Erfahrungsaustausch beim Forum Lokaljournalismus in Passau
Kein Witz: Die Beamten bewegen sich, zumindest in Gemeinden. Rathäuser starten Bürgeraktionen, Bürgermeister lassen die Öffentlichkeit über „Leitbilder“ debattieren. Und Anregungen werden sogar ernst genommen. Sogar die Kids mit den weiten Klamotten aus der Kaufhauspassage durften in Passau mitreden, als es um das neue Jugendzentrum ging. Wie kommt das bei der Lokalpresse an? Geraten liebgewordene Feindbilder ins Schwanken?
Staunend, meint Theo Hirnstein („Westfalenpost“) aus Arnsberg, nähmen Lokaljournalisten mitunter zur Kenntnis, daß die Verwaltung nicht nur Bürgern etwas erklären möchte, sondern Journalisten gegenüber sogar partnerschaftliche Ambitionen an den Tag lege. Und wie die mit Beschwerden umgehen! „Sie verstehen das als Informationen und Anregung. Lokalzeitungen, die Leserreaktion immer noch als Störung auffassen, sollten von dieser Art Beschwerdemanagement lernen.“ Der Lokalzeitung böten sich hier viele Themen: nicht nur kritische Begleitung, sondern auch Schilderung dessen, was Bürger wünschen, anregen und kritisieren.
Oder die Sache mit den langen Wegen: Sachbearbeiter informiert Amtsleiter, Amtsleiter informiert Pressesprecher, Pressesprecher informiert Medien. „In Arnsberg ist jeder Sachbearbeiter auskunftberechtigt“, hat Hirnstein erfahren. „Das geht schnell und vermeidet Unschärfen.“ Natürlich müsse Vertrauen wachsen. „Aber wenn eine moderne Verwaltung auf Eigenständigkeit, Selbstverantwortung und hohe Motivation ihrer Mitarbeiter setzt, dann kann und darf sie nicht die alten Hackordnungen beibehalten.“
Den Pressesprecher gibt es noch, aber die Stadtverwaltung gibt auch in Passau direkt Auskunft. „Der Lokalreporter kann die Dienststellen selbst besuchen“, sagt OB Willi Schmöller, „wir haben offene Türen“. Der bayerische OB mit dem SPD-Parteibuch im CSU-Land hat die kürzeste Formel für die neue Aufgabe von Lokaljournalisten geprägt: „Betroffene zu Beteiligten machen“. Hans-Josef Vogel, Stadtdirektor in Arnsberg, sieht in der „Lokalpresse einen wesentlichen Erfolgsfaktor für eine nachhalti-ge lokale Verwaltungsmodernisierung.“
Kommunen werden zu „Unternehmen“
Was hat der Bürger davon, wenn die Verwaltung nur noch von „Kunden“ spricht und die Stadtwerke sich zum „Profitcenter“ mausern? „Bei gleicher Leistung weniger Geld, also weniger Steuern“, lautet die Antwort der Kommunalpolitiker. Die Lokalzeitungen stehen da oft noch vor großen Schwierigkeiten.
Zum Beispiel Heilbronn. Wie schwer zu überprüfen ist, was für den Bürger unterm Strich herauskommt, hat Jürgen Becker erfahren, bei der „Heilbronner Stimme“ für lokale Wirtschaft zuständig. 60 Folgen lang (Motto: „Was kostet was?“) hielt seine Redaktion durch: Was kostet der Unterhalt der Schulen? Was ein Platz im Stadttheater? Wieviel eine Tonne Abfall? Und was verlangt das Grünflächenamt für einmal Grabpflege? Die Fragen – so einer seiner Kniffe, um die Redaktion am Ball zu halten – stellten nicht nur die Wirtschaftsfachleute der Redaktion, sondern auch die Kulturexperten oder die Sportreporter. „So bekamen wir immer wieder eine neue Perspektive in die Berichterstattung.“
Besonders anstrengend: die Verwaltung dazu zu bringen, Zahlen über Zuschüsse für Vereine oder die Einnahmen eines Lokals, das im Besitz der Stadt ist, herauszurücken. „Am Ende mußten sie es tun, die Presse hat ein Recht auf die Information“, sagt Becker. „So konnten wir genau nachrechnen, was ein Freibadbesuch wert ist, oder wie hoch die Stromrechnung für eine Straßenlaterne ist.“ Die Zeitung bekam für ihre Berichterstattung den Preis der Stuttgarter Schleyer-Stiftung.
Im Trend: Kommunales Ranking
Vergleiche mögen sie nicht so gern, die Kommunalpolitiker. Da verweisen sie lieber auf die besonders prekäre Situation wegen der Strukturnachteile oder die einseitigen Belastungen etwa durch das Krankenhaus.
Dabei liegen Kriterien längst offen: Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGST) in Köln ist ein Umschlagplatz für Neuentwicklungen und Erfahrungen bei der Modernisierung. Sie vertritt 1400 Städte, Gemeinden und Landkreise, berät und schult Verwaltungen und gibt ein Infoblatt mit Vergleichen heraus. Bei der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh liegen Studien vor (zum Beispiel Bernd Adamschek: „Interkommunaler Leistungsvergleich“), die Deutsche Verwaltungshochschule Speyer verfügt über entsprechende Tabellen.
Das haben zwar manche Kommunen inzwischen kapiert – und die Konsequenzen gezogen. Um so besser für die Bürger. Aber wo es nicht so ist – warum fragt die Lokalzeitung nicht mal nach, weshalb die Müllabfuhr in der Nachbarstadt nur die Hälfte kostet? Oder jeder Platz im Stadttheater so hoch subventioniert werden muß, während die Leihbücherei dicht macht? „Hier Qualität zeigen, Mut, Kompetenz und auch mal angreifen – das ist eine Chance für uns“, sagt Helmuth Rücker, Lokalchef bei der „Deggendorfer Zeitung“. Die Leser selbst könnten immer besser vergleichen, denn: „Ihr Radius wird größer“, gibt Michael Dostal („Die Rheinpfalz“, Ludwigshafen) zu bedenken. Seine Zeitung versucht darauf zu reagieren, daß die Menschen im Beruf und in der Freizeit größere Strecken zurücklegen. „Die Leute denken in Regionen“, sagt er. „Wer in Ludwigshafen lebt, möchte wissen, wer in Karlsruhe auftritt und was in Baden-Baden gespielt wird.“ Die Konsequenz: Das Gewicht verschiebt sich von der Lokal- zur Regionalberichterstattung. Das ist ein Ansatzpunkt für Monika Jäger („Mindener Tageblatt“). „Es gibt in jeder Kommunalverwaltung Menschen, die einem weiterhelfen könnten, wenn man den Haushaltsplan nicht versteht. Das muß nicht die eigene Verwaltung sein. Ich plädiere dafür, daß die Redaktionen sich untereinander austauschen und Expertenwissen weitergeben.“
Fachwissen gefragt
Thomas Trappmann (freier Journalist, Detmold) ist nicht der einzige, der kritisiert, daß es den Redaktionen an Fachwissen fehlt. Trappmann kennt beide Seiten, er war Chefredakteur der „Lippeschen Landeszeitung“, bevor er sich als PR-Berater niederließ. „Verbände, Verwaltungen, mittelständische Firmen haben heute hochgerüstete PR-Abteilungen. Dieser Professionalität sind viele Redaktionen nicht gewachsen.“
Die „Märkische Oderzeitung“ geht bereits einen eigenen Weg. Sie fängt das Angebot aus der Wirtschaft offensiv ab. Ralf Freitag, Redaktionsleiter der „Märkischen Oderzeitung“ in Strausberg: „Wir produzieren mit der Anzeigenabteilung auf gleicher Ebene.“ Beispiel: Winterferien. Die Redaktion plant Artikel, Interviews, Kommentare für eine Doppelseite zu dem Thema, die Anzeigenaquisition telefoniert die entsprechenden Kunden durch: Bäder, Freizeitparks, Ausflugsziele. „Journalistische Unabhängigkeit? Wir mußten uns in der strukturschwachen Region etwas einfallen lassen, damit die Anzeigenblätter uns nicht die Butter vom Brot nehmen“, sagt Ralf Freitag. „Und unsere Kunden haben festgestellt, daß sie durch unser journalistisches Know-how besser bedient werden.“
So groß sind also die Berührungsängste offenbar nicht mehr. Monika Jäger („Mindener Tageblatt“) verweist auf gute Erfahrungen in Zusammenarbeit mit Sparkassen, Versicherungen, Industrie- und Handelskammern. Volontärsausbilder sollten sich mit den Ausbildern an Fachschulen und in Wirtschaftsunternehmen an einen Tisch setzen. Gerade bei den vielen Hürden, die bei der Einführung des Euro auch auf lokaler Ebene noch überwunden werden müßten, sei Sachverstand willkommen.
Brüssel statt Berlin
Die Außenregionen wissen es längst: „Mittelständische Unternehmen, Brauereien, Zulieferer gehen heute wie selbstverständlich über Grenzen“, hat Klaus Wiedau, Lokalchef der „Westfälischen Nachrichten“ in Gronau beobachtet. „Warum tun wir es als Lokalzeitung nicht auch?“ Für die Menschen in seiner Region an der deutsch-niederländisch-belgischen Grenze sei ohnehin Brüssel wichtiger als Berlin. Ein gemeinsames Zeitungsprojekt ist geplant.
Auf der Ostseite der Republik ist man schon weiter. Die „Lausitzer Rundschau“ pflegt seit zwei Jahren eine Partnerschaft mit einer polnischen Zeitung. Sandra Daßler, Chefreporterin bei der „Rundschau“: „Die Menschen haben auf beiden Seiten einen gewaltigen Nachholbedarf, sie wissen eigentlich zu wenig voneinander.“ Für ihre Zeitung ist es immer wieder Pflicht, Themen wie deutsche Investitionen in Polen, die EU-Erweiterung oder den stockenden grenzüberschreitenden Warenverkehr aufzugreifen. Lokales über Internet?
Und das weltweite Netz? Die Verleger haben es erkannt: Internet-Redaktionen, in denen ein flotter Chat mit den Kollegen von der Zeitung möglich ist, ziehen junge Leser an. Service ist gefragt, möglichst minutenschnell und immer auf dem neuesten Stand.
Und genau da wird es problematisch. Katja Riefler (freie Medienjournalistin, München): „Zeitungen entwickeln sich zu Medienhäusern, die Kurzvideos, Ton und Text anbieten – alles über Internet. Es bleibt nicht beim Bildschirmlayout, das wird heute schon vorausgesetzt. Der Lokaljournalist wird moderieren lernen müssen, er wird Kurzvideos produzieren, Tontechnik, Schnitt. Der Redakteur als Allroundtalent – das, fürchte ich, wird den Druck auf uns alle steigern.“ Rund 150 Zeitungen mit Online-Angebot gibt es im Netz . Die Schar der Leser ist (noch) klein und für die Zeitungshäuser wenig relevant. Aber das kann sich ändern. Das Online-Angebot bietet aus Verlegersicht einen unschätzbaren Vorteil: Wie oft und was aus dem Angebot gelesen wird, läßt sich – im Unterschied zur Papierausgabe der Zeitung – auf Knopfdruck exakt feststellen. Katja Riefler: „Wer nicht genug Kontakte bringt, fliegt raus: Sport statt Kultur, Boulevard statt Politik. Da geht es ans Eingemachte, an die journalistische Ethik.“ Und darüber müßte eigentlich noch mehr debattiert werden.