Solidarisches Miteinander und Füreinander

Pressefreiheit ist ein Grundrecht weltweit! Demonstration von Unterstützern des Internetportals Netzpolitik.org 2015 in Berlin gegen die staatsanwaltlichen Ermittlungen. Archivfoto: Britta Pedersen/dpa/Bildfunk

Zum „Tag der Pressefreiheit“ werden alljährlich Zahlen veröffentlicht – etwa von Journalist*innen, die getötet wurden oder ein Staaten-Ranking zum Stand der Medienfreiheit. Doch hinter diesen Zahlen stecken Menschen mit einem Namen – Medienschaffende und ihre Angehörigen. Für sie setzt sich der Verein „Journalisten helfen Journalisten“ (JhJ) ein, der jetzt auf 30 Jahre solidarisches „Miteinander und Füreinander“ blickt. M sprach mit der Journalistin Christiane Schlötzer-Scotland, Mitgründerin und Vorstandsmitglied des Vereins.

M: Anfang der 1990er Jahre während des Krieges in Ex-Jugoslawien gründeten Sie den Verein „Journalisten helfen Journalisten“. Wie kam es dazu? 

Egon Scotland im Frühjahr 1991 Foto: privat

Christiane Schlötzer-Scotland: Mein Mann Egon Scotland war damals als Journalist für die „Süddeutsche Zeitung“ in Kroatien. Im Juli 1991 wurde er dort von einem Scharfschützen ermordet. Das Auto, in dem er unterwegs war, hatte ein deutlich erkennbares Presseschild. Damals dachten die Kollegen nicht, dass sie Zielscheibe werden könnten in einem Krieg. Dass das passieren konnte – so nah, mitten in Europa. Es gab dann dort auch immer mehr einheimische Opfer unter den Journalistinnen und Journalisten. Ein befreundeter Verleger machte uns auf einen schwer verletzten Radioreporter aufmerksam, der Hilfe brauchte. Wir konnten den Mann nicht retten, aber wir haben später seine Familie finanziell unterstützt. Damit fing es an. Über andere Korrespondenten kamen immer mehr Bitten bei uns an, ob wir Familien von verletzten oder getöteten Journalisten in Ex-Jugoslawien helfen können. Zumeist war das finanzielle Hilfe. Aber wir haben auch versucht, medizinische Hilfe zu organisieren oder zerstörte Arbeitsmittel wieder zu beschaffen. 1993 haben wir dann einen Verein in München gegründet. Das waren zunächst alles Freunde und Kollegen von meinem Mann. Damals dachten wir, wenn der Krieg in Jugoslawien vorbei ist, dann können wir den Verein wieder auflösen. Aber dann kamen mehr Krisen und Kriege – in Afrika, Afghanistan, Syrien, Belarus, der Ukraine. Und es folgten immer wieder neue Anfragen. 

Werden Sie immer noch direkt von den Hilfesuchenden kontaktiert oder erfahren Sie auf anderen Wegen von ihrer Notsituation? Wie arbeiten Sie denn heute? 

Es sind immer direkte Anfragen. Wir können nur individuelle Hilfe leisten, wir unterstützen keine Redaktionen, sondern nur einzelne Personen. Das machen wir vor allem mit finanziellen Mitteln, mit Spenden. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine ägyptische Kollegin, der im Gefängnis in Kairo ihre Fotoausrüstung abgenommen wurde. Sie ist dann geflüchtet in ein Nachbarland, wo sie heute noch lebt. Wir haben ihr einen neuen Computer und eine Kamera besorgt, damit sie weiterarbeiten kann. Oder wir finanzieren jedes Jahr ein Stipendium der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte, die Journalistinnen und Journalisten aus der ganzen Welt für eine Zeit lang aufnimmt. Zuletzt waren das eine Kollegin von den Philippinen und eine Fotografin aus Belarus. Der Palm-Stiftung in Schorndorf haben wir für ihren „Meinungs- und Pressefreiheits“-Preis schon mehrmals Kolleginnen und Kollegen aus Krisengebieten vorgeschlagen. Ausgezeichnet wurden zum Beispiel das Radionetzwerk Coracon aus Ostkongo oder die Autorin Bushra al-Maktari aus dem Jemen. Wir bekommen auch immer wieder Informationen von deutschen Kolleginnen und Kollegen – etwa vom Netz der Weltreporter, mit denen wir eng zusammenarbeiten. So war es in Kiew oder in Minsk. Dann arbeiten wir mit diesen Korrespondenten zusammen, die dann auch die Hilfe weiterleiten. 

Christiane Schlötzer Foto: SZ

Das ist ja ein ganz vielfältiges Engagement! Wenn Sie zurückblicken auf die letzten 30 Jahre – was hat sich an Ihrer Arbeit verändert?

Auf der einen Seite hat sich unsere Arbeit professionalisiert, wir haben einen Geschäftsführer. Was bleibt, das ist aber eine oft sehr mühsame ehrenamtliche Arbeit. Wir müssen Geld besorgen, und die bürokratischen Hürden, zum Beispiel um jemanden für eine Zeit lang nach Deutschland oder in ein anderes europäisches Land zu bringen, sind immer noch unglaublich hoch. Wir haben aktuell 166 Mitglieder – der engere Kreis zählt ein halbes Dutzend. Wir müssen ja auch bei jeder Anfrage prüfen, ob es sich bei dem Hilfesuchenden um einen professionellen Journalisten handelt. Alles muss gecheckt werden, um das Geld auf den Weg zu bringen. Die Arbeit wird auf die wenigen Schultern verteilt. Alle Mitglieder sind Journalistinnen und Journalisten, und die meisten haben wenig Zeit. Wir haben jetzt auch für Nicht-Journalisten, die uns finanziell unterstützen wollen, eine Fördermitgliedschaft eingeführt. Es gibt mittlerweile ein großes Netzwerk, zu dem Mediziner gehören, die uns zum Beispiel mit schwierigen Operationen geholfen haben. Geblieben ist, dass wir schnell und unbürokratisch reagieren können. Auch weltweit gibt es ein großes Netzwerk: vom Committee to Protect Journalists in den USA über Reporter ohne Grenzen in Berlin bis zum Media Council of Kenya. Wir arbeiten mit all diesen Organisationen eng zusammen. Dadurch können wir mehr Hilfe verteilen, erfahren von mehr Menschen. Diese Vernetzung ist wichtig. 

Koordinieren Sie die Hilfe auch – sprechen Sie ab, wer wem hilft? Etwa über das weltweite Netzwerk Journalists in Distress, dem JhJ auch angehört? 

Ja. Diejenigen, die sich an uns wenden, fragen wir auch, ob ihnen bereits jemand geholfen hat. Fast immer ist das nicht der Fall. Die Bundesregierung engagiert sich inzwischen auch mit der Hannah-Arendt-Initiative und anderen Programmen, die aufgelegt wurden, um Journalistinnen und Journalisten eine Zeit lang Zuflucht in Deutschland zu geben. Das sind nicht sehr viele Plätze und der Zugang ist auch kompliziert. Ich habe zum Beispiel versucht, einen syrischen Kollegen, der in der Türkei – illegal ohne Aufenthaltsgenehmigung – Zuflucht gefunden hat, dort unterzubringen. Aber es ist so schwer, weil dann die Frage kommt: „Kehrt der dann nach drei Monaten oder einem halben Jahr zurück?“ Wie kann ich garantieren, dass jemand nach Syrien zurückkehrt? Unmöglich! Das Auswärtige Amt, das schon Visa erteilt hat für afghanische Menschenrechtlerinnen, hat sein Aufnahmeprogramm vorübergehend gestoppt, weil angeblich irgendwelche Leute das ausgenützt hätten. Jetzt werden neue Sicherheitsmechanismen eingezogen und die Menschen, die schon eine Aufenthaltszusage haben, müssen warten. 

Wie haben sich Ihre Länderschwerpunkte im Laufe der Jahrzehnte verändert? 

Am Anfang war es Ex-Jugoslawien. Später die arabische Welt, der Syrienkrieg oder auch Mexiko. Dann ist Afghanistan ein Schwerpunkt geworden. Es sind inzwischen oft jene Konfliktgebiete, die nicht im Fokus der Medien liegen. Wir schauen alle auf die Ukraine, aber dort gibt es jetzt viel mehr Hilfe als für die schon wieder vergessenen Krisenregionen. Afghanistan zum Beispiel oder Jemen. 

Im Vergleich zur Situation von vor 30 Jahren hat sich die Aufmerksamkeit für die Bedrohung von Medienfreiheit aber deutlich vergrößert. Es ist wichtig, dass in den Redaktionen meist nun länger überlegt wird, ob man einen Kollegen, eine Kollegin in ein Krisengebiet schicken soll und kann, und dass niemand mehr gezwungen wird, eine solche Aufgabe zu übernehmen. Ich glaube, vor 30 Jahren war die Sensibilität da sehr viel geringer und der Druck auf einzelne Journalisten und Journalistinnen größer, in Krisengebiete zu gehen, weil es weniger Bewusstsein für die Gefahren gab. 

Durch mehr Sensibilität für Bedrohungssituationen werden dann auch Gefahren vermieden …

Ja, deutsche Korrespondentinnen und Korrespondenten sind inzwischen gewöhnlich gut versichert, wenn sie in Krisengebieten arbeiten, das ist auch für ihre Angehörigen wichtig. Das gilt aber häufig nicht für die einheimischen Kolleginnen und Kollegen, die sogenannten Stringer, die sie unterstützen. Wir haben auch Stringern geholfen, die verletzt wurden, als sie für deutsche Medien unterwegs waren.

Besonders bedroht sind ja Stringer in Afghanistan, die für ausländische Medien arbeiteten und nach der Machtübernahme der Taliban nicht ausreisen konnten …

Das hatten wir auch schon im Irak und in Syrien. Aus Afghanistan haben wir aktuell Dutzende von Bitten um Hilfe und wir kriegen jeden Tag neue. Viele sind schon nach Pakistan geflohen und stecken dort nun fest, finden kein Land, das sie aufnehmen will. 

Fühlt man da sich nicht hilflos, weil man nicht allen helfen kann?

Ja, aber es ist immer wieder wichtig, den Einzelnen zu sehen und zu versuchen, ihm zu helfen. Mein Mann Egon Scotland hatte ein Gedicht in der Jackentasche, das ihm jemand in Kroatien zugesteckt hatte. Darin heißt es: „Schreibe auf, so viel zu kannst, mein Freund, aber berichtete der Welt nicht nur die Zahl der Getöteten, weil eine Zahl keinen Namen hat und keine geraubte Zukunft…“. Diese paar Zeilen, die wir damals in seinem Gepäck gefunden haben, leiten uns bis heute. Und dazu kommt der Satz eines bosnischen Kollegen, dem wir geholfen haben, er sagte: „Ich bin ein professioneller und kein nationaler Journalist.“ Das heißt, wir unterstützen zum Beispiel niemanden, der Medien nur für staatliche nationalistische Propaganda nutzt. Was wir auch gelernt haben: Man kann viel mehr tun, als man denkt! Schon am Anfang ging es uns darum, die eigene Hilflosigkeit zu überwinden, und auch das gilt bis heute.

Wenn Sie sich zum 30. Jubiläum etwas wünschen könnten, was wäre das?  

Eigentlich wünschen wir uns, dass unsere Arbeit nicht mehr nötig ist. Aber das ist eine Illusion. Deshalb haben wir zwei Wünsche: Dass diese Arbeit weitergetragen wird, auch von jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die unsere Aufgaben einmal übernehmen, und dass die bürokratischen Hürden abgebaut werden, um Menschen – zumindest auf Zeit – in Deutschland oder einem anderen europäischen Land Schutz zu bieten. 


 

Fotos für die Pressefreiheit

2022 war kein gutes Jahr für die Pressefreiheit. Das spiegelt sich auch im neuen Band „Fotos für die Pressefreiheit 2023“ von Reporter ohne Grenzen (RSF). Weil „Wegsehen Verrat am Journalismus“ wäre, wie RSF-Kuratoriumsmitglied Nidda Salah-Eldin schreibt, schauen die Fotograf*innen und Autor*innen genau hin. Der einleitende Faktenteil beschreibt die Situation unter anderem im Iran, in Afghanistan und Brasilien, aber auch in China, in Griechenland und der Türkei. Der ukrainische Fotojournalist Evgeniy Maloletka dokumentierte wochenlang die Situation im belagerten Mariupol, wofür er den Press Freedom Award 2022 von RSF erhielt. Zuletzt wurde sein Bild der verletzten Schwangeren zum World Press Photo of the Year gekürt. Insgesamt haben 21 Fotografinnen und Fotografen RSF ihre Werke zur Verfügung gestellt. Der Erlös des Verkaufs des Fotobuchs fließt vollständig in die Pressearbeit und Nothilfe, so wie Anwaltskosten und medizinische Hilfe für verfolgte Journalistinnen und Journalisten.

Das Fotobuch wird am 3. Mai in Kooperation mit dem Maxim Gorki Theater in Berlin vorgestellt.

 


„Woche der Meinungsfreiheit“

Bei der dritten Ausgabe der „Woche der Meinungsfreiheit“ lädt ein Bündnis von 60 Partner und Unterstützern vom 3. bis 10. Mai zu über 60 Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet ein. Initiator der Aktionswoche ist der Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Viele der Partner seien neu, die Zahl der Veranstaltungen gestiegen – das zeige, dass der Erhalt demokratischer Werte für immer mehr Menschen ein dringendes Anliegen werde. Gemeinsam wollten sie ein Bewusstsein für die Bedeutung demokratischer Freiheiten schaffen, Denkanstöße geben und Debatten fördern. Die Vielfalt der Programmbeiträge unterschiedlicher Partner aus der Breite der Gesellschaft ist Ausdruck dieses demokratischen Gedankens“, erklärt Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins.


dju-Aktion in Hamburg am 3. Mai

Die dju in ver.di Hamburg wird am 3. Mai, dem internationalen Tag der Pressefreiheit, mit einem Infostand in der Speicherstadt auf die Bedeutung der freien journalistischen Berichterstattung aufmerksam machen. In diesem Jahr steht der Tag unter dem Motto „Shaping a future of rights: Freedom of expression as a driver for all other human rights“ (Die Zukunft der Grundrechte gestalten: Die Meinungsfreiheit als Triebkraft aller anderen Menschenrechte“)

Vor Ort sind dju-Vorstandsmitglieder Siri Keil, Lars Hansen und Bosse Reimann

3. Mai 2023, von 12 bis 14 Uhr am Wandrahmsteg/Teerhof (Speicherstadt)

– nahezu in der Mitte zwischen den Verlagshäusern SPIEGEL, Die ZEIT, Bauer Verlag, Gruner + Jahr/RTL sowie dem Hamburg-Büro des Senders ZDF.

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