nähmen schon seit Jahren teil: „So etwas braucht einfach seine Zeit“, so Ella Wassnik.

Verleger nicht vertreten

Tatsächlich existieren in fast allen Ländern Westeuropas Presseräte. In der Grundidee ähneln sich die Gremien: Sie basieren auf dem Prinzip der freiwilligen Selbstkontrolle, verstehen sich als Hüter der Pressefreiheit und eines fairen und sauberen Journalismus. Sie stellen keine Standesgerichtsbarkeit dar, sondern moralische Instanzen – ohne Strafen, Geldbußen oder Berufsverbote. Stattdessen sprechen sie Empfehlungen, Hinweise, Missbilligungen, Rügen oder Ähnliches aus. Ihre ethischen Grundlagen sind in einem Kodex festgelegt. Unterschiede bestehen vor allem in der Gesellschaftsform, der Zusammensetzung der Gremien und in der Finanzierung.
So wurde etwa der Schweizer Presserat 1977 vom Verband der Journalistinnen und Journalisten als Stiftung gegründet. 21 Mitglieder gehören dem Presserat an, ein Präsident und zwei Vizepräsidenten bilden die Spitze. Von den weiteren 18 Mitgliedern sind zwölf Journalisten und sechs Publikumsvertreter, die keine Medienberufe ausüben. Jedes Geschlecht muss mindestens acht Sitze inne haben. Verleger sind im Schweizer Presserat nicht vertreten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Presseräten erklärt sich der Schweizer Presserat nicht nur für Print-, sondern auch für Rundfunkmedien zuständig.

Viele Räte inzwischen auch in Ost- und Mitteleuropa

Der Schweizer Presserat hat seinen Ethikkodex in der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ festgeschrieben. Rechtliche Einflussmöglichkeiten hat er nicht, seine Kompetenzen beschränken sich auf Empfehlungen. Zur Finanzierung verfügt er über einen Kredit, der im Budget der Stiftung Schweizer Presserat aufgeführt wird.
Roger Blum, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Bern und von 1991 – 2001 Präsident des Schweizer Presserats, lobte die Einrichtung am 17. März dieses Jahres in der Neuen Zürcher Zeitung ausdrücklich, stellte aber auch Reformbedarf fest: Das Gremium arbeite und argumentiere sehr sorgfältig, orientiere sich an der Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit. Der Presserat habe in der Schweiz eine stärkere Position und einen besseren Ruf als etwa in Deutschland. Wegen der Absenz der Verleger, die in medienethischen Fragen im gleichen Boot säßen wie die Medienschaffenden, bestünden jedoch große finanzielle Probleme. Außerdem spricht sich Blum dafür aus, die Verhandlungen öffentlich zu machen.
Auch in vielen Ländern Ost- und Mit­teleuropas haben sich inzwischen Presseräte gegründet – etwa im Jahr 2000 in Bosnien-Herzegowina oder im Sommer 2005 in Bulgarien. Wie in den westeuropäischen Ländern soll dieser bislang jüngste europäische Presserat durch einen Ethikkodex die Selbstregulierung der Medien etablieren. Außerdem soll er Streitigkeiten zwischen Medienschaffenden und Publikum schlichten. (www.mediaethics-bg.org)
Sieben Mitglieder unterzeichneten das Gründungsdokument: je zwei Vertreter des Verleger- und des Rundfunkverbands, ein Vertreter des Journalistenverbands, ein Vertreter der Bulgarischen Media Coalition und ein Vertreter des Medienentwicklungszentrums. Deutlich wird das Bemühen, alle Interessengruppen einzubeziehen – Medieneigentümer und -manager, Herausgeber, Verleger, Journalisten, Gewerkschaften, Verbände und Vertreter der Zivilgesellschaft.
Je eine Ethikkommission für Rundfunk und für Printmedien soll eingehende Beschwerden in völliger Unabhängigkeit vom Staat bearbeiten. Um Transparenz und vollständige Repräsentation zu erreichen, seien die Kommissionen zu je einem Drittel aus Medienmanagern, Journalisten und von beiden Seiten akzeptierten Personen des öffentlichen Lebens besetzt, so Ognian Zlatev, als Vertreter des Medienentwicklungszentrums im bulgarischen Presserat. Finanziert wurde die Einrichtung zunächst aus Mitteln des EU-Gemeinschaftshilfeprogramm für die Länder Mittel- und Osteuropas (PHARE), berichtet Zlatev. Nun müsse jedes Gründungsmitglied finanzielle Verpflichtungen übernehmen, außerdem diene eine Medienkampagne „Support the local production“ als dritte Finanzierungsquelle.

Unterschiedliche Entwicklungsstandards

Die Entstehung eines Presserats kann ein langwieriger Prozess sein. Zlatev schildert, dass die Macht der Medien schon 1989 erkannt wurde und damit auch das Bedürfnis nach Selbstregulierung entstanden sei. Sieben Anläufe habe es jedoch ge­braucht, bis im November 2004 der Ethik­kodex verabschiedet werden konnte: „Unser Presserat mit seinen Kommissionen ist vergleichsweise jung, trotzdem hat er in der Gesellschaft bereits Respekt gewonnen“, zeigt sich Zlatev zufrieden.
Die Frankfurter Medienrechtstage konstatierten wie die Selbstkontrolle und die Pressefreiheit in Ost- und Südosteuro­pa vorankommen. Der Entwicklungsstandard ist sehr unterschiedlich: Während einige Staaten wie Estland fast westeuro­päische Standards erreicht haben, stehen andere Staaten erst am Anfang. Wieder andere, wie die Ukraine und teilweise Weißrussland, weisen leider sogar rück­läufige Tendenzen auf.

nach oben