Auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer ist der deutsche Medienmarkt gespalten. Die Gründe für das „innerdeutsche“ Ost-West-Gefälle sind kein Geheimnis. Sie liegen hauptsächlich im Nachwende-Kolonialismus der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft. Das aktuelle Arbeitspapier der Otto-Brenner-Stiftung „30 Jahre staatliche Einheit – 30 Jahre mediale Spaltung“ analysiert die Fehlentwicklungen und macht Reformvorschläge.
Die Hauptelemente der aktuellen Schieflage beschreibt OBS-Geschäftsführer Jupp Legrand im Vorwort: kaum Ostdeutsche in den Führungsetagen der wichtigen bundesdeutschen Leitmedien, nahezu totale Dominanz westdeutscher Verlage in den Printmedien, kaum journalistischer Nachwuchs mit ostdeutschem Hintergrund.
Bis Mitte 1990 träumten DDR-Bürgerrechtlicher und andere Oppositionelle noch von einem „Dritten Weg“ auf dem Mediensektor, einem Modell jenseits von sozialistischem Dirigismus und entfesseltem Turbokapitalismus. Das Interesse der westdeutschen Eliten war indes von vornherein die Expansion auf den neuen Markt, selbstredend zu ihren Bedingungen.
Wie brachial diese Annexion auf dem Printsektor ablief, hat Mandy Tröger in ihrer Studie „Pressefrühling und Profit“ bereits vor zwei Jahren eindrucksvoll analysiert. Ironischerweise führte die von der Kohl-Regierung geförderte und von der Treuhand exekutierte Politik in kurzer Zeit zu regionalen Zeitungsmonopolen, wie es sie selbst zu SED-Zeiten nicht gegeben hatte. Das Führungspersonal rekrutierten die Verlage (und auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten) fast ausschließlich aus dem Westen.
Für Autor Lutz Mükke ist eine Spätfolge dieser Politik, dass „die Monopolisierung und Provinzialisierung des Medienangebots im Osten der Republik wahrscheinlich ebenso zur Verschiebung des gesellschaftspolitischen Klimas und zu den Mobilisierungserfolgen populistischer Bewegungen im Osten beigetragen haben wie die mangelhafte Partizipation und Repräsentation Ostdeutscher in überregionalen Leitmedien“.
Ein Befund, der indirekt sogar vom Abschlussbericht der Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ aus dem Hause von Bundesinnenminister Seehofer bestätigt wird. Der konstatiert einen Zusammenhang zwischen der Minderrepräsentation von Ostdeutschen und ihrer Demokratieskepsis sowie der politischen Passivität vieler Ostdeutscher. Als Ursachen werden schamhaft der Elitentransfer von West nach Ost und der „Exodus kreativer und leistungsstarker ostdeutscher Eliten“ benannt. Was wohl auch mit dem deutlichen West-Ost-Gefälle beim Gehalt zusammenhänge.
Mükkes Fazit: „Ausgrenzung, Benachteiligungen und Diskriminierungen sind Gift für das demokratische Gemeinwesen.“ Das Gegenmittel dazu sei „Partizipation“. Zu seinen (medien)politischen Handlungsempfehlungen zählen unter anderem: Diskussion über Quoten für Ostdeutsche, Repräsentanz von Ostdeutschen auch in den öffentlich-rechtlichen Medien, Sonderförder- und Stipendienprogramme für journalistische Initiativen in und für Ostdeutschland.
Lutz Mükke. 30 Jahre staatliche Einheit – 30 Jahre mediale Spaltung. Schreiben Medien die Teilung Deutschlands fest? OBS-Arbeitspapier 45, 2021, 50 Seiten