Am 8. Mai ist in der Station Berlin am Gleisdreieck der Startschuss für die elfte Ausgabe der re:publica gefallen. Die Netzkonferenz ist erwachsen geworden, längst eine Gesellschaftskonferenz. Kein Grund, „die virtuelle Welt den Arschlöchern zu überlassen“, hieß es zur Eröffnung. Unter dem Motto „Love out Loud“ gelte es, Solidarität mit den Opfern von Bedrohungen und Attacken sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt zu zeigen.
Eine Lanze für die Pressefreiheit
Die wohl größte Digitalkonferenz Europas wurde in diesem Jahr an einem historischen Datum eröffnet: Dem 8. Mai, Tag der Befreiung, der uns daran erinnern solle, dass wir die Freiheiten feiern wollen, mit denen der Faschismus geschlagen wurde, erklärte re:publica-Mitbegründer Andreas Gebhard während der Eröffnungsveranstaltung. Freiheiten, zu denen auch die Presse- und Kommunikationsfreiheit gehört, die auf der elften re:publica einen besonderen Stellenwert einnimmt. Selbst Sascha Lobo beginnt seinen traditionellen Talk am Abend mit einer Würdigung der „aufklärenden Arbeit“ von Deniz Yücel und der anderen Inhaftierten. Deren Zahl belaufe sich inzwischen auf weltweit 350 Journalist_innen, Blogger_innen und Aktivist_innen, fasste Markus Beckedahl, ebenfalls im Gründungsteam der re:publica und Chefredakteur von netzpolitik.org, die erschreckenden Zahlen in seinem Eröffnungsstatement zusammen. Er forderte das Publikum auf, „auch“ die Sessions zur Presse- und Kommunikationsfreiheit zu besuchen, selbst wenn sie noch keinen Zugang zum Thema hätten. Offenbar muss wohl sogar unter den Jüngern der Netzfreiheit erst noch eine Lanze für das Thema gebrochen werden. Dabei sei die re:publica schon immer ein Ort gewesen, wo Freiheitsrechte eingefordert worden seien, betonte Beckedahl.
Doch leider „dachten wir in den letzten Jahren, Presse- und Meinungsfreiheit seien selbstverständlich“, brachte es anschließend Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller auf den Punkt. In seiner Rede zur Eröffnung der Media Convention Berlin, die seit vier Jahren in Kooperation mit der re:publica stattfindet, schloss er sich der allgemein postulierten Forderung an, täglich aufs Neue für die Pressefreiheit zu kämpfen und deren Erhalt zu verteidigen
„Fuck yeah! Love out Loud!“
Mit ihrem diesjährigen Motto “Love out Loud” rufen die re:publica-Macherinnen aber auch dazu auf, Solidarität mit den Opfern von Bedrohungen und Attacken in der virtuellen Welt zu zeigen. Es sei als „Aufruf zu digitaler Zivilcourage“ zu verstehen, so re:publica-Gründungsmitglied Johnny Haeusler während der Eröffnung: „Wenn wir wollen, dass dieses Netz auch unseres ist und für alle ist und die Vielfalt der Menschen abbildet, dann müssen wir Verantwortung übernehmen und laut sein.“ Und seine Frau Tanja ergänzte: “Die Welt, auch die virtuelle, wollen wir nicht den Arschlöchern überlassen. Fuck yeah! Love out Loud!”
So sind es vor allem Fake News, Hate Speech und deren gesellschaftliche Bedeutung, die die Netzgemeinde auf dieser re:publica bewegen. Er ist ein wenig leiser geworden der Ton, ein bisschen weniger optimistisch, im Vergleich zum letzten Jahr, als der zehnjährige Geburtstag der Digitalkonferenz mit einem euphorischen, wenn auch nicht unkritischen Netzoptimismus gefeiert worden war. Danach ist viel passiert: der Brexit, Trump, Erdogan. Um nur einige der Dinge zu nennen, die in diesem Jahr einen gewissen (Netz-)Pessimismus schüren.
Best moment: Ein Katzenvideo
Ein Pessimismus, den auch Markus Beckedahl in seinem netzpolitischen Jahresrückblick nicht verschweigt. Es sei schwierig, optimistisch zu bleiben angesichts der aktuellen internationalen Entwicklungen, die auch konkrete Auswirkungen auf die re:publica gehabt hätten: Aus Angst, dass ihnen im Anschluss die erneute Einreise verwehrt werden würde, seien verschiedene Speaker_innen mit Migrationshintergrund aus den USA der Einladung zur re:publica nicht gefolgt. Der beste Moment, den Beckedahl für das netzpolitische Jahr zu verkünden hat, ist dann auch ein lustiges Katzenvideo. So viel dazu.
Zwischen einem neuen BND-Gesetz, welches Überwachung nun zu 100 statt wie vorher zu 20 Prozent legalisiere, der in der Öffentlichkeit leider zu wenig beachteten ePrivacy-Richtlinie der Europäischen Union, einer fehlgeleiteten EU-Urheberrechtsreform und einem verkorksten Netzwerkdurchsetzungsgesetz, welches der falsche Weg für ein richtig erkanntes Problem sei, bleibe als einziger Lichtblick das Engagement der Zivilgesellschaft für die Netzneutralität. Die Kampagne savetheinternet.eu habe es tatsächlich geschafft, am Ende bessere Regeln durchzusetzen, als wie sie etwa vom ehemaligen EU-Digitalkommissar Günther Oettinger vorgeschlagen worden waren.
Die Insel der Demokratie stärken
Trump, der Brexit und Erdogan bewegen auch Sascha Lobo in seiner traditionellen Ansprache am Abend des ersten Tags der re:publica. Nicht minder tut es der Aufstieg des Rechtspopulismus: „Wir leben in einer Zeit, in der man sich freuen muss, dass nur 33 Prozent der Wähler in Frankreich rechtsradikal wählen“. Wie man rechter Rede im Netz, aber auch offline begegnen kann, das hat er in einem Selbstexperiment ergründet, dessen Ergebnisse nun Inhalt seines Vortrags „Vom Reden im Netz“ waren. Denn die Erschütterung, die vom „Amalgam der Boshaftigkeit der sozialen Medien und der Hetzmedien (etwa Fox News, The Sun oder die Krone, Anm. d. Red.)“ ausgehe, habe auch er gespürt. Sie habe ihn weniger tolerant werden lassen, sie habe seine Wuttoleranzgrenze merklich herabgesetzt. Der Hass sei nicht neu, aber er habe sich verändert. Man merke, dass er nicht mehr von einzelnen Personen, sondern von einer gesellschaftlichen Gruppe ausgehe. Die gesellschaftliche Polarisierung versinnbildlichte der Netzblogger im Bild einer von brauner Brühe umgebenen Insel der liberalen Demokratie.
Diese Insel wieder größer zu machen, das ist das Ziel der Kommunikationstheorie, die er am gestrigen Abend vorstellte. Sie basiert auf folgenden Prinzipien, die in der Diskussion mit rechten Pöblern angewandt werden sollten: Ton und Mechanik (höflich, höflich, höflich, geduldig sein, eigene Schwächen eingestehen), partielles Lob, Fakten und Diskussion (Fakten nicht nur verlinken, sondern erklären), Empathie schüren und Zweifel wecken (nicht nur sagen, dass jemand falsch liegt, sondern erklären, warum er falsch liegt).
Ob dieser Kuschelkurs tatsächlich funktioniere, das könne Lobo selbst nicht garantieren. Nun ja, einen Versuch könnte es vielleicht wert sein.