Das ARD-Magazin „Kontraste“ vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) beschreibt auf seiner Website sein Selbstverständnis wie folgt: „Kein Infotainment, keine Politikerphrasen. Geht den Dingen auf den Grund: neugierig und mit sorgfältiger Recherche. Bezieht Stellung und bringt Gegensätze auf den Punkt.“ Allesamt Charakteristika für qualitativ hochwertigen Journalismus. Doch wie setzt die Redaktion die hehren selbst gestellten Ansprüche um? Mitunter schlecht, wie zwei aktuelle Beispiele zeigen.
So war in der „Kontraste“-Sendung am 5. Januar ver.di Thema. Die reißerische Anmoderation der Sendung von Petra Lidschreiber, Chefredakteurin RBB-Fernsehen, ließ aufhorchen. Die Gewerkschaft sei „in einem Dilemma“, hieß es. Ihr liefen die Mitglieder weg, wie lange würde es wohl noch dauern, bis sie „bedeutungslos“ werde? Auf der RBB-Seite im Netz findet sich diese Anmoderation zu Sendungsbeginn als Text so nicht und auch bei „Real-Video“ bietet der Sender nur den Bericht. Merkwürdig – sollten sich etliche Kollegen verhört haben?
Wie auch immer: Am Morgen des 4. Januar diesen Jahres hatte sich ein TV-Team des RBB vor dem ver.di Haus postiert und hielt Verdianern ein Mikro vor die Nase, fragte nach der aktuellen Mitgliederzahl. Die „Überfallenen“ wurden vorgeführt, sie hatten die richtige Antwort nicht parat. Einer empfiehlt, die zuständige Stelle zu fragen. Das habe man getan, hieß es, sei aber mit alten Zahlen abgespeist worden. „Die Daten 2005 würden ausgewertet werden, doch deute der Trend nach unten, wieder einmal“. Im weiteren wird von einem „dramatischen Mitgliederschwund“ gesprochen, für die die Gewerkschaft die „einfache Erklärung“ habe: hohe Arbeitslosigkeit und Beschäftigungsabbau. Gestützt wird das Ganze durch Prof. Peter Grottian von der FU Berlin: „Das stimmt nicht. Das ist ein selbst schützendes Märchen von ver.di.“ Beim Zuhören geht schnell unter, dass der befragte Mann aus der ver.di-„Hauptzentrale“ gesagt hat: „Das Hauptproblem“ seien „hohe Arbeitslosigkeit und Beschäftigungsabbau“ – nicht das alleinige. Nachgefragt wurde auch hier von den Reportern wie an vielen anderen Stellen nicht, um den „Dingen auf den Grund zu gehen“. Dafür geht man dann noch in eine Berufsschule, wo junge Auszubildende weder wissen wer oder was ver.di noch was eine Gewerkschaft ist. Das gipfelt in der Behauptung „Die Mitglieder von morgen bleiben weg, weil ver.di vor allem für jene kämpft, die feste Arbeit haben. Vernachlässigt werden die Jungen, die verzweifelt Arbeit suchen.“
Keine Frage, ver.di hat seit Gründung eine große Zahl von Mitgliedern verloren. Die Gründe sind vielschichtig und nicht zuletzt sicher auch in eigenen Fehlern zu suchen. Doch: Statt das auszuloten, mit „sorgfältiger Recherche“ den Dingen „auf den Grund“ zu gehen, schustert „Kontraste“ einen tendenziösen Beitrag zusammen. So entsteht statt eines faktenorientierten und durchaus gewerkschaftskritischen Beitrags phrasenhaftes Infotainment. Stimmungsmache pur, und das auch noch gebührenfinanziert – das können die anderen auch ohne!
Die „Kontraste“-Redaktion hätte in jedem Fall gut daran getan, auf die Zahlen von 2005 zu warten, die keine Firma oder Institution schon am 3. oder 4. Januar parat hat, und die ver.di am 24. Januar veröffentlicht hat. Danach konnte ver.di im letzten Quartal von 2005 die Zahl ihrer erwerbstätigen Mitglieder erhöhen. Ihr Anteil an den insgesamt 2,36 Mitgliedern liegt bei 73,7 Prozent. Bei der Jugend gab es übers Jahr gesehen 8,5 Prozent mehr Eintritte als Austritte. Im Vergleich zum Vorjahr lag der Rückgang bei den Gesamtmitgliederzahlen um 4, 27 Prozent deutlich unter dem in 2004. Über 110.000 Menschen traten 2005 in ver.di ein. Gemessen an den Ein- und Austrittszahlen war das letzte Quartal des Jahres das Beste seit ver.di-Gründung. Ganz zu schweigen von der sehr aktiven Jugendabteilung, einem Hochschulprojekt im Medienbereich, einem Referat, das inzwischen über 31.000 Selbständige vertritt …
Aber so etwas passt natürlich nicht ins Bild, wenn man nur Aufregen statt aufklären, unterhalten statt informieren will – hier geht‘s offenbar allein um Quote! Die scheint auch im zweiten Beispiel „Kontraste“ veranlasst zu haben, im Kontrast zur Wirklichkeit zu berichten, statt die Kontraste in der Wirklichkeit adäquat wiederzuspiegeln.
In der Sendung vom 26. Januar wurde unter dem Titel „Operation am offenen Geldbeutel“ ein Beitrag ausgestrahlt, der orthopädische Eingriffe am Bewegungsapparat als „Beutelschneiderei“ bezeichnete. In einer ots-Meldung kritisieren Mediziner, dass dabei die Therapie degenerativer Rückenbeschwerden durch den Einsatz künstlicher Bandscheiben „generell in Misskredit“ gebracht wird, dass ein „Widerspruch suggeriert wird“, der so nicht vorhanden ist, dass mit „negativen Behauptungen“ Erkenntnisse „aus mittlerweile 137 internationalen wissenschaftlichen Untersuchungen, die Wirkungsweise und Heilerfolg zweifelsfrei belegen“ unberücksichtigt bleiben. „Keiner, der in der Kontraste-Sendung befragten Ärzte, arbeitet an einer Klinik, die sich schwerpunktmäßig mit dem Einsatz von künstlichen Bandscheiben befasst hat“, heißt es. Mit Spannung werde auf eine Studie der Charité Berlin zu dem Thema gewartet, die voraussichtlich Mitte April 2006 vorliegen soll.